Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867.

Bild:
<< vorherige Seite

stag Morgen offner Markt gehalten, worin Kinder beiderlei Geschlechts
vom 9. Jahre an sich selbst an die Londoner Seidenmanufakturen
vermiethen. "Die gewöhnlichen Bedingungen sind 1 sh. 8 d. die Woche
(die den Eltern gehören) und 2 d. für mich selbst nebst Thee." Die
Kontrakte gelten nur für die Woche. Die Scenen und die Sprache wäh-
rend der Dauer dieses Markts sind wahrhaft empörend124). Es kömmt
immer noch in England vor, dass Weiber "Jungen vom Workhouse neh-
men und sie jedem beliebigen Käufer für 2 sh. 6 d. wöchentlich ver-
miethen"125). Trotz der Gesetzgebung werden immer noch mindestens
2000 Jungen in Grossbritannien als lebendige Schornsteinfegmaschinen (ob-
gleich Maschinen zu ihrem Ersatz existiren) von ihren eigenen Eltern ver-
kauft126). Die von der Maschinerie bewirkte Revolution im Rechts-
verhältniss
zwischen Käufer und Verkäufer der Arbeitskraft, so dass die
ganze Transaktion selbst den Schein eines Kontrakts zwischen freien
Personen verliert, bot dem englischen Parlament später den juristischen
Entschuldigungsgrund für Staatseinmischung in das Fabrikwesen.
So oft das Fabrikgesetz die Kinderarbeit in bisher unangefochtnen Indu-
striezweigen auf 6 Stunden beschränkt, ertönt stets neu der Fabrikanten-
jammer: ein Theil der Eltern entziehe die Kinder nun der gemassregelten
Industrie, um sie in solche zu verkaufen, wo noch "Freiheit der Ar-
beit
" herrscht, d. h. wo Kinder unter 13 Jahren gezwungen wer-
den wie Erwachsene zu arbeiten, also auch theurer loszuschlagen sind.
Da aber das Kapital von Natur ein leveller ist, d. h. in allen Produk-
tionssphären Gleichheit der Exploitationsbedingungen der Arbeit als
sein angebornes Menschenrecht verlangt, wird die legale Beschränkung der
Kinderarbeit in einem Industriezweig Ursache ihrer Beschränkung in dem
andern.

Bereits früher wurde der physische Verderb der Kinder und
jungen Personen angedeutet, wie der Arbeiterweiber, welche die Maschi-
nerie erst direkt, in den auf ihrer Grundlage aufschiessenden Fabriken,

124) "Children's Employment Commission. V. Report. Lon-
don
1866", p. 81, n. 31.
125) "Child. Employm. Comm. III. Report. Lond. 1864", p. 53,
n. 15.
126) l. c. V. Report, p. XXII, n. 137.
I. 25

stag Morgen offner Markt gehalten, worin Kinder beiderlei Geschlechts
vom 9. Jahre an sich selbst an die Londoner Seidenmanufakturen
vermiethen. „Die gewöhnlichen Bedingungen sind 1 sh. 8 d. die Woche
(die den Eltern gehören) und 2 d. für mich selbst nebst Thee.“ Die
Kontrakte gelten nur für die Woche. Die Scenen und die Sprache wäh-
rend der Dauer dieses Markts sind wahrhaft empörend124). Es kömmt
immer noch in England vor, dass Weiber „Jungen vom Workhouse neh-
men und sie jedem beliebigen Käufer für 2 sh. 6 d. wöchentlich ver-
miethen“125). Trotz der Gesetzgebung werden immer noch mindestens
2000 Jungen in Grossbritannien als lebendige Schornsteinfegmaschinen (ob-
gleich Maschinen zu ihrem Ersatz existiren) von ihren eigenen Eltern ver-
kauft126). Die von der Maschinerie bewirkte Revolution im Rechts-
verhältniss
zwischen Käufer und Verkäufer der Arbeitskraft, so dass die
ganze Transaktion selbst den Schein eines Kontrakts zwischen freien
Personen verliert, bot dem englischen Parlament später den juristischen
Entschuldigungsgrund für Staatseinmischung in das Fabrikwesen.
So oft das Fabrikgesetz die Kinderarbeit in bisher unangefochtnen Indu-
striezweigen auf 6 Stunden beschränkt, ertönt stets neu der Fabrikanten-
jammer: ein Theil der Eltern entziehe die Kinder nun der gemassregelten
Industrie, um sie in solche zu verkaufen, wo noch „Freiheit der Ar-
beit
“ herrscht, d. h. wo Kinder unter 13 Jahren gezwungen wer-
den wie Erwachsene zu arbeiten, also auch theurer loszuschlagen sind.
Da aber das Kapital von Natur ein leveller ist, d. h. in allen Produk-
tionssphären Gleichheit der Exploitationsbedingungen der Arbeit als
sein angebornes Menschenrecht verlangt, wird die legale Beschränkung der
Kinderarbeit in einem Industriezweig Ursache ihrer Beschränkung in dem
andern.

