Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

Vorbericht.
la liberte. Also wenn eine Nation eine Verfassung
annimmt, die nicht auf Freyheit und Gleichheit ge-
gründet ist, oder, welches zwischen freyen Völkern
eben so viel ist, wenn eine dritte Macht findet, daß
die Verfassung einer andern nicht auf diese Grund-
pfeiler gestützt sey, folglich daß diese kein Recht gehabt
habe sie sich zu geben, so darf sie in ihre Verfassung
sich einmischen! also begünstiget das neue Völker-
recht die propaganda!! Ferner art. 16. les ligues
qui ont pour objet une guerre offensive, les traites
ou alliances qui peuvent nuire a l'interet d'un
peuple sont un attentat contre la famille humaine.

Also von der schwankenden so oft zweifelhaften, so oft
bestrittenen Frage, ob ein Krieg oder eine Allianz
nach der Meinung eines dritten Volks offensiv oder
defensiv sey, soll die Frage abhängen, ob es diese,
wenn gleich nicht wider sich geschlossene Allianz als
ein Attentat wider die Menschheit betrachten, folglich
auch als eine Beleidigung gegen sich ansehn und
rächen könne -- also ist jede Allianz der Critik aller
übrigen Völker unterworfen, und wenn sie diese als
dem Interesse eines dritten Volks nachtheilig ansehn,
so können sie ohne weitere Umstände, das was frem-
den geschah als sich selbst, als dem ganzen Menschen-
geschlecht gethan ansehn -- und wo bleibt bey diesem
unbegränzten Einmischungsrecht fremder Staaten die
so hoch gerühmte Freyheit der Völker. Konnte die
alte Diplomatik das Einmischungsrecht weiter er-
strecken? sollen so gefährliche Sätze die Substanz
einer neuen declaration du droit des gens ausmachen,
so erhalte der Himmel uns unsre vieille diplomatie
mit allen ihren Lücken, mit allen ihren Wortstreitig-

keiten,

Vorbericht.
la liberté. Alſo wenn eine Nation eine Verfaſſung
annimmt, die nicht auf Freyheit und Gleichheit ge-
gruͤndet iſt, oder, welches zwiſchen freyen Voͤlkern
eben ſo viel iſt, wenn eine dritte Macht findet, daß
die Verfaſſung einer andern nicht auf dieſe Grund-
pfeiler geſtuͤtzt ſey, folglich daß dieſe kein Recht gehabt
habe ſie ſich zu geben, ſo darf ſie in ihre Verfaſſung
ſich einmiſchen! alſo beguͤnſtiget das neue Voͤlker-
recht die propaganda!! Ferner art. 16. les ligues
qui ont pour objet une guerre offenſive, les traités
ou alliances qui peuvent nuire à l’interêt d’un
peuple ſont un attentat contre la famille humaine.

Alſo von der ſchwankenden ſo oft zweifelhaften, ſo oft
beſtrittenen Frage, ob ein Krieg oder eine Allianz
nach der Meinung eines dritten Volks offenſiv oder
defenſiv ſey, ſoll die Frage abhaͤngen, ob es dieſe,
wenn gleich nicht wider ſich geſchloſſene Allianz als
ein Attentat wider die Menſchheit betrachten, folglich
auch als eine Beleidigung gegen ſich anſehn und
raͤchen koͤnne — alſo iſt jede Allianz der Critik aller
uͤbrigen Voͤlker unterworfen, und wenn ſie dieſe als
dem Intereſſe eines dritten Volks nachtheilig anſehn,
ſo koͤnnen ſie ohne weitere Umſtaͤnde, das was frem-
den geſchah als ſich ſelbſt, als dem ganzen Menſchen-
geſchlecht gethan anſehn — und wo bleibt bey dieſem
unbegraͤnzten Einmiſchungsrecht fremder Staaten die
ſo hoch geruͤhmte Freyheit der Voͤlker. Konnte die
alte Diplomatik das Einmiſchungsrecht weiter er-
ſtrecken? ſollen ſo gefaͤhrliche Saͤtze die Subſtanz
einer neuen déclaration du droit des gens ausmachen,
ſo erhalte der Himmel uns unſre vieille diplomatie
mit allen ihren Luͤcken, mit allen ihren Wortſtreitig-

