Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

der Anmerk. über die Kirnberg. Grundsätze, nach etc.
die Quinte für die Terz oder Octave, oder die Octave für die
Terz oder Quinte genommen werden? Diese Sache ist nicht
anders als durch ein gewisses Kunststück des Hrn. Guyot
möglich zu machen, wenn nemlich der Zauberer einem mit 3
bezeichneten Kügelchen eine andere mit 5 oder 8 bezeichnete
substituiret, und das Auge des Zuschauers durch die Behen-
digkeit der Finger täuschet.

"Nach unserer gegebenen Erklärung von den zufälligen
"Dissonanzen, und deren bis auf die folgende Harmonie ver-
"zögerten Resolution folget ganz natürlich, daß dieser Septi-
"menaccord, den wir zum Unterschiede des wesentlichen Grund-
"accords den uneigentlichen *) nennen wollen, er mag nun
"vermindert oder nicht vernmindert seyn, zwar ein Septno-
"nenaccord von dem Grundton, nemlich von der Unterterz
"des Baßtons sey; aber da die None eine zufällige Dissonanz
"und ein bloßer Vorhalt der Octave ist, dessen (deren) Re-
"solution erst auf der folgenden Harmonie geschicht, im Grunde
"nichts anders, als unser wesentlicher Septimenaccord seyn
"könne, und auch in der That nichts anders ist.

Man merke die Art unsers Hrn. Auctors zu schließen:
1) weil die zufällige Dissonanz auf eben derselben Baßnote re-
solviret wird, so ist der verminderte Septimenaccord gis h d f
ein Septnonenaccord e gis h d f, oder der Septimenaccord h d f a
von dem Subsemitonio h des Modi majoris c ist ein Sept-
nonenaccord g h d f a; 2) Weil aber die None eine zufällige
Dissonanz ist, so ist der verminderte Septimenaccord gis h d f
im Grunde nichts anders als der wesentliche Septimenaccord
e gis h d, und der andere Septimenaccord h d f a nichts anders
als der wesentliche Septimenaccord g h d f. -- Diese syllogi-
stische Wendungen sind, nach dem Ausdruck des Hrn. Sul-
zers, ein unbegreifliches Chaos für mich, und ich muß
abermals meine Schwäche gestehen. Wenn man aber aus
den unbegreiflichen Wendungen eines Auctors auf seine da-
bey gehabte Mühe und Arbeit schliessen kann, so muß, so wie
die Schöpfung der von dem Hrn. Kirnberger sogenannten un-
eigentlichen Septimenaccorde an sich, also die Demonstration
dieser Schöpfung demselben so sauer geworden seyn, als ihm

jemals
*) Man sehe die lezten Zeilen des §. 328. zurück.
U 4

der Anmerk. uͤber die Kirnberg. Grundſaͤtze, nach ꝛc.
die Quinte fuͤr die Terz oder Octave, oder die Octave fuͤr die
Terz oder Quinte genommen werden? Dieſe Sache iſt nicht
anders als durch ein gewiſſes Kunſtſtuͤck des Hrn. Guyot
moͤglich zu machen, wenn nemlich der Zauberer einem mit 3
bezeichneten Kuͤgelchen eine andere mit 5 oder 8 bezeichnete
ſubſtituiret, und das Auge des Zuſchauers durch die Behen-
digkeit der Finger taͤuſchet.

„Nach unſerer gegebenen Erklaͤrung von den zufaͤlligen
„Diſſonanzen, und deren bis auf die folgende Harmonie ver-
„zoͤgerten Reſolution folget ganz natuͤrlich, daß dieſer Septi-
„menaccord, den wir zum Unterſchiede des weſentlichen Grund-
„accords den uneigentlichen *) nennen wollen, er mag nun
„vermindert oder nicht vernmindert ſeyn, zwar ein Septno-
„nenaccord von dem Grundton, nemlich von der Unterterz
„des Baßtons ſey; aber da die None eine zufaͤllige Diſſonanz
„und ein bloßer Vorhalt der Octave iſt, deſſen (deren) Re-
„ſolution erſt auf der folgenden Harmonie geſchicht, im Grunde
„nichts anders, als unſer weſentlicher Septimenaccord ſeyn
„koͤnne, und auch in der That nichts anders iſt.

