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Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867.

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erhalten muss, die sich als Schullehrer oder Schullehrerin mit ihrem
Namen unterzeichnet"136). Vor dem Erlass des amendirten Fabrikakts von
1844 waren Schulbesuchscertifikate nicht selten, die von Schulmeister oder
Schulmeisterin mit einem Kreuz unterzeichnet wurden, da letztre selbst nicht
schreiben konnten. "Beim Besuch, den ich einer solchen Certifikate aus-
stellenden Schule abstattete, war ich so betroffen von der Unwissenheit
des Schulmeisters, dass ich zu ihm sagte: 'Bitte, mein Herr, können Sie
lesen?' Seine Antwort war: 'Ih jeh, Ebbes (summat)'. Zu seiner Recht-
fertigung fügte er hinzu: 'Jedenfalls stehe ich vor meinen Schülern'. Wäh-
rend der Vorbereitung des Akts von 1844 denuncirten die Fabrikinspektoren
den schmählichen Zustand der Plätze, Schulen benamst, deren Certifikate
sie als zu Gesetz vollgültig zulassen mussten. Alles was sie durchsetzten,
war, dass seit 1844 die Zahlen im Schulcertifikat in der Handschrift des
Schulmeisters ausgefüllt, ditto sein Vor- und Zuname von ihm selbst unter-
schrieben sein müssen"137). Sir John Kincaid, Fabrikinspektor
für Schottland, erzählt von ähnlichen amtlichen Erfahrungen. "Die erste
Schule, die wir besuchten, wurde von einer Mrs. Ann Killin gehalten.
Auf meine Aufforderung, ihren Namen zu buchstabiren, machte sie gleich
einen Schnitzer, indem sie mit dem Buchstaben C begann, aber sich sofort
korrigirend sagte, ihr Name fange mit K an. Bei Ansicht ihrer Unter-
schrift in den Schulcertifikatbüchern bemerkte ich jedoch, dass sie ihn ver-
schiedenartig buchstabirte, während die Handschrift keinen Zweifel über
ihre Lehrunfähigkeit liess. Auch gab sie selbst zu, sie könne das Regi-
ster nicht führen ... In einer zweiten Schule fand ich das Schulzimmer
15 Fuss lang und 10 Fuss breit und zählte in diesem Raum 75 Kinder,
die etwas unverständliches herquiekten"138). "Es sind jedoch nicht nur
solche Jammerhöhlen, worin die Kinder Schulcertifikate, aber keinen
Unterricht erhalten, denn in vielen Schulen, wo der Lehrer kompetent ist,
scheitern seine Bemühungen fast ganz an dem sinnverwirrenden Knäuel

136) Leonhard Horner in "Reports of Insp. of Fact. for 30th
June
1857", p. 17.
137) id. in "Reports of Insp. of Fact. for 31st Oct. 1855",
p. 18, 19.
138) Sir John Kincaid in "Reports of Insp. of Fact. for 31st
Oct
. 1858", p. 31, 32.