Bereits früher wurde der physische Verderb der Kinder und
jungen Personen angedeutet, wie der Arbeiterweiber, welche die Maschi-
nerie erst direkt, in den auf ihrer Grundlage aufschiessenden Fabriken,

124)Children’s Employment Commission. V. Report. Lon-
don
1866“, p. 81, n. 31.
125)Child. Employm. Comm. III. Report. Lond. 1864“, p. 53,
n. 15.
126) l. c. V. Report, p. XXII, n. 137.
I. 25
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0404" n="385"/>
stag Morgen offner Markt gehalten, worin Kinder beiderlei Geschlechts<lb/>
vom 9. Jahre an sich selbst an die Londoner Seidenmanufakturen<lb/>
vermiethen. &#x201E;Die gewöhnlichen Bedingungen sind 1 sh. 8 d. die Woche<lb/>
(die den Eltern gehören) und 2 d. für mich selbst nebst Thee.&#x201C; Die<lb/>
Kontrakte gelten nur für die Woche. Die Scenen und die Sprache wäh-<lb/>
rend der Dauer dieses Markts sind wahrhaft empörend<note place="foot" n="124)">&#x201E;<hi rendition="#g">Children&#x2019;s Employment Commission. V. Report. Lon-<lb/>
don</hi> 1866&#x201C;, p. 81, n. 31.</note>. Es kömmt<lb/>
immer noch in England vor, dass Weiber &#x201E;Jungen vom Workhouse neh-<lb/>
men und sie jedem beliebigen Käufer für 2 sh. 6 d. wöchentlich ver-<lb/>
miethen&#x201C;<note place="foot" n="125)">&#x201E;<hi rendition="#g">Child. Employm. Comm</hi>. III. <hi rendition="#g">Report. Lond</hi>. 1864&#x201C;, p. 53,<lb/>
n. 15.</note>. Trotz der Gesetzgebung werden immer noch mindestens<lb/>
2000 Jungen in Grossbritannien als lebendige Schornsteinfegmaschinen (ob-<lb/>
gleich Maschinen zu ihrem Ersatz existiren) von ihren eigenen Eltern ver-<lb/>
kauft<note place="foot" n="126)">l. c. V. <hi rendition="#g">Report</hi>, p. XXII, n. 137.</note>. Die von der Maschinerie bewirkte Revolution im <hi rendition="#g">Rechts-<lb/>
verhältniss</hi> zwischen Käufer und Verkäufer der Arbeitskraft, so dass die<lb/>
ganze Transaktion selbst den <hi rendition="#g">Schein eines Kontrakts</hi> zwischen freien<lb/>
Personen verliert, bot dem englischen Parlament später den juristischen<lb/><hi rendition="#g">Entschuldigungsgrund</hi> für Staatseinmischung in das Fabrikwesen.<lb/>
So oft das Fabrikgesetz die Kinderarbeit in bisher unangefochtnen Indu-<lb/>
striezweigen auf 6 Stunden beschränkt, ertönt stets neu der Fabrikanten-<lb/>
jammer: ein Theil der Eltern entziehe die Kinder nun der gemassregelten<lb/>
Industrie, um sie in solche zu verkaufen, wo noch &#x201E;<hi rendition="#g">Freiheit der Ar-<lb/>
beit</hi>&#x201C; herrscht, d. h. wo Kinder unter 13 Jahren <hi rendition="#g">gezwungen</hi> wer-<lb/>
den wie Erwachsene zu arbeiten, also auch theurer loszuschlagen sind.<lb/>
Da aber das Kapital von Natur ein <hi rendition="#g">leveller</hi> ist, d. h. in allen Produk-<lb/>
tionssphären <hi rendition="#g">Gleichheit</hi> der Exploitationsbedingungen der Arbeit als<lb/>