Man merke die Art unſers Hrn. Auctors zu ſchließen:
1) weil die zufaͤllige Diſſonanz auf eben derſelben Baßnote re-
ſolviret wird, ſo iſt der verminderte Septimenaccord gis h d f
ein Septnonenaccord e gis h d f, oder der Septimenaccord h d f a
von dem Subſemitonio h des Modi majoris c iſt ein Sept-
nonenaccord g h d f a; 2) Weil aber die None eine zufaͤllige
Diſſonanz iſt, ſo iſt der verminderte Septimenaccord gis h d f
im Grunde nichts anders als der weſentliche Septimenaccord
e gis h d, und der andere Septimenaccord h d f a nichts anders
als der weſentliche Septimenaccord g h d f. — Dieſe ſyllogi-
ſtiſche Wendungen ſind, nach dem Ausdruck des Hrn. Sul-
zers, ein unbegreifliches Chaos fuͤr mich, und ich muß
abermals meine Schwaͤche geſtehen. Wenn man aber aus
den unbegreiflichen Wendungen eines Auctors auf ſeine da-
bey gehabte Muͤhe und Arbeit ſchlieſſen kann, ſo muß, ſo wie
die Schoͤpfung der von dem Hrn. Kirnberger ſogenannten un-
eigentlichen Septimenaccorde an ſich, alſo die Demonſtration
dieſer Schoͤpfung demſelben ſo ſauer geworden ſeyn, als ihm

