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Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776.

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Anhang etc. Einleitung. Von dem Unterscheid
§. 246.

Der Hr. Rameau bezeichnet durch das Wort Grundbaß
einen Baß, welcher nichts weiter als die rohen Grundaccorde
der in dem Generalbaß eines Tonstücks enthaltnen vermischten
Accorde ohne die geringste Connexion unter sich darleget. Jch
sage ohne die geringste Connexion, weil bey der Darle-
gung der Grundaccorde nicht auf die Art ihrer Fortschreitung
unter sich Bedacht genommen, sondern jeder einzelne Accord
des Generalbasses bloß in seine Grundaccorde aufgelöset wird.
Es ist daher einerley, ob ein Grundaccord mit einem vorher-
gehenden oder folgenden Grundaccord in regulären oder irre-
gulären Zusammenhange steht, so wie es einerley ist, ob die
Grundbaßtöne gegen die ausgearbeiteten Stimmen ein regu-
läres oder irreguläres Verhältniß machen. Es kommen nem-
lich, weder in dem einen noch dem andern Falle, die Regeln
der Harmonie, sie mögen die Fortschreitung der Con- oder
Dissonanzen betreffen, in Betracht, indem wenn solche beob-
achtet werden sollten, der Grundbaß eine ausgearbeitete oder
sogenannte obligate Stimme ausmachen würde. Es soll aber
der Grundbaß keine ausgearbeitete Stimme machen, weil er
weder zum Singen noch zum Spielen, sondern bloß zur Er-
leichterung der Lehre von der Harmonie dienen soll. Wenn
ein Grundaccord endlich aus keinen andern als Terzenweise
disponirten Tönen besteht, und die Construction desselben nicht
die Octave überschreiten kann, indem die Octave die Gränze
aller Jntervalle und aller einfachen Accorde ist, so folget, daß
der Grundbaß aus keinen andern Accorden, als aus harmo-
nischen Dreyklängen und Septimenaccorden bestehen könne.

§. 247.

Was versteht denn der Herr Kirnberger durch das Wort
Grundbaß? Einen Baß, der --. Jedoch der Hr. Kirn-
berg hat nirgends, weder in der Kunst etc. noch in den Grund-
sätzen
etc. eine characteristische Beschreibung von ihm gegeben.
Wenn in dem Rameauschen Grundbaß, auf die in den aus-
gearbeiteten Stimmen, nach Anleitung des Generalbasses,
würklich herrschende Harmonie, überall Bedacht genommen
wird, so geschicht dieses nicht überall in dem Kirnbergerschen

Grund-
Anhang ꝛc. Einleitung. Von dem Unterſcheid
§. 246.

Der Hr. Rameau bezeichnet durch das Wort Grundbaß
einen Baß, welcher nichts weiter als die rohen Grundaccorde
der in dem Generalbaß eines Tonſtuͤcks enthaltnen vermiſchten
Accorde ohne die geringſte Connexion unter ſich darleget. Jch
ſage ohne die geringſte Connexion, weil bey der Darle-
gung der Grundaccorde nicht auf die Art ihrer Fortſchreitung
unter ſich Bedacht genommen, ſondern jeder einzelne Accord
des Generalbaſſes bloß in ſeine Grundaccorde aufgeloͤſet wird.
Es iſt daher einerley, ob ein Grundaccord mit einem vorher-
gehenden oder folgenden Grundaccord in regulaͤren oder irre-
gulaͤren Zuſammenhange ſteht, ſo wie es einerley iſt, ob die
Grundbaßtoͤne gegen die ausgearbeiteten Stimmen ein regu-
laͤres oder irregulaͤres Verhaͤltniß machen. Es kommen nem-
lich, weder in dem einen noch dem andern Falle, die Regeln
der Harmonie, ſie moͤgen die Fortſchreitung der Con- oder
Diſſonanzen betreffen, in Betracht, indem wenn ſolche beob-
achtet werden ſollten, der Grundbaß eine ausgearbeitete oder
ſogenannte obligate Stimme ausmachen wuͤrde. Es ſoll aber
der Grundbaß keine ausgearbeitete Stimme machen, weil er
weder zum Singen noch zum Spielen, ſondern bloß zur Er-
leichterung der Lehre von der Harmonie dienen ſoll. Wenn
ein Grundaccord endlich aus keinen andern als Terzenweiſe
diſponirten Toͤnen beſteht, und die Conſtruction deſſelben nicht
die Octave uͤberſchreiten kann, indem die Octave die Graͤnze
aller Jntervalle und aller einfachen Accorde iſt, ſo folget, daß
der Grundbaß aus keinen andern Accorden, als aus harmo-
niſchen Dreyklaͤngen und Septimenaccorden beſtehen koͤnne.

