Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788.Die arme Hausfrau. Thätigkeit und zu einem geschäfftigen Leben auf. Undwelche dringenden Gründe finde ich nicht in meinen Umständen, diesem allgemeinen und lauten Rufe zu folgen, meine Kräfte und Fähigkeiten zu üben und zu gebrauchen, sie durch Gebrauch und Uebung zu ver- stärken und zu erhöhen und mich auf diesem Wege täglich mehr zu vervollkommnen. Würde ich diesem Rufe auch so willig folgen, würde ich diesen Grün- den auch Gehör geben, wenn ich Ueberfluß besäße, wenn ich bey meinen herrschenden Neigungen und Be- gierden vielleicht in Eitelkeit, in Leichtsinn, in Träg- heit und Weichlichkeit versunken wäre? Kann ich itzt, wo mich alles zur Mäßigkeit und zur Selbstbeherrschung antreibt, wissen oder nur vermuthen, welchen Aus- schweifungen, welchen Leidenschaften, welchen mächti- gen Begierden, welchen verheerenden Lastern ich bey dem Besitze des Reichthums fröhnen würde? Nein, o Gott, ich will mich nicht darüber be- chen
Die arme Hausfrau. Thätigkeit und zu einem geſchäfftigen Leben auf. Undwelche dringenden Gründe finde ich nicht in meinen Umſtänden, dieſem allgemeinen und lauten Rufe zu folgen, meine Kräfte und Fähigkeiten zu üben und zu gebrauchen, ſie durch Gebrauch und Uebung zu ver- ſtärken und zu erhöhen und mich auf dieſem Wege täglich mehr zu vervollkommnen. Würde ich dieſem Rufe auch ſo willig folgen, würde ich dieſen Grün- den auch Gehör geben, wenn ich Ueberfluß beſäße, wenn ich bey meinen herrſchenden Neigungen und Be- gierden vielleicht in Eitelkeit, in Leichtſinn, in Träg- heit und Weichlichkeit verſunken wäre? Kann ich itzt, wo mich alles zur Mäßigkeit und zur Selbſtbeherrſchung antreibt, wiſſen oder nur vermuthen, welchen Aus- ſchweifungen, welchen Leidenſchaften, welchen mächti- gen Begierden, welchen verheerenden Laſtern ich bey dem Beſitze des Reichthums fröhnen würde? Nein, o Gott, ich will mich nicht darüber be- chen
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Die arme Hausfrau.
Thätigkeit und zu einem geſchäfftigen Leben auf. Und
welche dringenden Gründe finde ich nicht in meinen
Umſtänden, dieſem allgemeinen und lauten Rufe zu
folgen, meine Kräfte und Fähigkeiten zu üben und zu
gebrauchen, ſie durch Gebrauch und Uebung zu ver-
ſtärken und zu erhöhen und mich auf dieſem Wege
täglich mehr zu vervollkommnen. Würde ich dieſem
Rufe auch ſo willig folgen, würde ich dieſen Grün-
den auch Gehör geben, wenn ich Ueberfluß beſäße,
wenn ich bey meinen herrſchenden Neigungen und Be-
gierden vielleicht in Eitelkeit, in Leichtſinn, in Träg-
heit und Weichlichkeit verſunken wäre? Kann ich itzt,
wo mich alles zur Mäßigkeit und zur Selbſtbeherrſchung
antreibt, wiſſen oder nur vermuthen, welchen Aus-
ſchweifungen, welchen Leidenſchaften, welchen mächti-
gen Begierden, welchen verheerenden Laſtern ich bey
dem Beſitze des Reichthums fröhnen würde?
Nein, o Gott, ich will mich nicht darüber be-
klagen, ich will dir vielmehr herzlich dafür danken,
daß du mich dieſen Gefahren nicht blos geſtellt, daß
du mich hier auf Erden gerade in einen ſolchen
Stand der Uebung und Vorbereitung geſetzet haſt.
Meine Armuth iſt Erziehungs- und Bildungsmittel
für mich. Sie ermuntert und treibt mich zur Aem-
ſigkeit, zum Fleiße, zur Sparſamkeit, zur Genüg-
ſamkeit, zur Demuth, zur Beſcheidenheit, zur
Dienſtfertigkeit, zu einer zuvorkommenden Gefällig-
keit, zur Mäßigkeit und Selbſtbeherrſchung an.
Sie lehret mich die Macht der Sinnlichkeit ſchwä-
chen
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