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Marx, Karl: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. 2. Aufl. Hamburg, 1869.

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über seine soziale Existenzbedingung, die Parzelle hinausdrängt, sondern der
sie vielmehr befestigen will, nicht das Landvolk, das durch eigne Energie im
Anschluß an die Städte die alte Ordnung umstürzen, sondern umgekehrt
dumpf verschlossen in dieser alten Ordnung sich mitsammt seiner Parzelle
von dem Gespenste des Kaiserthums gerettet und bevorzugt sehen will. Sie
repräsentirt nicht die Aufklärung, sondern den Aberglauben des Bauern,
nicht sein Urtheil, sondern sein Vorurtheil, nicht seine Zukunft, sondern
seine Vergangenheit, nicht seine modernen Cevennen, sondern seine moderne
Vendee.

Die dreijährige harte Herrschaft der parlamentarischen Republik hatte
einen Theil der französischen Bauern von der napoleonischen Illusion befreit
und wenn auch nur noch oberflächlich revolutionirt, aber die Bourgeoisie warf
sie gewaltsam zurück, so oft sie sich in Bewegung setzten. Unter der parla¬
mentarischen Republik rang das moderne mit dem traditionellen Bewußtsein
der französischen Bauern. Der Prozeß ging vor sich in der Form eines un¬
aufhörlichen Kampfes zwischen den Schulmeistern und den Pfaffen. Die
Bourgeoisie schlug die Schulmeister nieder. Die Bauern machten zum ersten
Mal Anstrengungen, der Regierungsthätigkeit gegenüber sich selbstständig zu
verhalten. Es erschien dies in dem fortgesetzten Konflikte der Maires mit
den Präfekten. Die Bourgeoisie setzte die Maires ab. Endlich erhoben sich
die Bauern verschiedener Orte während der Periode, der parlamentarischen
Republik gegen ihre eigne Ausgeburt, die Armee. Die Bourgeoisie bestrafte
sie mit Belagerungszuständen und Exekutionen. Und dieselbe Bourgeoisie
schreit jetzt über die Stupidität der Massen, der vile multitude, die sie an Bo¬
naparte verrathen habe. Sie selbst hat den Imperialismus der Bauernklasse
gewaltsam befestigt, sie hielt die Zustände fest, die die Geburtsstätte dieser
Bauernreligion bilden. Allerdings muß die Bourgeoisie die Dummheit der
Massen fürchten, so lange sie konservativ bleiben, und die Einsicht der Massen,
sobald sie revolutionär werden.

In den Aufständen nach dem coup d'etat protestirte ein Theil der
französischen Bauern mit den Waffen in der Hand gegen sein eignes Votum
vom 10. Dezember 1848. Die Schule seit 1848 hatte sie gewitzigt.
Allein sie hatten sich der geschichtlichen Unterwelt verschrieben, die Geschichte
hielt sie beim Worte und noch war die Mehrzahl so befangen, daß gerade in
den rothesten Departements die Bauernbevölkerung öffentlich für Bonaparte
stimmte. Die Nationalversammlung hatte ihn nach ihrer Ansicht am Gehn

über ſeine ſoziale Exiſtenzbedingung, die Parzelle hinausdrängt, ſondern der
ſie vielmehr befeſtigen will, nicht das Landvolk, das durch eigne Energie im
Anſchluß an die Städte die alte Ordnung umſtürzen, ſondern umgekehrt
dumpf verſchloſſen in dieſer alten Ordnung ſich mitſammt ſeiner Parzelle
von dem Geſpenſte des Kaiſerthums gerettet und bevorzugt ſehen will. Sie
repräſentirt nicht die Aufklärung, ſondern den Aberglauben des Bauern,
nicht ſein Urtheil, ſondern ſein Vorurtheil, nicht ſeine Zukunft, ſondern
ſeine Vergangenheit, nicht ſeine modernen Cevennen, ſondern ſeine moderne
Vendee.

Die dreijährige harte Herrſchaft der parlamentariſchen Republik hatte
einen Theil der franzöſiſchen Bauern von der napoleoniſchen Illuſion befreit
und wenn auch nur noch oberflächlich revolutionirt, aber die Bourgeoiſie warf
ſie gewaltſam zurück, ſo oft ſie ſich in Bewegung ſetzten. Unter der parla¬
mentariſchen Republik rang das moderne mit dem traditionellen Bewußtſein
der franzöſiſchen Bauern. Der Prozeß ging vor ſich in der Form eines un¬
aufhörlichen Kampfes zwiſchen den Schulmeiſtern und den Pfaffen. Die
Bourgeoiſie ſchlug die Schulmeiſter nieder. Die Bauern machten zum erſten
Mal Anſtrengungen, der Regierungsthätigkeit gegenüber ſich ſelbſtſtändig zu
verhalten. Es erſchien dies in dem fortgeſetzten Konflikte der Maires mit
den Präfekten. Die Bourgeoiſie ſetzte die Maires ab. Endlich erhoben ſich
die Bauern verſchiedener Orte während der Periode, der parlamentariſchen
Republik gegen ihre eigne Ausgeburt, die Armee. Die Bourgeoiſie beſtrafte
ſie mit Belagerungszuſtänden und Exekutionen. Und dieſelbe Bourgeoiſie
ſchreit jetzt über die Stupidität der Maſſen, der vile multitude, die ſie an Bo¬
naparte verrathen habe. Sie ſelbſt hat den Imperialismus der Bauernklaſſe
gewaltſam befeſtigt, ſie hielt die Zuſtände feſt, die die Geburtsſtätte dieſer
Bauernreligion bilden. Allerdings muß die Bourgeoiſie die Dummheit der
Maſſen fürchten, ſo lange ſie konſervativ bleiben, und die Einſicht der Maſſen,
ſobald ſie revolutionär werden.

