Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite

auf die Erziehung der Töchter.
urtheilen und Fehlern*) zu hüten, deren sich nicht
wenige Mütter in einem hohen Grade schuldig ma-
chen; so muß ich die Erziehung und Bildung meiner
Töchter mein Hauptgeschäffte seyn lassen; so muß ich

dasselbe
*) Es sey mir hier erlaubt, einige Mütter und vorzüg-
lich die aus den höhern Ständen auf folgende ge-
wiß sehr wichtige Fehler und Vorurtheile bey der
Erziehung der Töchter aufmerksam zu machen:
Es ist ein Vorurtheil, ein altes und gemein-
geltendes Vorurtheil, daß das weibliche Geschlecht
nur eine sehr geringe Ausbildung des Verstandes
und nur sehr wenige Kenntnisse nöthig habe. Jn
den Jahren der Kindheit und des Unterrichts, wo
das junge Mädchen noch keine Geschäffte und noch
keinen Beruf abzuwarten hat, da kann und muß sie
alles lernen, was den Verstand üben und die Ur-
theilskraft stärken, was ihr von den wichtigsten Din-
gen richtige und aufgeklärte Begriffe geben kann.
Es ist ein höchst verderblicher Fehler, den man sich
vorzüglich bey der Erziehung des weiblichen Ge-
schlechts zu Schulden kommen läßt, daß die Erler-
nung dessen, was zum Aeusserlichen, zum Anstande,
zur Kenntnis der Mode und des herrschenden Tons
gehört, als die Hauptsache betrachtet wird, daß,
damit die Zeit und die Fähigkeiten des jungen Mäd-
chens verschwendet werden und alle Lust zur Erler-
nung wichtigerer Dinge darüber verloren gehet.
Es ist ein Vorurtheil unsrer Zeiten, daß aller Un-
terricht und besonders der Unterricht des weiblichen
Geschlechts bloßes Spiel seyn und von aller An-
strengung und Ernsthaftigkeit entfernet seyn soll.
Dadurch eben lernen so viele Personen dieses Ge-
schlechts in reifern Jahren alles, auch das Wichtig-
ste als Spiel, alles blos von der belustigenden Sei-
te betrachten und alles fliehen, was mit Mühe ver-
bunden ist und den Gebrauch ihrer Kräfte erfordert.
Was

auf die Erziehung der Töchter.
urtheilen und Fehlern*) zu hüten, deren ſich nicht
wenige Mütter in einem hohen Grade ſchuldig ma-
chen; ſo muß ich die Erziehung und Bildung meiner
Töchter mein Hauptgeſchäffte ſeyn laſſen; ſo muß ich

