Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

Viertes Buch. Zweytes Hauptstück.
Julius II. 1504 entworfene Rangordnung verdient vor an-
dern gemerkt zu werden b).

Wie jedoch die Mächte deren Rang auf Concilien
ihrer Behauptung nach zu niedrig bestimmt worden, davon
nie einen Schluß auf Fälle außerhalb der Concillen haben
gelten lassen, und keine Macht dem Pabst mehr ein Ent-
scheidungsrecht beylegt, so wird jetzt nicht nur überhaupt
selten auf eine päbstliche Entscheidung provocirt sondern
unter Mächten gleicher Würde von allen ehemahls hervor-
gesuchen Gründen jetzt fast blos der Besitz, und nur in
einigen Fällen gegen die Staaten welche später zu ihrer
jetzigen Würde gelangt c) sind, das Alter der Würde zum
Grund des behaupteten Ranges gelegt. Da jedoch dieser
letztere Grund selten gebraucht werden kann, und von dem
Gegentheil nicht anerkannt wird, der Besitzstand aber sel-
ten völlig unbestritten ist, so giebt es eine zahllose Menge
unentschiedener Präeedenzstreitigkeiten. Doch sind einige
Fälle durch Verträge entschieden, andere durch ein unbe-
strittenes Herkommen gegen alle, oder gegen viele Staaten
festgesetzt.

a) Ueber die Unzulänglichkeit aller dieser Gründe s. Günther
a. a. O. S. 203--214. auch Mosers Beyträge Th. I. S. 45.
b) Sie steht in Günthers V. Recht a. a. O. S. 218. u. f.
c) Z. B. Preußen, Sardinien siehe Merc. hist. et pol. 1763. T.
I. p.
145.
§. 129.
Rang des Pabsts und des Kaisers.

Alle catholische Mächte und selbst der römische Kaiser a)
räumen I) dem Pabsts als Statthalter Christi und Nach-
folger Petri den Rang über sich ohne Widerrede ein. Da
aber Rußland und die protestantischen Mächte in ihm nur
den Bischof von Rom und den weltlichen Oberherrn eines
mittelmäßigen Staats in Italien sehn, so fordern alle die-
jenigen unter ihnen welche Königliche Ehrenbezeugungen ge-
nießen den Rang über ihn. II) Der römische Kaiser ist

in

Viertes Buch. Zweytes Hauptſtuͤck.
Julius II. 1504 entworfene Rangordnung verdient vor an-
dern gemerkt zu werden b).

Wie jedoch die Maͤchte deren Rang auf Concilien
ihrer Behauptung nach zu niedrig beſtimmt worden, davon
nie einen Schluß auf Faͤlle außerhalb der Concillen haben
gelten laſſen, und keine Macht dem Pabſt mehr ein Ent-
ſcheidungsrecht beylegt, ſo wird jetzt nicht nur uͤberhaupt
ſelten auf eine paͤbſtliche Entſcheidung provocirt ſondern
unter Maͤchten gleicher Wuͤrde von allen ehemahls hervor-
geſuchen Gruͤnden jetzt faſt blos der Beſitz, und nur in
einigen Faͤllen gegen die Staaten welche ſpaͤter zu ihrer
jetzigen Wuͤrde gelangt c) ſind, das Alter der Wuͤrde zum
Grund des behaupteten Ranges gelegt. Da jedoch dieſer
letztere Grund ſelten gebraucht werden kann, und von dem
Gegentheil nicht anerkannt wird, der Beſitzſtand aber ſel-
ten voͤllig unbeſtritten iſt, ſo giebt es eine zahlloſe Menge
unentſchiedener Praͤeedenzſtreitigkeiten. Doch ſind einige
Faͤlle durch Vertraͤge entſchieden, andere durch ein unbe-
ſtrittenes Herkommen gegen alle, oder gegen viele Staaten
feſtgeſetzt.

a) Ueber die Unzulaͤnglichkeit aller dieſer Gruͤnde ſ. Guͤnther
a. a. O. S. 203—214. auch Moſers Beytraͤge Th. I. S. 45.
b) Sie ſteht in Guͤnthers V. Recht a. a. O. S. 218. u. f.
c) Z. B. Preußen, Sardinien ſiehe Merc. hiſt. et pol. 1763. T.
I. p.
145.
§. 129.
Rang des Pabſts und des Kaiſers.

