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Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867.

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Die Funktion des Geldes als Zahlungsmittel schliesst einen unvermit-
telten Widerspruch ein. So weit sich die Zahlungen ausgleichen, funktio-
nirt es nur ideell als Rechengeld oder Mass der Werthe. Soweit
wirkliche Zahlung zu verrichten, tritt es nicht als Circulationsmittel auf,
als nur verschwindende und vermittelnde Form des Stoffwechsels, sondern
als die individuelle Incarnation der gesellschaftlichen Arbeit, selbstständiges
Dasein des Tauschwerths, absolute Waare. Dieser Widerspruch eklatirt
in dem Moment der Produktions- und Handelskrisen, der Geldkrise
heisst81). Sie ereignet sich nur, wo die prozessirende Kette der Zahlun-
gen und ein künstliches System ihrer Ausgleichung völlig entwickelt sind.
Mit allgemeineren Störungen dieses Mechanismus, woher sie immer ent-
springen mögen, schlägt das Geld plötzlich und unvermittelt aus der nur
ideellen Gestalt des Rechengeldes in hartes Geld um. Es wird unersetz-
lich durch profane Waaren. Der Gebrauchswerth der Waare wird werth-
los und ihr Werth verschwindet vor seiner eignen Werthform. Eben noch
erklärte der Bürger in prosperitätstrunknem Aufklärungsdünkel das Geld
für leeren Wahn. Nur die Waare ist Geld. Nur das Geld ist Waare!
gellt's jetzt über den Weltmarkt. Wie der Hirsch schreit nach frischem
Wasser, so schreit seine Seele nach Geld, dem einzigen Reichthum82).
In der Krise wird der Gegensatz zwischen der Waare und ihrer Werthgestalt,
dem Geld, bis zum absoluten Widerspruch gesteigert. Die Erscheinungs-
form des Geldes ist hier daher auch gleichgültig. Die Geldhungersnoth

81) Die Geldkrise, wie sie im Text bestimmt ist, als Phase jeder Krise,
ist wohl zu unterscheiden von der besondern Krisenart, die man auch
Geldkrise nennt, die aber ein ganz selbstständiges Phänomen bilden kann, so dass
sie auf Industrie und Handel nur rückschlagend wirkt. Es sind diess Krisen,
deren Bewegungscentrum das Geldkapital ist, und deren unmittelbare Sphäre daher
auch die Sphäre der Haupt- und Staatsaktionen des Geldkapitals, Bank, Börse,
Finanz.
82) "Dieses plötzliche Umschlagen aus dem Kreditsystem in das Monetar-
system fügt den theoretischen Schrecken zum praktischen Panik: und die Circu-
lationsagenten schaudern vor dem undurchdringlichen Geheimniss ihrer eignen
Verhältnisse." (Karl Marx l. c. p. 126.) "The Poor stand still, because
the Rich have no Money to employ them, though they have the same land and
hands to provide victuals and cloaths, as ever they had; which is the true Riches
of a Nation, and not the Money." (John Bellers: "Proposals forrais-
ing a Colledge of Industry. Lond
. 1696", p. 3.)
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Die Funktion des Geldes als Zahlungsmittel schliesst einen unvermit-
telten Widerspruch ein. So weit sich die Zahlungen ausgleichen, funktio-
nirt es nur ideell als Rechengeld oder Mass der Werthe. Soweit
wirkliche Zahlung zu verrichten, tritt es nicht als Circulationsmittel auf,
als nur verschwindende und vermittelnde Form des Stoffwechsels, sondern
als die individuelle Incarnation der gesellschaftlichen Arbeit, selbstständiges
Dasein des Tauschwerths, absolute Waare. Dieser Widerspruch eklatirt
in dem Moment der Produktions- und Handelskrisen, der Geldkrise
heisst81). Sie ereignet sich nur, wo die prozessirende Kette der Zahlun-
gen und ein künstliches System ihrer Ausgleichung völlig entwickelt sind.
Mit allgemeineren Störungen dieses Mechanismus, woher sie immer ent-
springen mögen, schlägt das Geld plötzlich und unvermittelt aus der nur
ideellen Gestalt des Rechengeldes in hartes Geld um. Es wird unersetz-
lich durch profane Waaren. Der Gebrauchswerth der Waare wird werth-
los und ihr Werth verschwindet vor seiner eignen Werthform. Eben noch
erklärte der Bürger in prosperitätstrunknem Aufklärungsdünkel das Geld
für leeren Wahn. Nur die Waare ist Geld. Nur das Geld ist Waare!
gellt’s jetzt über den Weltmarkt. Wie der Hirsch schreit nach frischem
Wasser, so schreit seine Seele nach Geld, dem einzigen Reichthum82).
In der Krise wird der Gegensatz zwischen der Waare und ihrer Werthgestalt,
dem Geld, bis zum absoluten Widerspruch gesteigert. Die Erscheinungs-
form des Geldes ist hier daher auch gleichgültig. Die Geldhungersnoth

