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Martin, Marie: Soll die christliche Frau studieren? In: Martin, Marie et al.: Soll die christliche Frau studieren? Die Hausindustrie der Frauen in Berlin. Der neue Gewerkverein der Heimarbeiterinnen für Kleider- und Wäschekonfektion. Berlin, 1901 (= Hefte der Freien Kirchlich-Sozialen Konferenz, Bd. 17). S. 3–21.

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Andrang berufsuchender Frauen darüber hinaus wenig
Stellungen, die das überhaupt möglich machten.

Aber unter den männlichen Berufen unserer Kreise gab
es einige, von denen uns nur das Wissen und die nötige
geistige Schulung, nicht die weibliche Eigenart trennten.
Hatten die Krankenpflegerin, die Hebamme ihren schweren
Beruf ausfüllen können - warum würde das der Aerztin
nicht möglich sein? Schon längst wirkt die Lehrerin segens-
reich auf der Unter- und Mittelstufe - warum muß sie
dem Lehrer auf der Oberstufe weichen, wo es erst recht
gilt, das Weib im heranwachsenden Mädchen zu verstehen
und herauszubilden? Gelang es nur, uns die nötige Aus-
bildung zu verschaffen und die gewohnten Vorurteile zu
besiegen, so war vieler Not ein Ende gemacht.

Aber, verhehlen wir uns nicht: unter diesem Gesichts-
punkt spitzte sich die Frage zum Konkurrenzkampf zu, be-
kam ein hartes, finsteres Gesicht. Sie unterlag nicht mehr
den Gebräuchen der Ritterlichkeit gegen die Dame, sondern
wurde zum scharfen Kampf ums Dasein mit seinen Chancen
von Hammer und Amboß. Wir Schwachen, Begehrenden
stürmen an gegen die Starken, Besitzenden. An diesem
Punkte berühren wir uns mit der Sozialdemokratie, die
uns mit lockender Stimme zu sich hinüberzuziehen sucht.
So können in dem Kampf unsere niederen Leidenschaften
erwachen, und der Mann als unser Gegner ist auch nicht
immer
edel gegen uns. Die gegenseitigen Waffen blei-
ben nicht immer vornehm wahr. Derselbe Mann, der die
anstrengendsten, erniedrigendsten Frauenberufe, der das
Kellnerinnenunwesen, das Lohnelend der Heimarbeite-
rinnen und Schlimmeres achselzuckend duldet, erhitzt sich
plötzlich als Schützer edler Weiblichkeit, sobald wir sein
Tabu, die wissenschaftliche Bildung, antasten wollen. Wir
dagegen thun jetzt oft, als liefere man die Schülerin dem
männlichen Lehrer, die kranke Frau dem Arzte aus, wie
das Lamm dem Wolfe. Wir stellen damit unsern Aerzten
und Lehrern, denen wir soviel Gutes verdanken, ein sehr
unverdientes Mißtrauensvotum aus, das sie kränken und
gegen unsere Bestrebungen erbittern muß.


Andrang berufsuchender Frauen darüber hinaus wenig
Stellungen, die das überhaupt möglich machten.

Aber unter den männlichen Berufen unserer Kreise gab
es einige, von denen uns nur das Wissen und die nötige
geistige Schulung, nicht die weibliche Eigenart trennten.
Hatten die Krankenpflegerin, die Hebamme ihren schweren
Beruf ausfüllen können – warum würde das der Aerztin
nicht möglich sein? Schon längst wirkt die Lehrerin segens-
reich auf der Unter- und Mittelstufe – warum muß sie
dem Lehrer auf der Oberstufe weichen, wo es erst recht
gilt, das Weib im heranwachsenden Mädchen zu verstehen
und herauszubilden? Gelang es nur, uns die nötige Aus-
bildung zu verschaffen und die gewohnten Vorurteile zu
besiegen, so war vieler Not ein Ende gemacht.