daſſelbe
*) Es ſey mir hier erlaubt, einige Mütter und vorzüg-
lich die aus den höhern Ständen auf folgende ge-
wiß ſehr wichtige Fehler und Vorurtheile bey der
Erziehung der Töchter aufmerkſam zu machen:
Es iſt ein Vorurtheil, ein altes und gemein-
geltendes Vorurtheil, daß das weibliche Geſchlecht
nur eine ſehr geringe Ausbildung des Verſtandes
und nur ſehr wenige Kenntniſſe nöthig habe. Jn
den Jahren der Kindheit und des Unterrichts, wo
das junge Mädchen noch keine Geſchäffte und noch
keinen Beruf abzuwarten hat, da kann und muß ſie
alles lernen, was den Verſtand üben und die Ur-
theilskraft ſtärken, was ihr von den wichtigſten Din-
gen richtige und aufgeklärte Begriffe geben kann.
Es iſt ein höchſt verderblicher Fehler, den man ſich
vorzüglich bey der Erziehung des weiblichen Ge-
ſchlechts zu Schulden kommen läßt, daß die Erler-
nung deſſen, was zum Aeuſſerlichen, zum Anſtande,
zur Kenntnis der Mode und des herrſchenden Tons
gehört, als die Hauptſache betrachtet wird, daß,
damit die Zeit und die Fähigkeiten des jungen Mäd-
chens verſchwendet werden und alle Luſt zur Erler-
nung wichtigerer Dinge darüber verloren gehet.
Es iſt ein Vorurtheil unſrer Zeiten, daß aller Un-
terricht und beſonders der Unterricht des weiblichen
Geſchlechts bloßes Spiel ſeyn und von aller An-
ſtrengung und Ernſthaftigkeit entfernet ſeyn ſoll.
Dadurch eben lernen ſo viele Perſonen dieſes Ge-
ſchlechts in reifern Jahren alles, auch das Wichtig-
ſte als Spiel, alles blos von der beluſtigenden Sei-
te betrachten und alles fliehen, was mit Mühe ver-
bunden iſt und den Gebrauch ihrer Kräfte erfordert.
Was
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0329" n="317"/><fw place="top" type="header">auf die Erziehung der Töchter.</fw><lb/>
urtheilen und Fehlern<note xml:id="n01a" next="#n01b" place="foot" n="*)">Es &#x017F;ey mir hier erlaubt, einige Mütter und vorzüg-<lb/>
lich die aus den höhern Ständen auf folgende ge-<lb/>
wiß &#x017F;ehr wichtige Fehler und Vorurtheile bey der<lb/>
Erziehung der Töchter aufmerk&#x017F;am zu machen:<lb/>
Es i&#x017F;t ein Vorurtheil, ein altes und gemein-<lb/>
geltendes Vorurtheil, daß das weibliche Ge&#x017F;chlecht<lb/>
nur eine &#x017F;ehr geringe Ausbildung des Ver&#x017F;tandes<lb/>
und nur &#x017F;ehr wenige Kenntni&#x017F;&#x017F;e nöthig habe. Jn<lb/>
den Jahren der Kindheit und des Unterrichts, wo<lb/>
das junge Mädchen noch keine Ge&#x017F;chäffte und noch<lb/>
keinen Beruf abzuwarten hat, da kann und muß &#x017F;ie<lb/>
alles lernen, was den Ver&#x017F;tand üben und die Ur-<lb/>
theilskraft &#x017F;tärken, was ihr von den wichtig&#x017F;ten Din-<lb/>
gen richtige und aufgeklärte Begriffe geben kann.<lb/>
Es i&#x017F;t ein höch&#x017F;t verderblicher Fehler, den man &#x017F;ich<lb/>
vorzüglich bey der Erziehung des weiblichen Ge-<lb/>
&#x017F;chlechts zu Schulden kommen läßt, daß die Erler-<lb/>
nung de&#x017F;&#x017F;en, was zum Aeu&#x017F;&#x017F;erlichen, zum An&#x017F;tande,<lb/>
zur Kenntnis der Mode und des herr&#x017F;chenden Tons<lb/>
gehört, als die Haupt&#x017F;ache betrachtet wird, daß,<lb/>
damit die Zeit und die Fähigkeiten des jungen Mäd-<lb/>
chens ver&#x017F;chwendet werden und alle Lu&#x017F;t zur Erler-<lb/>
nung wichtigerer Dinge darüber verloren gehet.<lb/>
Es i&#x017F;t ein Vorurtheil un&#x017F;rer Zeiten, daß aller Un-<lb/>
terricht und be&#x017F;onders der Unterricht des weiblichen<lb/>
Ge&#x017F;chlechts bloßes Spiel &#x017F;eyn und von aller An-<lb/>
&#x017F;trengung und Ern&#x017F;thaftigkeit entfernet &#x017F;eyn &#x017F;oll.<lb/>
Dadurch eben lernen &#x017F;o viele Per&#x017F;onen die&#x017F;es Ge-<lb/>
&#x017F;chlechts in reifern Jahren alles, auch das Wichtig-<lb/>
&#x017F;te als Spiel, alles blos von der belu&#x017F;tigenden Sei-<lb/>
te betrachten und alles fliehen, was mit Mühe ver-<lb/>
bunden i&#x017F;t und den Gebrauch ihrer Kräfte erfordert.<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Was</fw></note> zu hüten, deren &#x017F;ich nicht<lb/>
wenige Mütter in einem hohen Grade &#x017F;chuldig ma-<lb/>
chen; &#x017F;o muß ich die Erziehung und Bildung meiner<lb/>
Töchter mein Hauptge&#x017F;chäffte &#x017F;eyn la&#x017F;&#x017F;en; &#x017F;o muß ich<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">da&#x017F;&#x017F;elbe</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[317/0329] auf die Erziehung der Töchter. urtheilen und Fehlern *) zu hüten, deren ſich nicht wenige Mütter in einem hohen Grade ſchuldig ma- chen; ſo muß ich die Erziehung und Bildung meiner Töchter mein Hauptgeſchäffte ſeyn laſſen; ſo muß ich daſſelbe *) Es ſey mir hier erlaubt, einige Mütter und vorzüg- lich die aus den höhern Ständen auf folgende ge- wiß ſehr wichtige Fehler und Vorurtheile bey der Erziehung der Töchter aufmerkſam zu machen: Es iſt ein Vorurtheil, ein altes und gemein- geltendes Vorurtheil, daß das weibliche Geſchlecht nur eine ſehr geringe Ausbildung des Verſtandes und nur ſehr wenige Kenntniſſe nöthig habe. Jn den Jahren der Kindheit und des Unterrichts, wo das junge Mädchen noch keine Geſchäffte und noch keinen Beruf abzuwarten hat, da kann und muß ſie alles lernen, was den Verſtand üben und die Ur- theilskraft ſtärken, was ihr von den wichtigſten Din- gen richtige und aufgeklärte Begriffe geben kann. Es iſt ein höchſt verderblicher Fehler, den man ſich vorzüglich bey der Erziehung des weiblichen Ge- ſchlechts zu Schulden kommen läßt, daß die Erler- nung deſſen, was zum Aeuſſerlichen, zum Anſtande, zur Kenntnis der Mode und des herrſchenden Tons gehört, als die Hauptſache betrachtet wird, daß, damit die Zeit und die Fähigkeiten des jungen Mäd- chens verſchwendet werden und alle Luſt zur Erler- nung wichtigerer Dinge darüber verloren gehet. Es iſt ein Vorurtheil unſrer Zeiten, daß aller Un- terricht und beſonders der Unterricht des weiblichen Geſchlechts bloßes Spiel ſeyn und von aller An- ſtrengung und Ernſthaftigkeit entfernet ſeyn ſoll. Dadurch eben lernen ſo viele Perſonen dieſes Ge- ſchlechts in reifern Jahren alles, auch das Wichtig- ſte als Spiel, alles blos von der beluſtigenden Sei- te betrachten und alles fliehen, was mit Mühe ver- bunden iſt und den Gebrauch ihrer Kräfte erfordert. Was

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/329
Zitationshilfe: Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/329>, abgerufen am 24.11.2024.