Alle catholiſche Maͤchte und ſelbſt der roͤmiſche Kaiſer a)
raͤumen I) dem Pabſts als Statthalter Chriſti und Nach-
folger Petri den Rang uͤber ſich ohne Widerrede ein. Da
aber Rußland und die proteſtantiſchen Maͤchte in ihm nur
den Biſchof von Rom und den weltlichen Oberherrn eines
mittelmaͤßigen Staats in Italien ſehn, ſo fordern alle die-
jenigen unter ihnen welche Koͤnigliche Ehrenbezeugungen ge-
nießen den Rang uͤber ihn. II) Der roͤmiſche Kaiſer iſt

in
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0184" n="156"/><fw place="top" type="header">Viertes Buch. Zweytes Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck.</fw><lb/>
Julius <hi rendition="#aq">II.</hi> 1504 entworfene Rangordnung verdient vor an-<lb/>
dern gemerkt zu werden <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">b</hi></hi>).</p><lb/>
            <p>Wie jedoch die Ma&#x0364;chte deren Rang auf Concilien<lb/>
ihrer Behauptung nach zu niedrig be&#x017F;timmt worden, davon<lb/>
nie einen Schluß auf Fa&#x0364;lle außerhalb der Concillen haben<lb/>
gelten la&#x017F;&#x017F;en, und keine Macht dem Pab&#x017F;t mehr ein Ent-<lb/>
&#x017F;cheidungsrecht beylegt, &#x017F;o wird jetzt nicht nur u&#x0364;berhaupt<lb/>
&#x017F;elten auf eine pa&#x0364;b&#x017F;tliche Ent&#x017F;cheidung provocirt &#x017F;ondern<lb/>
unter Ma&#x0364;chten gleicher Wu&#x0364;rde von allen ehemahls hervor-<lb/>
ge&#x017F;uchen Gru&#x0364;nden jetzt fa&#x017F;t blos der Be&#x017F;itz, und nur in<lb/>
einigen Fa&#x0364;llen gegen die Staaten welche &#x017F;pa&#x0364;ter zu ihrer<lb/>
jetzigen Wu&#x0364;rde gelangt <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">c</hi></hi>) &#x017F;ind, das Alter der Wu&#x0364;rde zum<lb/>
Grund des behaupteten Ranges gelegt. Da jedoch die&#x017F;er<lb/>
letztere Grund &#x017F;elten gebraucht werden kann, und von dem<lb/>
Gegentheil nicht anerkannt wird, der Be&#x017F;itz&#x017F;tand aber &#x017F;el-<lb/>
ten vo&#x0364;llig unbe&#x017F;tritten i&#x017F;t, &#x017F;o giebt es eine zahllo&#x017F;e Menge<lb/>
unent&#x017F;chiedener Pra&#x0364;eedenz&#x017F;treitigkeiten. Doch &#x017F;ind einige<lb/>
Fa&#x0364;lle durch Vertra&#x0364;ge ent&#x017F;chieden, andere durch ein unbe-<lb/>
&#x017F;trittenes Herkommen gegen alle, oder gegen viele Staaten<lb/>
fe&#x017F;tge&#x017F;etzt.</p><lb/>
            <note place="end" n="a)">Ueber die Unzula&#x0364;nglichkeit aller die&#x017F;er Gru&#x0364;nde &#x017F;. <hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Gu&#x0364;nther</hi></hi><lb/>
a. a. O. S. 203&#x2014;214. auch <hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Mo&#x017F;ers</hi> Beytra&#x0364;ge</hi> Th. <hi rendition="#aq">I.</hi> S. 45.</note><lb/>
            <note place="end" n="b)">Sie &#x017F;teht in <hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Gu&#x0364;nthers</hi> V. Recht</hi> a. a. O. S. 218. u. f.</note><lb/>
            <note place="end" n="c)">Z. B. Preußen, Sardinien &#x017F;iehe <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Merc. hi&#x017F;t. et pol</hi>. 1763. T.<lb/>
