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Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883.

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Die formelle Entwickelung der Mechanik.
wenn nur dieser Druck gewichen wäre. Allerdings
war der Kampf der Forscher gegen die fremde äussere
Gewalt kein unbedeutender. Der Kirche war auch
in diesem Kampfe kein Mittel zu schlecht, welches
zum Siege verhelfen konnte, und sie ist hierbei eigen-
nütziger, rücksichtsloser und grausamer vorgegangen
als irgendeine andere politische Partei. Einen nicht
geringen Kampf hatten aber auch die Forscher mit
ihren eigenen hergebrachten Ideen zu bestehen, nament-
lich mit dem Vorurtheil, dass alles theologisch be-
handelt werden müsse. Nur allmählich und langsam
wurde dieses Vorurtheil überwunden.

2. Lassen wir die Thatsachen sprechen, und machen
wir zunächst einige persönliche Bekanntschaften!

Napier, der Erfinder der Logarithmen, ein strenger
Puritaner, welcher im 16. Jahrhundert lebte, war neben-
bei ein eifriger Theologe. Er verlegte sich auf höchst
sonderbare Speculationen. Er schrieb eine Auslegung
der Apokalypse mit Propositionen und mathematischen
Beweisen. Proposition 26 behauptet z. B., dass der
Papst der Antichrist sei, Proposition 36 lehrt, dass die
Heuschrecken die Türken und Mohammedaner seien u. s. w.

Wenn wir auch kein besonderes Gewicht darauf legen,
dass Blaise Pascal (17. Jahrhundert), einer der genialsten
Denker auf dem Gebiete der Mathematik und Physik,
höchst orthodox und ascetisch war, dass er trotz seines
milden Charakters zu Rouen einen Lehrer der Philo-
sophie aus voller Ueberzeugung als Ketzer denun-
cirte, dass die Heilung seiner Schwester durch Be-
rührung einer Reliquie einen tiefen Eindruck auf
ihn machte, und dass er dieselbe als ein Wunder an-
sah, wenn wir auch darauf kein Gewicht legen, weil
seine ganze zu religiöser Schwärmerei neigende Familie
in diesem Punkte sehr schwach war, so gibt es doch
noch andere Beispiele dieser Art genug. Die tiefe
Religiosität Pascal's zeigt sich in seinem Entschlusse,
die Wissenschaften gänzlich aufzugeben, und nur dem
Christenthum zu leben. Wenn er Trost suche, pflegte

Die formelle Entwickelung der Mechanik.
wenn nur dieser Druck gewichen wäre. Allerdings
war der Kampf der Forscher gegen die fremde äussere
Gewalt kein unbedeutender. Der Kirche war auch
in diesem Kampfe kein Mittel zu schlecht, welches
zum Siege verhelfen konnte, und sie ist hierbei eigen-
nütziger, rücksichtsloser und grausamer vorgegangen
als irgendeine andere politische Partei. Einen nicht
geringen Kampf hatten aber auch die Forscher mit
ihren eigenen hergebrachten Ideen zu bestehen, nament-
lich mit dem Vorurtheil, dass alles theologisch be-
handelt werden müsse. Nur allmählich und langsam
wurde dieses Vorurtheil überwunden.

2. Lassen wir die Thatsachen sprechen, und machen
wir zunächst einige persönliche Bekanntschaften!

Napier, der Erfinder der Logarithmen, ein strenger
Puritaner, welcher im 16. Jahrhundert lebte, war neben-
bei ein eifriger Theologe. Er verlegte sich auf höchst
sonderbare Speculationen. Er schrieb eine Auslegung
der Apokalypse mit Propositionen und mathematischen
Beweisen. Proposition 26 behauptet z. B., dass der
Papst der Antichrist sei, Proposition 36 lehrt, dass die
Heuschrecken die Türken und Mohammedaner seien u. s. w.

Wenn wir auch kein besonderes Gewicht darauf legen,
dass Blaise Pascal (17. Jahrhundert), einer der genialsten
Denker auf dem Gebiete der Mathematik und Physik,
höchst orthodox und ascetisch war, dass er trotz seines
milden Charakters zu Rouen einen Lehrer der Philo-
sophie aus voller Ueberzeugung als Ketzer denun-
cirte, dass die Heilung seiner Schwester durch Be-
rührung einer Reliquie einen tiefen Eindruck auf
ihn machte, und dass er dieselbe als ein Wunder an-
sah, wenn wir auch darauf kein Gewicht legen, weil
seine ganze zu religiöser Schwärmerei neigende Familie
in diesem Punkte sehr schwach war, so gibt es doch
noch andere Beispiele dieser Art genug. Die tiefe
Religiosität Pascal’s zeigt sich in seinem Entschlusse,
die Wissenschaften gänzlich aufzugeben, und nur dem
Christenthum zu leben. Wenn er Trost suche, pflegte

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[421/0433] Die formelle Entwickelung der Mechanik. wenn nur dieser Druck gewichen wäre. Allerdings war der Kampf der Forscher gegen die fremde äussere Gewalt kein unbedeutender. Der Kirche war auch in diesem Kampfe kein Mittel zu schlecht, welches zum Siege verhelfen konnte, und sie ist hierbei eigen- nütziger, rücksichtsloser und grausamer vorgegangen als irgendeine andere politische Partei. Einen nicht geringen Kampf hatten aber auch die Forscher mit ihren eigenen hergebrachten Ideen zu bestehen, nament- lich mit dem Vorurtheil, dass alles theologisch be- handelt werden müsse. Nur allmählich und langsam wurde dieses Vorurtheil überwunden. 2. Lassen wir die Thatsachen sprechen, und machen wir zunächst einige persönliche Bekanntschaften! Napier, der Erfinder der Logarithmen, ein strenger Puritaner, welcher im 16. Jahrhundert lebte, war neben- bei ein eifriger Theologe. Er verlegte sich auf höchst sonderbare Speculationen. Er schrieb eine Auslegung der Apokalypse mit Propositionen und mathematischen Beweisen. Proposition 26 behauptet z. B., dass der Papst der Antichrist sei, Proposition 36 lehrt, dass die Heuschrecken die Türken und Mohammedaner seien u. s. w. Wenn wir auch kein besonderes Gewicht darauf legen, dass Blaise Pascal (17. Jahrhundert), einer der genialsten Denker auf dem Gebiete der Mathematik und Physik, höchst orthodox und ascetisch war, dass er trotz seines milden Charakters zu Rouen einen Lehrer der Philo- sophie aus voller Ueberzeugung als Ketzer denun- cirte, dass die Heilung seiner Schwester durch Be- rührung einer Reliquie einen tiefen Eindruck auf ihn machte, und dass er dieselbe als ein Wunder an- sah, wenn wir auch darauf kein Gewicht legen, weil seine ganze zu religiöser Schwärmerei neigende Familie in diesem Punkte sehr schwach war, so gibt es doch noch andere Beispiele dieser Art genug. Die tiefe Religiosität Pascal’s zeigt sich in seinem Entschlusse, die Wissenschaften gänzlich aufzugeben, und nur dem Christenthum zu leben. Wenn er Trost suche, pflegte

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Zitationshilfe: Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 421. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/433>, abgerufen am 23.11.2024.