§. 247.

Was verſteht denn der Herr Kirnberger durch das Wort
Grundbaß? Einen Baß, der —. Jedoch der Hr. Kirn-
berg hat nirgends, weder in der Kunſt ꝛc. noch in den Grund-
ſaͤtzen
ꝛc. eine characteriſtiſche Beſchreibung von ihm gegeben.
Wenn in dem Rameauſchen Grundbaß, auf die in den aus-
gearbeiteten Stimmen, nach Anleitung des Generalbaſſes,
wuͤrklich herrſchende Harmonie, uͤberall Bedacht genommen
wird, ſo geſchicht dieſes nicht uͤberall in dem Kirnbergerſchen

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[232/0252] Anhang ꝛc. Einleitung. Von dem Unterſcheid §. 246. Der Hr. Rameau bezeichnet durch das Wort Grundbaß einen Baß, welcher nichts weiter als die rohen Grundaccorde der in dem Generalbaß eines Tonſtuͤcks enthaltnen vermiſchten Accorde ohne die geringſte Connexion unter ſich darleget. Jch ſage ohne die geringſte Connexion, weil bey der Darle- gung der Grundaccorde nicht auf die Art ihrer Fortſchreitung unter ſich Bedacht genommen, ſondern jeder einzelne Accord des Generalbaſſes bloß in ſeine Grundaccorde aufgeloͤſet wird. Es iſt daher einerley, ob ein Grundaccord mit einem vorher- gehenden oder folgenden Grundaccord in regulaͤren oder irre- gulaͤren Zuſammenhange ſteht, ſo wie es einerley iſt, ob die Grundbaßtoͤne gegen die ausgearbeiteten Stimmen ein regu- laͤres oder irregulaͤres Verhaͤltniß machen. Es kommen nem- lich, weder in dem einen noch dem andern Falle, die Regeln der Harmonie, ſie moͤgen die Fortſchreitung der Con- oder Diſſonanzen betreffen, in Betracht, indem wenn ſolche beob- achtet werden ſollten, der Grundbaß eine ausgearbeitete oder ſogenannte obligate Stimme ausmachen wuͤrde. Es ſoll aber der Grundbaß keine ausgearbeitete Stimme machen, weil er weder zum Singen noch zum Spielen, ſondern bloß zur Er- leichterung der Lehre von der Harmonie dienen ſoll. Wenn ein Grundaccord endlich aus keinen andern als Terzenweiſe diſponirten Toͤnen beſteht, und die Conſtruction deſſelben nicht die Octave uͤberſchreiten kann, indem die Octave die Graͤnze aller Jntervalle und aller einfachen Accorde iſt, ſo folget, daß der Grundbaß aus keinen andern Accorden, als aus harmo- niſchen Dreyklaͤngen und Septimenaccorden beſtehen koͤnne. §. 247. Was verſteht denn der Herr Kirnberger durch das Wort Grundbaß? Einen Baß, der —. Jedoch der Hr. Kirn- berg hat nirgends, weder in der Kunſt ꝛc. noch in den Grund- ſaͤtzen ꝛc. eine characteriſtiſche Beſchreibung von ihm gegeben. Wenn in dem Rameauſchen Grundbaß, auf die in den aus- gearbeiteten Stimmen, nach Anleitung des Generalbaſſes, wuͤrklich herrſchende Harmonie, uͤberall Bedacht genommen wird, ſo geſchicht dieſes nicht uͤberall in dem Kirnbergerſchen Grund-

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Zitationshilfe: Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776/252>, abgerufen am 22.11.2024.