keiten,
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0019" n="XV"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Vorbericht</hi>.</fw><lb/><hi rendition="#aq">la liberté.</hi> Al&#x017F;o wenn eine Nation eine Verfa&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
annimmt, die nicht auf Freyheit und Gleichheit ge-<lb/>
gru&#x0364;ndet i&#x017F;t, oder, welches zwi&#x017F;chen freyen Vo&#x0364;lkern<lb/>
eben &#x017F;o viel i&#x017F;t, wenn eine dritte Macht findet, daß<lb/>
die Verfa&#x017F;&#x017F;ung einer andern nicht auf die&#x017F;e Grund-<lb/>
pfeiler ge&#x017F;tu&#x0364;tzt &#x017F;ey, folglich daß die&#x017F;e kein Recht gehabt<lb/>
habe &#x017F;ie &#x017F;ich zu geben, &#x017F;o darf &#x017F;ie in ihre Verfa&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
&#x017F;ich einmi&#x017F;chen! al&#x017F;o begu&#x0364;n&#x017F;tiget das neue Vo&#x0364;lker-<lb/>
recht die <hi rendition="#aq">propaganda!!</hi> Ferner <hi rendition="#aq">art. 16. les ligues<lb/>
qui ont pour objet une guerre offen&#x017F;ive, les traités<lb/>
ou alliances qui peuvent nuire à l&#x2019;interêt d&#x2019;un<lb/>
peuple &#x017F;ont un attentat contre la famille humaine.</hi><lb/>
Al&#x017F;o von der &#x017F;chwankenden &#x017F;o oft zweifelhaften, &#x017F;o oft<lb/>
be&#x017F;trittenen Frage, ob ein Krieg oder eine Allianz<lb/>
nach der Meinung eines dritten Volks offen&#x017F;iv oder<lb/>
defen&#x017F;iv &#x017F;ey, &#x017F;oll die Frage abha&#x0364;ngen, ob es die&#x017F;e,<lb/>
wenn gleich nicht wider &#x017F;ich ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ene Allianz als<lb/>
ein Attentat wider die Men&#x017F;chheit betrachten, folglich<lb/>
auch als eine Beleidigung gegen &#x017F;ich an&#x017F;ehn und<lb/>
ra&#x0364;chen ko&#x0364;nne &#x2014; al&#x017F;o i&#x017F;t jede Allianz der Critik aller<lb/>
u&#x0364;brigen Vo&#x0364;lker unterworfen, und wenn &#x017F;ie die&#x017F;e als<lb/>
dem Intere&#x017F;&#x017F;e eines dritten Volks nachtheilig an&#x017F;ehn,<lb/>
&#x017F;o ko&#x0364;nnen &#x017F;ie ohne weitere Um&#x017F;ta&#x0364;nde, das was frem-<lb/>
den ge&#x017F;chah als &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, als dem ganzen Men&#x017F;chen-<lb/>
ge&#x017F;chlecht gethan an&#x017F;ehn &#x2014; und wo bleibt bey die&#x017F;em<lb/>
unbegra&#x0364;nzten Einmi&#x017F;chungsrecht fremder Staaten die<lb/>
&#x017F;o hoch geru&#x0364;hmte Freyheit der Vo&#x0364;lker. Konnte die<lb/>
alte Diplomatik das Einmi&#x017F;chungsrecht weiter er-<lb/>
&#x017F;trecken? &#x017F;ollen &#x017F;o gefa&#x0364;hrliche Sa&#x0364;tze die Sub&#x017F;tanz<lb/>
einer neuen <hi rendition="#aq">déclaration du droit des gens</hi> ausmachen,<lb/>
&#x017F;o erhalte der Himmel uns un&#x017F;re <hi rendition="#aq">vieille diplomatie</hi><lb/>
mit allen ihren Lu&#x0364;cken, mit allen ihren Wort&#x017F;treitig-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">keiten,</fw><lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[XV/0019] Vorbericht. la liberté. Alſo wenn eine Nation eine Verfaſſung annimmt, die nicht auf Freyheit und Gleichheit ge- gruͤndet iſt, oder, welches zwiſchen freyen Voͤlkern eben ſo viel iſt, wenn eine dritte Macht findet, daß die Verfaſſung einer andern nicht auf dieſe Grund- pfeiler geſtuͤtzt ſey, folglich daß dieſe kein Recht gehabt habe ſie ſich zu geben, ſo darf ſie in ihre Verfaſſung ſich einmiſchen! alſo beguͤnſtiget das neue Voͤlker- recht die propaganda!! Ferner art. 16. les ligues qui ont pour objet une guerre offenſive, les traités ou alliances qui peuvent nuire à l’interêt d’un peuple ſont un attentat contre la famille humaine. Alſo von der ſchwankenden ſo oft zweifelhaften, ſo oft beſtrittenen Frage, ob ein Krieg oder eine Allianz nach der Meinung eines dritten Volks offenſiv oder defenſiv ſey, ſoll die Frage abhaͤngen, ob es dieſe, wenn gleich nicht wider ſich geſchloſſene Allianz als ein Attentat wider die Menſchheit betrachten, folglich auch als eine Beleidigung gegen ſich anſehn und raͤchen koͤnne — alſo iſt jede Allianz der Critik aller uͤbrigen Voͤlker unterworfen, und wenn ſie dieſe als dem Intereſſe eines dritten Volks nachtheilig anſehn, ſo koͤnnen ſie ohne weitere Umſtaͤnde, das was frem- den geſchah als ſich ſelbſt, als dem ganzen Menſchen- geſchlecht gethan anſehn — und wo bleibt bey dieſem unbegraͤnzten Einmiſchungsrecht fremder Staaten die ſo hoch geruͤhmte Freyheit der Voͤlker. Konnte die alte Diplomatik das Einmiſchungsrecht weiter er- ſtrecken? ſollen ſo gefaͤhrliche Saͤtze die Subſtanz einer neuen déclaration du droit des gens ausmachen, ſo erhalte der Himmel uns unſre vieille diplomatie mit allen ihren Luͤcken, mit allen ihren Wortſtreitig- keiten,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/19
Zitationshilfe: Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796, S. XV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/19>, abgerufen am 03.05.2024.