Verachtung aller Klassen, als während dieser Periode. Nie herrschte die Bourgeoisie unbedingter, nie trug sie prahlerischer die Insignien der Herr¬ schaft zur Schau.
Ich habe hier nicht die Geschichte ihrer gesetzgeberischen Thätigkeit zu schreiben, die sich während dieser Periode in zwei Gesetzen resümirt: in dem Gesetze, das die Weinsteuer wiederherstellt, in dem Unterrichtsge¬ setze, das den Unglauben abschafft. Wenn den Franzosen das Weintrinken erschwert, ward ihnen desto reichlicher vom Wasser des wahren Lebens ge¬ schenkt. Wenn die Bourgeoisie in dem Gesetze über die Weinsteuer das alte gehässige französische Steuersystem für unantastbar erklärt, suchte sie durch das Unterrichtsgesetz den alten Gemüthszustand der Massen zu sichern, der es ertragen ließ. Man ist erstaunt, die Orleanisten, die liberalen Bourgeois, diese alten Apostel des Voltairianismus und der eklektischen Philosophie, ihren Stammfeinden, den Jesuiten, die Verwaltung des französischen Geistes an¬ vertrauen zu sehn. Aber Orleanisten und Legitimisten konnten in Be¬ ziehung auf den Kronprätendenten auseinandergehn, sie begriffen, daß ihre vereinte Herrschaft die Unterdrückungsmittel zweier Epochen zu vereinigen gebot, daß die Unterjochungsmittel der Julimonarchie durch die Unterjochungs¬ mittel der Restauration ergänzt und verstärkt werden mußten.
Die Bauern, in allen ihren Hoffnungen getäuscht, durch den niedrigen Stand der Getreidepreise einerseits, durch die wachsende Steuerlast und Hypothekenschuld andrerseits mehr als je erdrückt, begannen sich in den Depar¬ tements zu regen. Man antwortete ihnen durch eine Hetzjagd auf die Schul¬ meister, die den Geistlichen, durch eine Hetzjagd auf die Maires, die den Präfekten, und durch ein System der Spionage, dem Alle unterworfen wur¬ den. In Paris und den großen Städten trägt die Reaktion selbst die Physiognomie ihrer Epoche und fordert mehr heraus, als sie niederschlägt. Auf dem Lande wird sie platt, gemein, kleinlich, ermüdend, plackend, mit einem Worte Gensdarm. Man begreift, wie drei Jahre vom Regime des Gensdarmen, eingesegnet durch das Regime des Pfaffen, unreife Massen demoralisiren mußten.
Welche Summe von Leidenschaft und Deklamation die Ordnungspartei von der Tribüne der Nationalversammlung herab gegen die Minorität auf¬ wenden mochte, ihre Rede blieb einsylbig, wie die des Christen, dessen Worte sein sollen: Ja, ja, nein, nein! Einsylbig von der Tribüne herab, wie in der Presse. Fad wie ein Räthsel, dessen Lösung im voraus bekannt ist.
Verachtung aller Klaſſen, als während dieſer Periode. Nie herrſchte die Bourgeoiſie unbedingter, nie trug ſie prahleriſcher die Inſignien der Herr¬ ſchaft zur Schau.
Ich habe hier nicht die Geſchichte ihrer geſetzgeberiſchen Thätigkeit zu ſchreiben, die ſich während dieſer Periode in zwei Geſetzen reſümirt: in dem Geſetze, das die Weinſteuer wiederherſtellt, in dem Unterrichtsge¬ ſetze, das den Unglauben abſchafft. Wenn den Franzoſen das Weintrinken erſchwert, ward ihnen deſto reichlicher vom Waſſer des wahren Lebens ge¬ ſchenkt. Wenn die Bourgeoiſie in dem Geſetze über die Weinſteuer das alte gehäſſige franzöſiſche Steuerſyſtem für unantaſtbar erklärt, ſuchte ſie durch das Unterrichtsgeſetz den alten Gemüthszuſtand der Maſſen zu ſichern, der es ertragen ließ. Man iſt erſtaunt, die Orleaniſten, die liberalen Bourgeois, dieſe alten Apoſtel des Voltairianismus und der eklektiſchen Philoſophie, ihren Stammfeinden, den Jeſuiten, die Verwaltung des franzöſiſchen Geiſtes an¬ vertrauen zu ſehn. Aber Orleaniſten und Legitimiſten konnten in Be¬ ziehung auf den Kronprätendenten auseinandergehn, ſie begriffen, daß ihre vereinte Herrſchaft die Unterdrückungsmittel zweier Epochen zu vereinigen gebot, daß die Unterjochungsmittel der Julimonarchie durch die Unterjochungs¬ mittel der Reſtauration ergänzt und verſtärkt werden mußten.