In den Aufſtänden nach dem coup d'état proteſtirte ein Theil der
franzöſiſchen Bauern mit den Waffen in der Hand gegen ſein eignes Votum
vom 10. Dezember 1848. Die Schule ſeit 1848 hatte ſie gewitzigt.
Allein ſie hatten ſich der geſchichtlichen Unterwelt verſchrieben, die Geſchichte
hielt ſie beim Worte und noch war die Mehrzahl ſo befangen, daß gerade in
den rotheſten Departements die Bauernbevölkerung öffentlich für Bonaparte
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[90/0102] über ſeine ſoziale Exiſtenzbedingung, die Parzelle hinausdrängt, ſondern der ſie vielmehr befeſtigen will, nicht das Landvolk, das durch eigne Energie im Anſchluß an die Städte die alte Ordnung umſtürzen, ſondern umgekehrt dumpf verſchloſſen in dieſer alten Ordnung ſich mitſammt ſeiner Parzelle von dem Geſpenſte des Kaiſerthums gerettet und bevorzugt ſehen will. Sie repräſentirt nicht die Aufklärung, ſondern den Aberglauben des Bauern, nicht ſein Urtheil, ſondern ſein Vorurtheil, nicht ſeine Zukunft, ſondern ſeine Vergangenheit, nicht ſeine modernen Cevennen, ſondern ſeine moderne Vendee. Die dreijährige harte Herrſchaft der parlamentariſchen Republik hatte einen Theil der franzöſiſchen Bauern von der napoleoniſchen Illuſion befreit und wenn auch nur noch oberflächlich revolutionirt, aber die Bourgeoiſie warf ſie gewaltſam zurück, ſo oft ſie ſich in Bewegung ſetzten. Unter der parla¬ mentariſchen Republik rang das moderne mit dem traditionellen Bewußtſein der franzöſiſchen Bauern. Der Prozeß ging vor ſich in der Form eines un¬ aufhörlichen Kampfes zwiſchen den Schulmeiſtern und den Pfaffen. Die Bourgeoiſie ſchlug die Schulmeiſter nieder. Die Bauern machten zum erſten Mal Anſtrengungen, der Regierungsthätigkeit gegenüber ſich ſelbſtſtändig zu verhalten. Es erſchien dies in dem fortgeſetzten Konflikte der Maires mit den Präfekten. Die Bourgeoiſie ſetzte die Maires ab. Endlich erhoben ſich die Bauern verſchiedener Orte während der Periode, der parlamentariſchen Republik gegen ihre eigne Ausgeburt, die Armee. Die Bourgeoiſie beſtrafte ſie mit Belagerungszuſtänden und Exekutionen. Und dieſelbe Bourgeoiſie ſchreit jetzt über die Stupidität der Maſſen, der vile multitude, die ſie an Bo¬ naparte verrathen habe. Sie ſelbſt hat den Imperialismus der Bauernklaſſe gewaltſam befeſtigt, ſie hielt die Zuſtände feſt, die die Geburtsſtätte dieſer Bauernreligion bilden. Allerdings muß die Bourgeoiſie die Dummheit der Maſſen fürchten, ſo lange ſie konſervativ bleiben, und die Einſicht der Maſſen, ſobald ſie revolutionär werden. In den Aufſtänden nach dem coup d'état proteſtirte ein Theil der franzöſiſchen Bauern mit den Waffen in der Hand gegen ſein eignes Votum vom 10. Dezember 1848. Die Schule ſeit 1848 hatte ſie gewitzigt. Allein ſie hatten ſich der geſchichtlichen Unterwelt verſchrieben, die Geſchichte hielt ſie beim Worte und noch war die Mehrzahl ſo befangen, daß gerade in den rotheſten Departements die Bauernbevölkerung öffentlich für Bonaparte ſtimmte. Die Nationalverſammlung hatte ihn nach ihrer Anſicht am Gehn

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Zitationshilfe: Marx, Karl: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. 2. Aufl. Hamburg, 1869, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_bonaparte_1869/102>, abgerufen am 16.05.2024.