tarische Regime behaupten wollen, dieses Regime, das nach dem Aus¬ drucke eines ihrer Redner im Kampfe und durch den Kampf lebt? Das par¬ lamentarische Regime lebt von der Diskussion, wie soll es die Diskussion verbieten? Jedes Interesse, jede gesellschaftliche Einrichtung wird hier in allge¬ meine Gedanken verwandelt, als Gedanken verhandelt, wie soll irgend ein Inter¬ esse, eine Einrichtung sich über dem Denken behaupten und als Glaubensartikel imponiren? Der Rednerkampf auf der Tribüne ruft den Kampf der Pre߬ bengel hervor, der debattirende Klub im Parlament ergänzt sich nothwendig durch debattirende Klubs in den Salons und in den Kneipen, die Repräsen¬ tanten, die beständig an die Volksmeinung appelliren, berechtigen die Volks¬ meinung, in Petitionen ihre wirkliche Meinung zu sagen. Das parlamen¬ tarische Regime überläßt Alles der Entscheidung der Majoritäten, wie sollen die großen Majoritäten jenseits des Parlaments nicht entscheiden wollen? Wenn ihr auf dem Gipfel des Staates die Geige streicht, was Andres erwar¬ ten, als daß die drunten tanzen?
Indem also die Bourgeoisie, was sie früher als "liberal" gefeiert, jetzt als "sozialistisch" verketzert, gesteht sie ein, daß ihr eignes Interesse gebietet, sie der Gefahr des Selbstregierens zu überheben, daß um die Ruhe im Lande herzustellen, vor Allem ihr Bourgeois-Parlament zur Ruhe gebracht, um ihre gesellschaftliche Macht unversehrt zu erhalten, ihre politische Macht gebrochen werden müsse, daß die Privatbourgeois nur fortfahren können, die andern Klassen zu exploitiren und sich ungetrübt des Eigenthums, der Familie, der Religion und der Ordnung zu erfreuen, unter der Bedingung, daß ihre Klasse neben den andern Klassen zu gleicher politischer Nichtigkeit verdammt werde, daß um ihren Beutel zu retten, die Krone ihr abgeschlagen und das Schwert, das sie beschützen solle, zugleich als Damoklesschwert über ihr eignes Haupt gehängt werden müsse.
In dem Bereiche der allgemeinen bürgerlichen Interessen zeigte sich die Nationalversammlung so unproduktiv, daß z. B. die Verhandlungen über die Paris-Avignoner Eisenbahn, die im Winter 1850 begannen, am 2. Dezem¬ ber 1851 noch nicht zum Schluß reif waren. Wo sie nicht unterdrückte, reagirte, war sie mit unheilbarer Unfruchtbarkeit geschlagen.
Während Bonaparte's Ministerium theils die Initiative zu Gesetzen im Geiste der Ordnungspartei ergriff; theils ihre Härte in der Ausführung und Handhabung noch übertrieb, suchte er andrerseits durch kindisch alberne Vor¬ schläge Popularität zu erobern, seinen Gegensatz zur Nationalversammlung
tariſche Regime behaupten wollen, dieſes Regime, das nach dem Aus¬ drucke eines ihrer Redner im Kampfe und durch den Kampf lebt? Das par¬ lamentariſche Regime lebt von der Diskuſſion, wie ſoll es die Diskuſſion verbieten? Jedes Intereſſe, jede geſellſchaftliche Einrichtung wird hier in allge¬ meine Gedanken verwandelt, als Gedanken verhandelt, wie ſoll irgend ein Inter¬ eſſe, eine Einrichtung ſich über dem Denken behaupten und als Glaubensartikel imponiren? Der Rednerkampf auf der Tribüne ruft den Kampf der Pre߬ bengel hervor, der debattirende Klub im Parlament ergänzt ſich nothwendig durch debattirende Klubs in den Salons und in den Kneipen, die Repräſen¬ tanten, die beſtändig an die Volksmeinung appelliren, berechtigen die Volks¬ meinung, in Petitionen ihre wirkliche Meinung zu ſagen. Das parlamen¬ tariſche Regime überläßt Alles der Entſcheidung der Majoritäten, wie ſollen die großen Majoritäten jenſeits des Parlaments nicht entſcheiden wollen? Wenn ihr auf dem Gipfel des Staates die Geige ſtreicht, was Andres erwar¬ ten, als daß die drunten tanzen?
Indem alſo die Bourgeoiſie, was ſie früher als „liberal“ gefeiert, jetzt als „ſozialiſtiſch“ verketzert, geſteht ſie ein, daß ihr eignes Intereſſe gebietet, ſie der Gefahr des Selbſtregierens zu überheben, daß um die Ruhe im Lande herzuſtellen, vor Allem ihr Bourgeois-Parlament zur Ruhe gebracht, um ihre geſellſchaftliche Macht unverſehrt zu erhalten, ihre politiſche Macht gebrochen werden müſſe, daß die Privatbourgeois nur fortfahren können, die andern Klaſſen zu exploitiren und ſich ungetrübt des Eigenthums, der Familie, der Religion und der Ordnung zu erfreuen, unter der Bedingung, daß ihre Klaſſe neben den andern Klaſſen zu gleicher politiſcher Nichtigkeit verdammt werde, daß um ihren Beutel zu retten, die Krone ihr abgeſchlagen und das Schwert, das ſie beſchützen ſolle, zugleich als Damoklesſchwert über ihr eignes Haupt gehängt werden müſſe.
