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Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788.

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Abendgebet allgemeinen Inhalts.
Wahrheit für beleidiget, oder gab ich derselben ein
williges Gehör? Verachtete und haßte ich diejenigen,
welche so aufrichtig gegen mich waren, mir meine Feh-
ler und Unarten zu sagen; oder wußte ich es ihnen
vielmehr Dank, daß sie mir Gelegenheit gaben, mei-
ne Untugenden zu erkennen und zu verbessern?

Wie habe ich mich heute bey meinen Vergnü-
gungen, bey meinen Spielen, in meinen Erholungs-
stunden verhalten? Bin ich stets in den Schranken
der Mäßigkeit geblieben? Habe ich meine Pflichten
nie dabey vergessen? Habe ich bey dem Genusse der
Freude wider keines deiner Gebote gesündiget? Oder
trieb ich alles bis zur Ausschweifung und so, daß es
so wohl meinem Körper, als meinem Verstande und
Herzen nachtheilig werden mußte? Beleidigte, ver-
achtete, verspottete ich keinen, auch noch so armen und
geringen Menschen? Hatte ich mit dem Elenden,
mit dem Dürftigen, mit dem Schwachen Mitleid?
Oder vergieng ich mich vielleicht so sehr, daß ich mich
dieser meiner elenden und geringern Brüder und Schwe-
stern schämte, ihnen stolz und trotzig begegnete, sie
mit harten Scheltworten von mir zurückwies und ihrer
Leibesgestalt, ihrer Gebrechen, ihrer Armuth, ihrer
schlechten Kleidung u. s. w. spottete?

O wie angenehm und beruhigend sind die Em-
pfindungen bey dem Andenken an das Gute, dessen
ich mir bewußt bin! Wie froh und zufrieden, wie
voll von Vertrauen auf dich, wie glücklich bin ich da,
wenn mir mein Herz das Zeugniß giebt, daß ich mei-
ne Pflicht gethan und so gehandelt habe, wie ich han-

deln
F 3

Abendgebet allgemeinen Inhalts.
Wahrheit für beleidiget, oder gab ich derſelben ein
williges Gehör? Verachtete und haßte ich diejenigen,
welche ſo aufrichtig gegen mich waren, mir meine Feh-
ler und Unarten zu ſagen; oder wußte ich es ihnen
vielmehr Dank, daß ſie mir Gelegenheit gaben, mei-
ne Untugenden zu erkennen und zu verbeſſern?

Wie habe ich mich heute bey meinen Vergnü-
gungen, bey meinen Spielen, in meinen Erholungs-
ſtunden verhalten? Bin ich ſtets in den Schranken
der Mäßigkeit geblieben? Habe ich meine Pflichten
nie dabey vergeſſen? Habe ich bey dem Genuſſe der
Freude wider keines deiner Gebote geſündiget? Oder
trieb ich alles bis zur Ausſchweifung und ſo, daß es
ſo wohl meinem Körper, als meinem Verſtande und
Herzen nachtheilig werden mußte? Beleidigte, ver-
achtete, verſpottete ich keinen, auch noch ſo armen und
geringen Menſchen? Hatte ich mit dem Elenden,
mit dem Dürftigen, mit dem Schwachen Mitleid?
Oder vergieng ich mich vielleicht ſo ſehr, daß ich mich
dieſer meiner elenden und geringern Brüder und Schwe-
ſtern ſchämte, ihnen ſtolz und trotzig begegnete, ſie
mit harten Scheltworten von mir zurückwies und ihrer
Leibesgeſtalt, ihrer Gebrechen, ihrer Armuth, ihrer
ſchlechten Kleidung u. ſ. w. ſpottete?

O wie angenehm und beruhigend ſind die Em-
pfindungen bey dem Andenken an das Gute, deſſen
ich mir bewußt bin! Wie froh und zufrieden, wie
voll von Vertrauen auf dich, wie glücklich bin ich da,
wenn mir mein Herz das Zeugniß giebt, daß ich mei-
ne Pflicht gethan und ſo gehandelt habe, wie ich han-

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[85/0097] Abendgebet allgemeinen Inhalts. Wahrheit für beleidiget, oder gab ich derſelben ein williges Gehör? Verachtete und haßte ich diejenigen, welche ſo aufrichtig gegen mich waren, mir meine Feh- ler und Unarten zu ſagen; oder wußte ich es ihnen vielmehr Dank, daß ſie mir Gelegenheit gaben, mei- ne Untugenden zu erkennen und zu verbeſſern? Wie habe ich mich heute bey meinen Vergnü- gungen, bey meinen Spielen, in meinen Erholungs- ſtunden verhalten? Bin ich ſtets in den Schranken der Mäßigkeit geblieben? Habe ich meine Pflichten nie dabey vergeſſen? Habe ich bey dem Genuſſe der Freude wider keines deiner Gebote geſündiget? Oder trieb ich alles bis zur Ausſchweifung und ſo, daß es ſo wohl meinem Körper, als meinem Verſtande und Herzen nachtheilig werden mußte? Beleidigte, ver- achtete, verſpottete ich keinen, auch noch ſo armen und geringen Menſchen? Hatte ich mit dem Elenden, mit dem Dürftigen, mit dem Schwachen Mitleid? Oder vergieng ich mich vielleicht ſo ſehr, daß ich mich dieſer meiner elenden und geringern Brüder und Schwe- ſtern ſchämte, ihnen ſtolz und trotzig begegnete, ſie mit harten Scheltworten von mir zurückwies und ihrer Leibesgeſtalt, ihrer Gebrechen, ihrer Armuth, ihrer ſchlechten Kleidung u. ſ. w. ſpottete? O wie angenehm und beruhigend ſind die Em- pfindungen bey dem Andenken an das Gute, deſſen ich mir bewußt bin! Wie froh und zufrieden, wie voll von Vertrauen auf dich, wie glücklich bin ich da, wenn mir mein Herz das Zeugniß giebt, daß ich mei- ne Pflicht gethan und ſo gehandelt habe, wie ich han- deln F 3

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Zitationshilfe: Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/97>, abgerufen am 24.11.2024.