I. p.</hi> 145.</note>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 129.<lb/><hi rendition="#fr">Rang des Pab&#x017F;ts und des Kai&#x017F;ers</hi>.</head><lb/>
            <p>Alle catholi&#x017F;che Ma&#x0364;chte und &#x017F;elb&#x017F;t der ro&#x0364;mi&#x017F;che Kai&#x017F;er <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">a</hi></hi>)<lb/>
ra&#x0364;umen <hi rendition="#aq">I</hi>) dem <hi rendition="#fr">Pab&#x017F;ts</hi> als Statthalter Chri&#x017F;ti und Nach-<lb/>
folger Petri den Rang u&#x0364;ber &#x017F;ich ohne Widerrede ein. Da<lb/>
aber Rußland und die prote&#x017F;tanti&#x017F;chen Ma&#x0364;chte in ihm nur<lb/>
den Bi&#x017F;chof von Rom und den weltlichen Oberherrn eines<lb/>
mittelma&#x0364;ßigen Staats in Italien &#x017F;ehn, &#x017F;o fordern alle die-<lb/>
jenigen unter ihnen welche Ko&#x0364;nigliche Ehrenbezeugungen ge-<lb/>
nießen den Rang u&#x0364;ber ihn. <hi rendition="#aq">II</hi>) Der ro&#x0364;mi&#x017F;che Kai&#x017F;er i&#x017F;t<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">in</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[156/0184] Viertes Buch. Zweytes Hauptſtuͤck. Julius II. 1504 entworfene Rangordnung verdient vor an- dern gemerkt zu werden b). Wie jedoch die Maͤchte deren Rang auf Concilien ihrer Behauptung nach zu niedrig beſtimmt worden, davon nie einen Schluß auf Faͤlle außerhalb der Concillen haben gelten laſſen, und keine Macht dem Pabſt mehr ein Ent- ſcheidungsrecht beylegt, ſo wird jetzt nicht nur uͤberhaupt ſelten auf eine paͤbſtliche Entſcheidung provocirt ſondern unter Maͤchten gleicher Wuͤrde von allen ehemahls hervor- geſuchen Gruͤnden jetzt faſt blos der Beſitz, und nur in einigen Faͤllen gegen die Staaten welche ſpaͤter zu ihrer jetzigen Wuͤrde gelangt c) ſind, das Alter der Wuͤrde zum Grund des behaupteten Ranges gelegt. Da jedoch dieſer letztere Grund ſelten gebraucht werden kann, und von dem Gegentheil nicht anerkannt wird, der Beſitzſtand aber ſel- ten voͤllig unbeſtritten iſt, ſo giebt es eine zahlloſe Menge unentſchiedener Praͤeedenzſtreitigkeiten. Doch ſind einige Faͤlle durch Vertraͤge entſchieden, andere durch ein unbe- ſtrittenes Herkommen gegen alle, oder gegen viele Staaten feſtgeſetzt. a⁾ Ueber die Unzulaͤnglichkeit aller dieſer Gruͤnde ſ. Guͤnther a. a. O. S. 203—214. auch Moſers Beytraͤge Th. I. S. 45. b⁾ Sie ſteht in Guͤnthers V. Recht a. a. O. S. 218. u. f. c⁾ Z. B. Preußen, Sardinien ſiehe Merc. hiſt. et pol. 1763. T. I. p. 145. §. 129. Rang des Pabſts und des Kaiſers. Alle catholiſche Maͤchte und ſelbſt der roͤmiſche Kaiſer a) raͤumen I) dem Pabſts als Statthalter Chriſti und Nach- folger Petri den Rang uͤber ſich ohne Widerrede ein. Da aber Rußland und die proteſtantiſchen Maͤchte in ihm nur den Biſchof von Rom und den weltlichen Oberherrn eines mittelmaͤßigen Staats in Italien ſehn, ſo fordern alle die- jenigen unter ihnen welche Koͤnigliche Ehrenbezeugungen ge- nießen den Rang uͤber ihn. II) Der roͤmiſche Kaiſer iſt in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/184
Zitationshilfe: Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/184>, abgerufen am 04.12.2024.