In dem Bereiche der allgemeinen bürgerlichen Intereſſen zeigte ſich die Nationalverſammlung ſo unproduktiv, daß z. B. die Verhandlungen über die Paris-Avignoner Eiſenbahn, die im Winter 1850 begannen, am 2. Dezem¬ ber 1851 noch nicht zum Schluß reif waren. Wo ſie nicht unterdrückte, reagirte, war ſie mit unheilbarer Unfruchtbarkeit geſchlagen.
Während Bonaparte's Miniſterium theils die Initiative zu Geſetzen im Geiſte der Ordnungspartei ergriff; theils ihre Härte in der Ausführung und Handhabung noch übertrieb, ſuchte er andrerſeits durch kindiſch alberne Vor¬ ſchläge Popularität zu erobern, ſeinen Gegenſatz zur Nationalverſammlung
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tariſche Regime behaupten wollen, dieſes Regime, das nach dem Aus¬
drucke eines ihrer Redner im Kampfe und durch den Kampf lebt? Das par¬
lamentariſche Regime lebt von der Diskuſſion, wie ſoll es die Diskuſſion
verbieten? Jedes Intereſſe, jede geſellſchaftliche Einrichtung wird hier in allge¬
meine Gedanken verwandelt, als Gedanken verhandelt, wie ſoll irgend ein Inter¬
eſſe, eine Einrichtung ſich über dem Denken behaupten und als Glaubensartikel
imponiren? Der Rednerkampf auf der Tribüne ruft den Kampf der Pre߬
bengel hervor, der debattirende Klub im Parlament ergänzt ſich nothwendig
durch debattirende Klubs in den Salons und in den Kneipen, die Repräſen¬
tanten, die beſtändig an die Volksmeinung appelliren, berechtigen die Volks¬
meinung, in Petitionen ihre wirkliche Meinung zu ſagen. Das parlamen¬
tariſche Regime überläßt Alles der Entſcheidung der Majoritäten, wie ſollen
die großen Majoritäten jenſeits des Parlaments nicht entſcheiden wollen?
Wenn ihr auf dem Gipfel des Staates die Geige ſtreicht, was Andres erwar¬
ten, als daß die drunten tanzen?
Indem alſo die Bourgeoiſie, was ſie früher als „liberal“ gefeiert,
jetzt als „ſozialiſtiſch“ verketzert, geſteht ſie ein, daß ihr eignes Intereſſe
gebietet, ſie der Gefahr des Selbſtregierens zu überheben, daß um die Ruhe
im Lande herzuſtellen, vor Allem ihr Bourgeois-Parlament zur Ruhe gebracht,
um ihre geſellſchaftliche Macht unverſehrt zu erhalten, ihre politiſche Macht
gebrochen werden müſſe, daß die Privatbourgeois nur fortfahren können, die
andern Klaſſen zu exploitiren und ſich ungetrübt des Eigenthums, der Familie,
der Religion und der Ordnung zu erfreuen, unter der Bedingung, daß ihre
Klaſſe neben den andern Klaſſen zu gleicher politiſcher Nichtigkeit verdammt
werde, daß um ihren Beutel zu retten, die Krone ihr abgeſchlagen und das
Schwert, das ſie beſchützen ſolle, zugleich als Damoklesſchwert über ihr eignes
Haupt gehängt werden müſſe.
In dem Bereiche der allgemeinen bürgerlichen Intereſſen zeigte ſich die
Nationalverſammlung ſo unproduktiv, daß z. B. die Verhandlungen über die
Paris-Avignoner Eiſenbahn, die im Winter 1850 begannen, am 2. Dezem¬
ber 1851 noch nicht zum Schluß reif waren. Wo ſie nicht unterdrückte,
reagirte, war ſie mit unheilbarer Unfruchtbarkeit geſchlagen.
Während Bonaparte's Miniſterium theils die Initiative zu Geſetzen im
Geiſte der Ordnungspartei ergriff; theils ihre Härte in der Ausführung und
Handhabung noch übertrieb, ſuchte er andrerſeits durch kindiſch alberne Vor¬
ſchläge Popularität zu erobern, ſeinen Gegenſatz zur Nationalverſammlung
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Diese zweite, von Marx überarbeitete Fassung des … [mehr]
Diese zweite, von Marx überarbeitete Fassung des "Brumaire" erschien 1869 in Hamburg. Sie ist die erste selbstständige Publikation des Textes, der zuerst als Heft 1 (1851) der Zeitschrift "Die Revolution. Eine Zeitschrift in zwanglosen Heften" erschien, und wurde daher gemäß den Leitlinien des DTA für die Digitalisierung zugrunde gelegt.
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Marx, Karl: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. 2. Aufl. Hamburg, 1869, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_bonaparte_1869/54>, abgerufen am 02.03.2025.
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