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Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788.

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Die Mutter bey dem Tode ihres Kindes.
staltet und ihm sobald eine andere Schule zu seiner
Vollendung angewiesen hast.

Wie rein, wie schuldlos ist es von dieser Erde
abgetreten! Welchen Trübsalen, welchen Gefahren,
welchen Versuchungen zur Sünde, welchem mannich-
faltigen Elende ist es dadurch entgangen! Vielleicht
hätte es in seiner Lage diesen Versuchungen unterliegen,
vielleicht hätte es die Folgen des Lasters lange und
schmerzhaft fühlen, vielleicht hätte es dadurch von der
ganzen Summe seiner Glückseligkeit einen großen Theil
entbehren müssen, wenn es unter der Aufsicht von
Menschen geblieben wäre. Jtzt hast du dasselbe doch
gewiß höhern und vollkommenern Geistern anvertraut.
Jtzt kann ich gewiß hoffen, daß es viel leichter und
sicherer auf der Bahn der Weisheit und der Tugend
fortrücken werde, als es hier auf Erden möglich ge-
wesen seyn würde. Zwar kannst du deine Absicht an
keinem Geschöpfe verfehlen, unter welchen Umständen
dasselbe auch leben, wo und in welchen Verhältnissen
es sich auch entwickeln mag; aber deine Weisheit und
Güte sind mir Bürge dafür, daß unsre Ausbildung
und Vollendung nach dem Tode ungleich leichter und
ungehinderter als in dem gegenwärtigen Leben von
Statten gehen müssen.

Ja, mit Gelassenheit und ohne Murren gebe
ich dir das Kind zurück, welches du mir zu meiner
Freude geschenkt hattest. Dir, unserm gemeinschaft-
lichen Vater, unserm Erhalter und Wohlthäter,
dir überlasse ich mich und alles, was mir werth und
theuer ist. Jch kenne, ich verehre, ich liebe dich ja

als

Die Mutter bey dem Tode ihres Kindes.
ſtaltet und ihm ſobald eine andere Schule zu ſeiner
Vollendung angewieſen haſt.

Wie rein, wie ſchuldlos iſt es von dieſer Erde
abgetreten! Welchen Trübſalen, welchen Gefahren,
welchen Verſuchungen zur Sünde, welchem mannich-
faltigen Elende iſt es dadurch entgangen! Vielleicht
hätte es in ſeiner Lage dieſen Verſuchungen unterliegen,
vielleicht hätte es die Folgen des Laſters lange und
ſchmerzhaft fühlen, vielleicht hätte es dadurch von der
ganzen Summe ſeiner Glückſeligkeit einen großen Theil
entbehren müſſen, wenn es unter der Aufſicht von
Menſchen geblieben wäre. Jtzt haſt du daſſelbe doch
gewiß höhern und vollkommenern Geiſtern anvertraut.
Jtzt kann ich gewiß hoffen, daß es viel leichter und
ſicherer auf der Bahn der Weisheit und der Tugend
fortrücken werde, als es hier auf Erden möglich ge-
weſen ſeyn würde. Zwar kannſt du deine Abſicht an
keinem Geſchöpfe verfehlen, unter welchen Umſtänden
daſſelbe auch leben, wo und in welchen Verhältniſſen
es ſich auch entwickeln mag; aber deine Weisheit und
Güte ſind mir Bürge dafür, daß unſre Ausbildung
und Vollendung nach dem Tode ungleich leichter und
ungehinderter als in dem gegenwärtigen Leben von
Statten gehen müſſen.

Ja, mit Gelaſſenheit und ohne Murren gebe
ich dir das Kind zurück, welches du mir zu meiner
Freude geſchenkt hatteſt. Dir, unſerm gemeinſchaft-
lichen Vater, unſerm Erhalter und Wohlthäter,
dir überlaſſe ich mich und alles, was mir werth und
theuer iſt. Jch kenne, ich verehre, ich liebe dich ja

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[251/0263] Die Mutter bey dem Tode ihres Kindes. ſtaltet und ihm ſobald eine andere Schule zu ſeiner Vollendung angewieſen haſt. Wie rein, wie ſchuldlos iſt es von dieſer Erde abgetreten! Welchen Trübſalen, welchen Gefahren, welchen Verſuchungen zur Sünde, welchem mannich- faltigen Elende iſt es dadurch entgangen! Vielleicht hätte es in ſeiner Lage dieſen Verſuchungen unterliegen, vielleicht hätte es die Folgen des Laſters lange und ſchmerzhaft fühlen, vielleicht hätte es dadurch von der ganzen Summe ſeiner Glückſeligkeit einen großen Theil entbehren müſſen, wenn es unter der Aufſicht von Menſchen geblieben wäre. Jtzt haſt du daſſelbe doch gewiß höhern und vollkommenern Geiſtern anvertraut. Jtzt kann ich gewiß hoffen, daß es viel leichter und ſicherer auf der Bahn der Weisheit und der Tugend fortrücken werde, als es hier auf Erden möglich ge- weſen ſeyn würde. Zwar kannſt du deine Abſicht an keinem Geſchöpfe verfehlen, unter welchen Umſtänden daſſelbe auch leben, wo und in welchen Verhältniſſen es ſich auch entwickeln mag; aber deine Weisheit und Güte ſind mir Bürge dafür, daß unſre Ausbildung und Vollendung nach dem Tode ungleich leichter und ungehinderter als in dem gegenwärtigen Leben von Statten gehen müſſen. Ja, mit Gelaſſenheit und ohne Murren gebe ich dir das Kind zurück, welches du mir zu meiner Freude geſchenkt hatteſt. Dir, unſerm gemeinſchaft- lichen Vater, unſerm Erhalter und Wohlthäter, dir überlaſſe ich mich und alles, was mir werth und theuer iſt. Jch kenne, ich verehre, ich liebe dich ja als

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Zitationshilfe: Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/263>, abgerufen am 22.11.2024.