Die Bauern, in allen ihren Hoffnungen getäuſcht, durch den niedrigen Stand der Getreidepreiſe einerſeits, durch die wachſende Steuerlaſt und Hypothekenſchuld andrerſeits mehr als je erdrückt, begannen ſich in den Depar¬ tements zu regen. Man antwortete ihnen durch eine Hetzjagd auf die Schul¬ meiſter, die den Geiſtlichen, durch eine Hetzjagd auf die Maires, die den Präfekten, und durch ein Syſtem der Spionage, dem Alle unterworfen wur¬ den. In Paris und den großen Städten trägt die Reaktion ſelbſt die Phyſiognomie ihrer Epoche und fordert mehr heraus, als ſie niederſchlägt. Auf dem Lande wird ſie platt, gemein, kleinlich, ermüdend, plackend, mit einem Worte Gensdarm. Man begreift, wie drei Jahre vom Regime des Gensdarmen, eingeſegnet durch das Regime des Pfaffen, unreife Maſſen demoraliſiren mußten.
Welche Summe von Leidenſchaft und Deklamation die Ordnungspartei von der Tribüne der Nationalverſammlung herab gegen die Minorität auf¬ wenden mochte, ihre Rede blieb einſylbig, wie die des Chriſten, deſſen Worte ſein ſollen: Ja, ja, nein, nein! Einſylbig von der Tribüne herab, wie in der Preſſe. Fad wie ein Räthſel, deſſen Löſung im voraus bekannt iſt.
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Verachtung aller Klaſſen, als während dieſer Periode. Nie herrſchte die
Bourgeoiſie unbedingter, nie trug ſie prahleriſcher die Inſignien der Herr¬
ſchaft zur Schau.
Ich habe hier nicht die Geſchichte ihrer geſetzgeberiſchen Thätigkeit zu
ſchreiben, die ſich während dieſer Periode in zwei Geſetzen reſümirt: in dem
Geſetze, das die Weinſteuer wiederherſtellt, in dem Unterrichtsge¬
ſetze, das den Unglauben abſchafft. Wenn den Franzoſen das Weintrinken
erſchwert, ward ihnen deſto reichlicher vom Waſſer des wahren Lebens ge¬
ſchenkt. Wenn die Bourgeoiſie in dem Geſetze über die Weinſteuer das alte
gehäſſige franzöſiſche Steuerſyſtem für unantaſtbar erklärt, ſuchte ſie durch
das Unterrichtsgeſetz den alten Gemüthszuſtand der Maſſen zu ſichern, der
es ertragen ließ. Man iſt erſtaunt, die Orleaniſten, die liberalen Bourgeois,
dieſe alten Apoſtel des Voltairianismus und der eklektiſchen Philoſophie, ihren
Stammfeinden, den Jeſuiten, die Verwaltung des franzöſiſchen Geiſtes an¬
vertrauen zu ſehn. Aber Orleaniſten und Legitimiſten konnten in Be¬
ziehung auf den Kronprätendenten auseinandergehn, ſie begriffen, daß ihre
vereinte Herrſchaft die Unterdrückungsmittel zweier Epochen zu vereinigen
gebot, daß die Unterjochungsmittel der Julimonarchie durch die Unterjochungs¬
mittel der Reſtauration ergänzt und verſtärkt werden mußten.
Die Bauern, in allen ihren Hoffnungen getäuſcht, durch den niedrigen
Stand der Getreidepreiſe einerſeits, durch die wachſende Steuerlaſt und
Hypothekenſchuld andrerſeits mehr als je erdrückt, begannen ſich in den Depar¬
tements zu regen. Man antwortete ihnen durch eine Hetzjagd auf die Schul¬
meiſter, die den Geiſtlichen, durch eine Hetzjagd auf die Maires, die den
Präfekten, und durch ein Syſtem der Spionage, dem Alle unterworfen wur¬
den. In Paris und den großen Städten trägt die Reaktion ſelbſt die
Phyſiognomie ihrer Epoche und fordert mehr heraus, als ſie niederſchlägt.
Auf dem Lande wird ſie platt, gemein, kleinlich, ermüdend, plackend, mit
einem Worte Gensdarm. Man begreift, wie drei Jahre vom Regime des
Gensdarmen, eingeſegnet durch das Regime des Pfaffen, unreife Maſſen
demoraliſiren mußten.
Welche Summe von Leidenſchaft und Deklamation die Ordnungspartei
von der Tribüne der Nationalverſammlung herab gegen die Minorität auf¬
wenden mochte, ihre Rede blieb einſylbig, wie die des Chriſten, deſſen Worte
ſein ſollen: Ja, ja, nein, nein! Einſylbig von der Tribüne herab, wie in
der Preſſe. Fad wie ein Räthſel, deſſen Löſung im voraus bekannt iſt.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Diese zweite, von Marx überarbeitete Fassung des … [mehr]
Diese zweite, von Marx überarbeitete Fassung des "Brumaire" erschien 1869 in Hamburg. Sie ist die erste selbstständige Publikation des Textes, der zuerst als Heft 1 (1851) der Zeitschrift "Die Revolution. Eine Zeitschrift in zwanglosen Heften" erschien, und wurde daher gemäß den Leitlinien des DTA für die Digitalisierung zugrunde gelegt.
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Marx, Karl: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. 2. Aufl. Hamburg, 1869, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_bonaparte_1869/52>, abgerufen am 02.03.2025.
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