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Martin, Marie: Soll die christliche Frau studieren? In: Martin, Marie et al.: Soll die christliche Frau studieren? Die Hausindustrie der Frauen in Berlin. Der neue Gewerkverein der Heimarbeiterinnen für Kleider- und Wäschekonfektion. Berlin, 1901 (= Hefte der Freien Kirchlich-Sozialen Konferenz, Bd. 17). S. 3–21.

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esse der studierenden Frauen als der Würde der Universität.
Endlich beginnt ja auch in Deutschland die Jmmatrikulation
möglich zu werden, und wohl nicht zufällig in dem Teile,
in dem man auch wirkliche Mädchengymnasien zuläßt. Viele
Länder sind uns in der Fürsorge für diese Mädchenbildung
voraus, besonders wir Norddeutschen marschieren besonnen
und zögernd nach, Schritt vor Schritt sorgfältigst überlegend.

Erschwert wird die Entscheidung über die beste Art der
Vorbereitung durch den momentan tobenden Kampf um
die Schulreform, den wir der jungen Sache der wissen-
schaftlichen Frauenbildung gern ersparen möchten. Aeußer-
lich erleichtert wird sie sehr einfach dadurch, daß in Preußen
bis jetzt nur Gymnasialkurse, neuerdings wenigstens fünf-
jährige, an die absolvierte Mädchenschule anschließend, ge-
stattet werden. Praktisch ist uns also jede Entscheidung ge-
nommen für andere Arten, z. B. Vollgymnasium, Einheits-
schule mit Gabelung, Reformgymnasium, Realschule. Eine
Beratung darüber ist vorläufig Danaidenarbeit. Aber es
sei uns wenigstens vergönnt, im Blick auf die Zukunft
andere Wege theoretisch zu erörtern. Dabei alle das Hin
und Her, die verschiedenen Ansichten über Wesen, Aufgabe
und Mittel der höchsten Bildung hier noch einmal durch-
zusprechen, wie sie jede Streitschrift über Schulreform bringt,
würde sehr langweilig und darum fruchtlos sein. Beachtens-
wert ist aber, daß auch die eifrigsten Reformer nie ver-
suchen, die Knaben nacheinander in verschieden gerichtete
Bildungsanstalten zu bringen, um sie etwa in allen Sätteln
gerecht zu machen, sondern daß sie immer einen von A bis
Z geschlossenen Bildungsgang durchmachen sollen. Die El-
tern bemühen sich, frühzeitig über die Begabung und den
zukünftigen Beruf ihrer Knaben klar zu werden, und dann
wird frisch gehandelt. Passiert aber das Unglück, daß ein
Knabe das Gymnasium durchläuft und dann doch nicht
zum Studium kommt, so bedauert man vielleicht, daß er
verhältnismäßig nicht firmer in den modernen Sprachen ist;
man hält ihn aber darum doch noch nicht für ungeeignet
für das praktische Leben. Viel schlimmer wäre, wenn er zum
Studium mit ungenügender Vorbildung käme, am schlimm-
sten, wenn ihm dies Studium wirklich Herzenssache sein

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esse der studierenden Frauen als der Würde der Universität.
Endlich beginnt ja auch in Deutschland die Jmmatrikulation
möglich zu werden, und wohl nicht zufällig in dem Teile,
in dem man auch wirkliche Mädchengymnasien zuläßt. Viele
Länder sind uns in der Fürsorge für diese Mädchenbildung
voraus, besonders wir Norddeutschen marschieren besonnen
und zögernd nach, Schritt vor Schritt sorgfältigst überlegend.

Erschwert wird die Entscheidung über die beste Art der
Vorbereitung durch den momentan tobenden Kampf um
die Schulreform, den wir der jungen Sache der wissen-
schaftlichen Frauenbildung gern ersparen möchten. Aeußer-
lich erleichtert wird sie sehr einfach dadurch, daß in Preußen
bis jetzt nur Gymnasialkurse, neuerdings wenigstens fünf-
jährige, an die absolvierte Mädchenschule anschließend, ge-
stattet werden. Praktisch ist uns also jede Entscheidung ge-
nommen für andere Arten, z. B. Vollgymnasium, Einheits-
schule mit Gabelung, Reformgymnasium, Realschule. Eine
Beratung darüber ist vorläufig Danaidenarbeit. Aber es
sei uns wenigstens vergönnt, im Blick auf die Zukunft
andere Wege theoretisch zu erörtern. Dabei alle das Hin
und Her, die verschiedenen Ansichten über Wesen, Aufgabe
und Mittel der höchsten Bildung hier noch einmal durch-
zusprechen, wie sie jede Streitschrift über Schulreform bringt,
würde sehr langweilig und darum fruchtlos sein. Beachtens-
wert ist aber, daß auch die eifrigsten Reformer nie ver-
suchen, die Knaben nacheinander in verschieden gerichtete
Bildungsanstalten zu bringen, um sie etwa in allen Sätteln
gerecht zu machen, sondern daß sie immer einen von A bis
Z geschlossenen Bildungsgang durchmachen sollen. Die El-
tern bemühen sich, frühzeitig über die Begabung und den
zukünftigen Beruf ihrer Knaben klar zu werden, und dann
wird frisch gehandelt. Passiert aber das Unglück, daß ein
Knabe das Gymnasium durchläuft und dann doch nicht
zum Studium kommt, so bedauert man vielleicht, daß er
verhältnismäßig nicht firmer in den modernen Sprachen ist;
man hält ihn aber darum doch noch nicht für ungeeignet
für das praktische Leben. Viel schlimmer wäre, wenn er zum
Studium mit ungenügender Vorbildung käme, am schlimm-
sten, wenn ihm dies Studium wirklich Herzenssache sein

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Frauenstudium, betreut von Andreas Neumann und Anna Pfundt, FSU Jena und JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2022-07-13T16:21:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Dennis Dietrich: Bearbeitung der digitalen Edition. (2022-07-13T16:21:42Z)

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Zitationshilfe: Martin, Marie: Soll die christliche Frau studieren? In: Martin, Marie et al.: Soll die christliche Frau studieren? Die Hausindustrie der Frauen in Berlin. Der neue Gewerkverein der Heimarbeiterinnen für Kleider- und Wäschekonfektion. Berlin, 1901 (= Hefte der Freien Kirchlich-Sozialen Konferenz, Bd. 17). S. 3–21, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martin_frau_1901/19>, abgerufen am 16.04.2024.