Aber, verhehlen wir uns nicht: unter diesem Gesichts-
punkt spitzte sich die Frage zum Konkurrenzkampf zu, be-
kam ein hartes, finsteres Gesicht. Sie unterlag nicht mehr
den Gebräuchen der Ritterlichkeit gegen die Dame, sondern
wurde zum scharfen Kampf ums Dasein mit seinen Chancen
von Hammer und Amboß. Wir Schwachen, Begehrenden
stürmen an gegen die Starken, Besitzenden. An diesem
Punkte berühren wir uns mit der Sozialdemokratie, die
uns mit lockender Stimme zu sich hinüberzuziehen sucht.
So können in dem Kampf unsere niederen Leidenschaften
erwachen, und der Mann als unser Gegner ist auch nicht
immer
edel gegen uns. Die gegenseitigen Waffen blei-
ben nicht immer vornehm wahr. Derselbe Mann, der die
anstrengendsten, erniedrigendsten Frauenberufe, der das
Kellnerinnenunwesen, das Lohnelend der Heimarbeite-
rinnen und Schlimmeres achselzuckend duldet, erhitzt sich
plötzlich als Schützer edler Weiblichkeit, sobald wir sein
Tabu, die wissenschaftliche Bildung, antasten wollen. Wir
dagegen thun jetzt oft, als liefere man die Schülerin dem
männlichen Lehrer, die kranke Frau dem Arzte aus, wie
das Lamm dem Wolfe. Wir stellen damit unsern Aerzten
und Lehrern, denen wir soviel Gutes verdanken, ein sehr
unverdientes Mißtrauensvotum aus, das sie kränken und
gegen unsere Bestrebungen erbittern muß.


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[5/0005] Andrang berufsuchender Frauen darüber hinaus wenig Stellungen, die das überhaupt möglich machten. Aber unter den männlichen Berufen unserer Kreise gab es einige, von denen uns nur das Wissen und die nötige geistige Schulung, nicht die weibliche Eigenart trennten. Hatten die Krankenpflegerin, die Hebamme ihren schweren Beruf ausfüllen können – warum würde das der Aerztin nicht möglich sein? Schon längst wirkt die Lehrerin segens- reich auf der Unter- und Mittelstufe – warum muß sie dem Lehrer auf der Oberstufe weichen, wo es erst recht gilt, das Weib im heranwachsenden Mädchen zu verstehen und herauszubilden? Gelang es nur, uns die nötige Aus- bildung zu verschaffen und die gewohnten Vorurteile zu besiegen, so war vieler Not ein Ende gemacht. Aber, verhehlen wir uns nicht: unter diesem Gesichts- punkt spitzte sich die Frage zum Konkurrenzkampf zu, be- kam ein hartes, finsteres Gesicht. Sie unterlag nicht mehr den Gebräuchen der Ritterlichkeit gegen die Dame, sondern wurde zum scharfen Kampf ums Dasein mit seinen Chancen von Hammer und Amboß. Wir Schwachen, Begehrenden stürmen an gegen die Starken, Besitzenden. An diesem Punkte berühren wir uns mit der Sozialdemokratie, die uns mit lockender Stimme zu sich hinüberzuziehen sucht. So können in dem Kampf unsere niederen Leidenschaften erwachen, und der Mann als unser Gegner ist auch nicht immer edel gegen uns. Die gegenseitigen Waffen blei- ben nicht immer vornehm wahr. Derselbe Mann, der die anstrengendsten, erniedrigendsten Frauenberufe, der das Kellnerinnenunwesen, das Lohnelend der Heimarbeite- rinnen und Schlimmeres achselzuckend duldet, erhitzt sich plötzlich als Schützer edler Weiblichkeit, sobald wir sein Tabu, die wissenschaftliche Bildung, antasten wollen. Wir dagegen thun jetzt oft, als liefere man die Schülerin dem männlichen Lehrer, die kranke Frau dem Arzte aus, wie das Lamm dem Wolfe. Wir stellen damit unsern Aerzten und Lehrern, denen wir soviel Gutes verdanken, ein sehr unverdientes Mißtrauensvotum aus, das sie kränken und gegen unsere Bestrebungen erbittern muß.

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Zitationshilfe: Martin, Marie: Soll die christliche Frau studieren? In: Martin, Marie et al.: Soll die christliche Frau studieren? Die Hausindustrie der Frauen in Berlin. Der neue Gewerkverein der Heimarbeiterinnen für Kleider- und Wäschekonfektion. Berlin, 1901 (= Hefte der Freien Kirchlich-Sozialen Konferenz, Bd. 17). S. 3–21, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martin_frau_1901/5>, abgerufen am 25.04.2024.