sein angebornes Menschenrecht verlangt, wird die legale Beschränkung der<lb/>
Kinderarbeit in einem Industriezweig Ursache ihrer Beschränkung in dem<lb/>
andern.</p><lb/>
            <p>Bereits früher wurde der <hi rendition="#g">physische Verderb</hi> der Kinder und<lb/>
jungen Personen angedeutet, wie der Arbeiterweiber, welche die Maschi-<lb/>
nerie erst direkt, in den auf ihrer Grundlage aufschiessenden Fabriken,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">I. 25</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[385/0404] stag Morgen offner Markt gehalten, worin Kinder beiderlei Geschlechts vom 9. Jahre an sich selbst an die Londoner Seidenmanufakturen vermiethen. „Die gewöhnlichen Bedingungen sind 1 sh. 8 d. die Woche (die den Eltern gehören) und 2 d. für mich selbst nebst Thee.“ Die Kontrakte gelten nur für die Woche. Die Scenen und die Sprache wäh- rend der Dauer dieses Markts sind wahrhaft empörend 124). Es kömmt immer noch in England vor, dass Weiber „Jungen vom Workhouse neh- men und sie jedem beliebigen Käufer für 2 sh. 6 d. wöchentlich ver- miethen“ 125). Trotz der Gesetzgebung werden immer noch mindestens 2000 Jungen in Grossbritannien als lebendige Schornsteinfegmaschinen (ob- gleich Maschinen zu ihrem Ersatz existiren) von ihren eigenen Eltern ver- kauft 126). Die von der Maschinerie bewirkte Revolution im Rechts- verhältniss zwischen Käufer und Verkäufer der Arbeitskraft, so dass die ganze Transaktion selbst den Schein eines Kontrakts zwischen freien Personen verliert, bot dem englischen Parlament später den juristischen Entschuldigungsgrund für Staatseinmischung in das Fabrikwesen. So oft das Fabrikgesetz die Kinderarbeit in bisher unangefochtnen Indu- striezweigen auf 6 Stunden beschränkt, ertönt stets neu der Fabrikanten- jammer: ein Theil der Eltern entziehe die Kinder nun der gemassregelten Industrie, um sie in solche zu verkaufen, wo noch „Freiheit der Ar- beit“ herrscht, d. h. wo Kinder unter 13 Jahren gezwungen wer- den wie Erwachsene zu arbeiten, also auch theurer loszuschlagen sind. Da aber das Kapital von Natur ein leveller ist, d. h. in allen Produk- tionssphären Gleichheit der Exploitationsbedingungen der Arbeit als sein angebornes Menschenrecht verlangt, wird die legale Beschränkung der Kinderarbeit in einem Industriezweig Ursache ihrer Beschränkung in dem andern. Bereits früher wurde der physische Verderb der Kinder und jungen Personen angedeutet, wie der Arbeiterweiber, welche die Maschi- nerie erst direkt, in den auf ihrer Grundlage aufschiessenden Fabriken, 124) „Children’s Employment Commission. V. Report. Lon- don 1866“, p. 81, n. 31. 125) „Child. Employm. Comm. III. Report. Lond. 1864“, p. 53, n. 15. 126) l. c. V. Report, p. XXII, n. 137. I. 25

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867/404
Zitationshilfe: Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867/404>, abgerufen am 25.11.2024.