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Männling, Johann Christoph: Der Europæische Helicon, Oder Musen-Berg. Alten Stettin, 1704.

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Reg. 1. Die Erfindung nach Opitzens Aus-
spruch/ ist eine sinnreiche Fassung aller Sachen/ die
wir uns einbilden können/ so wohl derer/ die ein Le-
ben haben/ als die todt sind etc. welche ein Poet
ihm aufzuführen vornimmt; Und hat keine Kunst die
Freyheit/ welche der Dicht-Kunst zukommt/ als der
Todte zu Lebendigen kan binden/ jene lebendig und ve-
dend machen/ diese in Engel oder Nachtigalen ver-
wandeln; Steinen und Bäumen/ Lippen und Zun-
gen anbilden etc. Daß sie bald aus der Lufft ins Meer/
aus dem Himmel in die Hölle steiget/ und ihrer [ - Zeichen fehlt]n-
vention
viel tausend andere Sachen geschickt einmi-
schet/ daß man ein Compositum und Convolut vieler
Annehmlichkeiten alsdann beysammen antrifft/ als
den Honig im Bienstocke/ und das Vergnügen an
des Platox Tische.

Reg. 2. Die Erfindung/ wo sie solle hergenom-
men werden/ wie sie auch müsse beschaffen seyn/ da-
von wollen die Anweiser der Poesie gar wenig A[n]lei-
tung geben/ weil es heist: Hic Rhodus, hic salta;
Weil so wohl ein Nodus Gordius, als auch eine Miß-
gunst darbey anzutreffen ist. Inzwischen wird mir
doch vergönnt seyn/ meine eigene Einfälle davon her-
zusetzen. Wobey ich doch einem jeden seine freye
Wahl lasse. Die Erfindung geschicht also/ daß ich
alle Umstände betrachte/ als: (1) Die Beschaffenheit
der Zeit/ ob selbige frölich oder Traurig/ gut oder bö-
se/ Winter oder Sommer sey/ (2) Den Ort/ wovon
und wohin ich schreibe. (3) Die Gelegenheit oder
Ursachen/ so es erwecket. (4) Die Personen an die

man

Reg. 1. Die Erfindung nach Opitzens Aus-
ſpruch/ iſt eine ſinnreiche Faſſung aller Sachen/ die
wir uns einbilden koͤnnen/ ſo wohl derer/ die ein Le-
ben haben/ als die todt ſind ꝛc. welche ein Poet
ihm aufzufuͤhren vornimmt; Und hat keine Kunſt die
Freyheit/ welche der Dicht-Kunſt zukommt/ als der
Todte zu Lebendigen kan binden/ jene lebendig und ve-
dend machen/ dieſe in Engel oder Nachtigalen ver-
wandeln; Steinen und Baͤumen/ Lippen und Zun-
gen anbilden ꝛc. Daß ſie bald aus der Lufft ins Meer/
aus dem Himmel in die Hoͤlle ſteiget/ und ihrer [ – Zeichen fehlt]n-
vention
viel tauſend andere Sachen geſchickt einmi-
ſchet/ daß man ein Compoſitum und Convolut vieler
Annehmlichkeiten alsdann beyſammen antrifft/ als
den Honig im Bienſtocke/ und das Vergnuͤgen an
des Platox Tiſche.

Reg. 2. Die Erfindung/ wo ſie ſolle hergenom-
men werden/ wie ſie auch muͤſſe beſchaffen ſeyn/ da-
von wollen die Anweiſer der Poeſie gar wenig A[n]lei-
tung geben/ weil es heiſt: Hic Rhodus, hic ſalta;
Weil ſo wohl ein Nodus Gordius, als auch eine Miß-
gunſt darbey anzutreffen iſt. Inzwiſchen wird mir
doch vergoͤnnt ſeyn/ meine eigene Einfaͤlle davon her-
zuſetzen. Wobey ich doch einem jeden ſeine freye
Wahl laſſe. Die Erfindung geſchicht alſo/ daß ich
alle Umſtaͤnde betrachte/ als: (1) Die Beſchaffenheit
der Zeit/ ob ſelbige froͤlich oder Traurig/ gut oder boͤ-
ſe/ Winter oder Sommer ſey/ (2) Den Ort/ wovon
und wohin ich ſchreibe. (3) Die Gelegenheit oder
Urſachen/ ſo es erwecket. (4) Die Perſonen an die

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[79/0091] Reg. 1. Die Erfindung nach Opitzens Aus- ſpruch/ iſt eine ſinnreiche Faſſung aller Sachen/ die wir uns einbilden koͤnnen/ ſo wohl derer/ die ein Le- ben haben/ als die todt ſind ꝛc. welche ein Poet ihm aufzufuͤhren vornimmt; Und hat keine Kunſt die Freyheit/ welche der Dicht-Kunſt zukommt/ als der Todte zu Lebendigen kan binden/ jene lebendig und ve- dend machen/ dieſe in Engel oder Nachtigalen ver- wandeln; Steinen und Baͤumen/ Lippen und Zun- gen anbilden ꝛc. Daß ſie bald aus der Lufft ins Meer/ aus dem Himmel in die Hoͤlle ſteiget/ und ihrer _ n- vention viel tauſend andere Sachen geſchickt einmi- ſchet/ daß man ein Compoſitum und Convolut vieler Annehmlichkeiten alsdann beyſammen antrifft/ als den Honig im Bienſtocke/ und das Vergnuͤgen an des Platox Tiſche. Reg. 2. Die Erfindung/ wo ſie ſolle hergenom- men werden/ wie ſie auch muͤſſe beſchaffen ſeyn/ da- von wollen die Anweiſer der Poeſie gar wenig Anlei- tung geben/ weil es heiſt: Hic Rhodus, hic ſalta; Weil ſo wohl ein Nodus Gordius, als auch eine Miß- gunſt darbey anzutreffen iſt. Inzwiſchen wird mir doch vergoͤnnt ſeyn/ meine eigene Einfaͤlle davon her- zuſetzen. Wobey ich doch einem jeden ſeine freye Wahl laſſe. Die Erfindung geſchicht alſo/ daß ich alle Umſtaͤnde betrachte/ als: (1) Die Beſchaffenheit der Zeit/ ob ſelbige froͤlich oder Traurig/ gut oder boͤ- ſe/ Winter oder Sommer ſey/ (2) Den Ort/ wovon und wohin ich ſchreibe. (3) Die Gelegenheit oder Urſachen/ ſo es erwecket. (4) Die Perſonen an die man

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Zitationshilfe: Männling, Johann Christoph: Der Europæische Helicon, Oder Musen-Berg. Alten Stettin, 1704. , S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/maennling_helicon_1704/91>, abgerufen am 27.11.2024.