jemals
*) Man ſehe die lezten Zeilen des §. 328. zuruͤck.
U 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0331" n="311"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">der Anmerk. u&#x0364;ber die Kirnberg. Grund&#x017F;a&#x0364;tze, nach &#xA75B;c.</hi></fw><lb/>
die Quinte fu&#x0364;r die Terz oder Octave, oder die Octave fu&#x0364;r die<lb/>
Terz oder Quinte genommen werden? Die&#x017F;e Sache i&#x017F;t nicht<lb/>
anders als durch ein gewi&#x017F;&#x017F;es Kun&#x017F;t&#x017F;tu&#x0364;ck des Hrn. <hi rendition="#fr">Guyot</hi><lb/>
mo&#x0364;glich zu machen, wenn nemlich der Zauberer einem mit 3<lb/>
bezeichneten Ku&#x0364;gelchen eine andere mit 5 oder 8 bezeichnete<lb/>
&#x017F;ub&#x017F;tituiret, und das Auge des Zu&#x017F;chauers durch die Behen-<lb/>
digkeit der Finger ta&#x0364;u&#x017F;chet.</p><lb/>
              <p>&#x201E;Nach un&#x017F;erer gegebenen Erkla&#x0364;rung von den zufa&#x0364;lligen<lb/>
&#x201E;Di&#x017F;&#x017F;onanzen, und deren bis auf die folgende Harmonie ver-<lb/>
&#x201E;zo&#x0364;gerten Re&#x017F;olution folget ganz natu&#x0364;rlich, daß die&#x017F;er Septi-<lb/>
&#x201E;menaccord, den wir zum Unter&#x017F;chiede des we&#x017F;entlichen Grund-<lb/>
&#x201E;accords den <hi rendition="#fr">uneigentlichen</hi> <note place="foot" n="*)">Man &#x017F;ehe die lezten Zeilen des §. 328. zuru&#x0364;ck.</note> nennen wollen, er mag nun<lb/>
&#x201E;vermindert oder nicht vernmindert &#x017F;eyn, zwar ein Septno-<lb/>
&#x201E;nenaccord von dem Grundton, nemlich von der Unterterz<lb/>
&#x201E;des Baßtons &#x017F;ey; aber da die None eine zufa&#x0364;llige Di&#x017F;&#x017F;onanz<lb/>
&#x201E;und ein bloßer Vorhalt der Octave i&#x017F;t, de&#x017F;&#x017F;en (<hi rendition="#fr">deren</hi>) Re-<lb/>
&#x201E;&#x017F;olution er&#x017F;t auf der folgenden Harmonie ge&#x017F;chicht, im Grunde<lb/>
&#x201E;nichts anders, als un&#x017F;er we&#x017F;entlicher Septimenaccord &#x017F;eyn<lb/>
&#x201E;ko&#x0364;nne, und auch in der That nichts anders i&#x017F;t.</p><lb/>
              <p>Man merke die Art un&#x017F;ers Hrn. Auctors zu &#x017F;chließen:<lb/>
1) weil die zufa&#x0364;llige Di&#x017F;&#x017F;onanz auf eben der&#x017F;elben Baßnote re-<lb/>
&#x017F;olviret wird, &#x017F;o i&#x017F;t der verminderte Septimenaccord <hi rendition="#aq">gis h d f</hi><lb/>
ein Septnonenaccord <hi rendition="#aq">e gis h d f,</hi> oder der Septimenaccord <hi rendition="#aq">h d f a</hi><lb/>
von dem Sub&#x017F;emitonio <hi rendition="#aq">h</hi> des Modi majoris <hi rendition="#aq">c</hi> i&#x017F;t ein Sept-<lb/>
nonenaccord <hi rendition="#aq">g h d f a;</hi> 2) Weil aber die None eine zufa&#x0364;llige<lb/>
Di&#x017F;&#x017F;onanz i&#x017F;t, &#x017F;o i&#x017F;t der verminderte Septimenaccord <hi rendition="#aq">gis h d f</hi><lb/>
im Grunde nichts anders als der we&#x017F;entliche Septimenaccord<lb/><hi rendition="#aq">e gis h d,</hi> und der andere Septimenaccord <hi rendition="#aq">h d f a</hi> nichts anders<lb/>
als der we&#x017F;entliche Septimenaccord <hi rendition="#aq">g h d f.</hi> &#x2014; Die&#x017F;e &#x017F;yllogi-<lb/>
&#x017F;ti&#x017F;che Wendungen &#x017F;ind, nach dem Ausdruck des Hrn. Sul-<lb/>
zers, ein <hi rendition="#fr">unbegreifliches Chaos</hi> fu&#x0364;r mich, und ich muß<lb/>
abermals meine Schwa&#x0364;che ge&#x017F;tehen. Wenn man aber aus<lb/>
den unbegreiflichen Wendungen eines Auctors auf &#x017F;eine da-<lb/>
bey gehabte Mu&#x0364;he und Arbeit &#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en kann, &#x017F;o muß, &#x017F;o wie<lb/>
die Scho&#x0364;pfung der von dem Hrn. Kirnberger &#x017F;ogenannten un-<lb/>
eigentlichen Septimenaccorde an &#x017F;ich, al&#x017F;o die Demon&#x017F;tration<lb/>
die&#x017F;er Scho&#x0364;pfung dem&#x017F;elben &#x017F;o &#x017F;auer geworden &#x017F;eyn, als ihm<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">U 4</fw><fw place="bottom" type="catch">jemals</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[311/0331] der Anmerk. uͤber die Kirnberg. Grundſaͤtze, nach ꝛc. die Quinte fuͤr die Terz oder Octave, oder die Octave fuͤr die Terz oder Quinte genommen werden? Dieſe Sache iſt nicht anders als durch ein gewiſſes Kunſtſtuͤck des Hrn. Guyot moͤglich zu machen, wenn nemlich der Zauberer einem mit 3 bezeichneten Kuͤgelchen eine andere mit 5 oder 8 bezeichnete ſubſtituiret, und das Auge des Zuſchauers durch die Behen- digkeit der Finger taͤuſchet. „Nach unſerer gegebenen Erklaͤrung von den zufaͤlligen „Diſſonanzen, und deren bis auf die folgende Harmonie ver- „zoͤgerten Reſolution folget ganz natuͤrlich, daß dieſer Septi- „menaccord, den wir zum Unterſchiede des weſentlichen Grund- „accords den uneigentlichen *) nennen wollen, er mag nun „vermindert oder nicht vernmindert ſeyn, zwar ein Septno- „nenaccord von dem Grundton, nemlich von der Unterterz „des Baßtons ſey; aber da die None eine zufaͤllige Diſſonanz „und ein bloßer Vorhalt der Octave iſt, deſſen (deren) Re- „ſolution erſt auf der folgenden Harmonie geſchicht, im Grunde „nichts anders, als unſer weſentlicher Septimenaccord ſeyn „koͤnne, und auch in der That nichts anders iſt. Man merke die Art unſers Hrn. Auctors zu ſchließen: 1) weil die zufaͤllige Diſſonanz auf eben derſelben Baßnote re- ſolviret wird, ſo iſt der verminderte Septimenaccord gis h d f ein Septnonenaccord e gis h d f, oder der Septimenaccord h d f a von dem Subſemitonio h des Modi majoris c iſt ein Sept- nonenaccord g h d f a; 2) Weil aber die None eine zufaͤllige Diſſonanz iſt, ſo iſt der verminderte Septimenaccord gis h d f im Grunde nichts anders als der weſentliche Septimenaccord e gis h d, und der andere Septimenaccord h d f a nichts anders als der weſentliche Septimenaccord g h d f. — Dieſe ſyllogi- ſtiſche Wendungen ſind, nach dem Ausdruck des Hrn. Sul- zers, ein unbegreifliches Chaos fuͤr mich, und ich muß abermals meine Schwaͤche geſtehen. Wenn man aber aus den unbegreiflichen Wendungen eines Auctors auf ſeine da- bey gehabte Muͤhe und Arbeit ſchlieſſen kann, ſo muß, ſo wie die Schoͤpfung der von dem Hrn. Kirnberger ſogenannten un- eigentlichen Septimenaccorde an ſich, alſo die Demonſtration dieſer Schoͤpfung demſelben ſo ſauer geworden ſeyn, als ihm jemals *) Man ſehe die lezten Zeilen des §. 328. zuruͤck. U 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776/331
Zitationshilfe: Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776/331>, abgerufen am 10.11.2024.