81) Die Geldkrise, wie sie im Text bestimmt ist, als Phase jeder Krise,
ist wohl zu unterscheiden von der besondern Krisenart, die man auch
Geldkrise nennt, die aber ein ganz selbstständiges Phänomen bilden kann, so dass
sie auf Industrie und Handel nur rückschlagend wirkt. Es sind diess Krisen,
deren Bewegungscentrum das Geldkapital ist, und deren unmittelbare Sphäre daher
auch die Sphäre der Haupt- und Staatsaktionen des Geldkapitals, Bank, Börse,
Finanz.
82) „Dieses plötzliche Umschlagen aus dem Kreditsystem in das Monetar-
system fügt den theoretischen Schrecken zum praktischen Panik: und die Circu-
lationsagenten schaudern vor dem undurchdringlichen Geheimniss ihrer eignen
Verhältnisse.“ (Karl Marx l. c. p. 126.) „The Poor stand still, because
the Rich have no Money to employ them, though they have the same land and
hands to provide victuals and cloaths, as ever they had; which is the true Riches
of a Nation, and not the Money.“ (John Bellers: „Proposals forrais-
ing a Colledge of Industry. Lond
. 1696“, p. 3.)
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[99/0118] Die Funktion des Geldes als Zahlungsmittel schliesst einen unvermit- telten Widerspruch ein. So weit sich die Zahlungen ausgleichen, funktio- nirt es nur ideell als Rechengeld oder Mass der Werthe. Soweit wirkliche Zahlung zu verrichten, tritt es nicht als Circulationsmittel auf, als nur verschwindende und vermittelnde Form des Stoffwechsels, sondern als die individuelle Incarnation der gesellschaftlichen Arbeit, selbstständiges Dasein des Tauschwerths, absolute Waare. Dieser Widerspruch eklatirt in dem Moment der Produktions- und Handelskrisen, der Geldkrise heisst 81). Sie ereignet sich nur, wo die prozessirende Kette der Zahlun- gen und ein künstliches System ihrer Ausgleichung völlig entwickelt sind. Mit allgemeineren Störungen dieses Mechanismus, woher sie immer ent- springen mögen, schlägt das Geld plötzlich und unvermittelt aus der nur ideellen Gestalt des Rechengeldes in hartes Geld um. Es wird unersetz- lich durch profane Waaren. Der Gebrauchswerth der Waare wird werth- los und ihr Werth verschwindet vor seiner eignen Werthform. Eben noch erklärte der Bürger in prosperitätstrunknem Aufklärungsdünkel das Geld für leeren Wahn. Nur die Waare ist Geld. Nur das Geld ist Waare! gellt’s jetzt über den Weltmarkt. Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit seine Seele nach Geld, dem einzigen Reichthum 82). In der Krise wird der Gegensatz zwischen der Waare und ihrer Werthgestalt, dem Geld, bis zum absoluten Widerspruch gesteigert. Die Erscheinungs- form des Geldes ist hier daher auch gleichgültig. Die Geldhungersnoth 81) Die Geldkrise, wie sie im Text bestimmt ist, als Phase jeder Krise, ist wohl zu unterscheiden von der besondern Krisenart, die man auch Geldkrise nennt, die aber ein ganz selbstständiges Phänomen bilden kann, so dass sie auf Industrie und Handel nur rückschlagend wirkt. Es sind diess Krisen, deren Bewegungscentrum das Geldkapital ist, und deren unmittelbare Sphäre daher auch die Sphäre der Haupt- und Staatsaktionen des Geldkapitals, Bank, Börse, Finanz. 82) „Dieses plötzliche Umschlagen aus dem Kreditsystem in das Monetar- system fügt den theoretischen Schrecken zum praktischen Panik: und die Circu- lationsagenten schaudern vor dem undurchdringlichen Geheimniss ihrer eignen Verhältnisse.“ (Karl Marx l. c. p. 126.) „The Poor stand still, because the Rich have no Money to employ them, though they have the same land and hands to provide victuals and cloaths, as ever they had; which is the true Riches of a Nation, and not the Money.“ (John Bellers: „Proposals forrais- ing a Colledge of Industry. Lond. 1696“, p. 3.) 7*

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Zitationshilfe: Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867/118>, abgerufen am 21.11.2024.