erhalten muss, die sich als Schullehrer oder Schullehrerin mit ihrem
Namen unterzeichnet“136). Vor dem Erlass des amendirten Fabrikakts von
1844 waren Schulbesuchscertifikate nicht selten, die von Schulmeister oder
Schulmeisterin mit einem Kreuz unterzeichnet wurden, da letztre selbst nicht
schreiben konnten. „Beim Besuch, den ich einer solchen Certifikate aus-
stellenden Schule abstattete, war ich so betroffen von der Unwissenheit
des Schulmeisters, dass ich zu ihm sagte: ‘Bitte, mein Herr, können Sie
lesen?‘ Seine Antwort war: ‘Ih jeh, Ebbes (summat)‘. Zu seiner Recht-
fertigung fügte er hinzu: ‘Jedenfalls stehe ich vor meinen Schülern‘. Wäh-
rend der Vorbereitung des Akts von 1844 denuncirten die Fabrikinspektoren
den schmählichen Zustand der Plätze, Schulen benamst, deren Certifikate
sie als zu Gesetz vollgültig zulassen mussten. Alles was sie durchsetzten,
war, dass seit 1844 die Zahlen im Schulcertifikat in der Handschrift des
Schulmeisters ausgefüllt, ditto sein Vor- und Zuname von ihm selbst unter-
schrieben sein müssen“137). Sir John Kincaid, Fabrikinspektor
für Schottland, erzählt von ähnlichen amtlichen Erfahrungen. „Die erste
Schule, die wir besuchten, wurde von einer Mrs. Ann Killin gehalten.
Auf meine Aufforderung, ihren Namen zu buchstabiren, machte sie gleich
einen Schnitzer, indem sie mit dem Buchstaben C begann, aber sich sofort
korrigirend sagte, ihr Name fange mit K an. Bei Ansicht ihrer Unter-
schrift in den Schulcertifikatbüchern bemerkte ich jedoch, dass sie ihn ver-
schiedenartig buchstabirte, während die Handschrift keinen Zweifel über
ihre Lehrunfähigkeit liess. Auch gab sie selbst zu, sie könne das Regi-
ster nicht führen … In einer zweiten Schule fand ich das Schulzimmer
15 Fuss lang und 10 Fuss breit und zählte in diesem Raum 75 Kinder,
die etwas unverständliches herquiekten“138). „Es sind jedoch nicht nur
solche Jammerhöhlen, worin die Kinder Schulcertifikate, aber keinen
Unterricht erhalten, denn in vielen Schulen, wo der Lehrer kompetent ist,
scheitern seine Bemühungen fast ganz an dem sinnverwirrenden Knäuel

136) Leonhard Horner in „Reports of Insp. of Fact. for 30th
June
1857“, p. 17.
137) id. in „Reports of Insp. of Fact. for 31st Oct. 1855“,
p. 18, 19.
138) Sir John Kincaid in „Reports of Insp. of Fact. for 31st
Oct
. 1858“, p. 31, 32.
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[389/0408] erhalten muss, die sich als Schullehrer oder Schullehrerin mit ihrem Namen unterzeichnet“ 136). Vor dem Erlass des amendirten Fabrikakts von 1844 waren Schulbesuchscertifikate nicht selten, die von Schulmeister oder Schulmeisterin mit einem Kreuz unterzeichnet wurden, da letztre selbst nicht schreiben konnten. „Beim Besuch, den ich einer solchen Certifikate aus- stellenden Schule abstattete, war ich so betroffen von der Unwissenheit des Schulmeisters, dass ich zu ihm sagte: ‘Bitte, mein Herr, können Sie lesen?‘ Seine Antwort war: ‘Ih jeh, Ebbes (summat)‘. Zu seiner Recht- fertigung fügte er hinzu: ‘Jedenfalls stehe ich vor meinen Schülern‘. Wäh- rend der Vorbereitung des Akts von 1844 denuncirten die Fabrikinspektoren den schmählichen Zustand der Plätze, Schulen benamst, deren Certifikate sie als zu Gesetz vollgültig zulassen mussten. Alles was sie durchsetzten, war, dass seit 1844 die Zahlen im Schulcertifikat in der Handschrift des Schulmeisters ausgefüllt, ditto sein Vor- und Zuname von ihm selbst unter- schrieben sein müssen“ 137). Sir John Kincaid, Fabrikinspektor für Schottland, erzählt von ähnlichen amtlichen Erfahrungen. „Die erste Schule, die wir besuchten, wurde von einer Mrs. Ann Killin gehalten. Auf meine Aufforderung, ihren Namen zu buchstabiren, machte sie gleich einen Schnitzer, indem sie mit dem Buchstaben C begann, aber sich sofort korrigirend sagte, ihr Name fange mit K an. Bei Ansicht ihrer Unter- schrift in den Schulcertifikatbüchern bemerkte ich jedoch, dass sie ihn ver- schiedenartig buchstabirte, während die Handschrift keinen Zweifel über ihre Lehrunfähigkeit liess. Auch gab sie selbst zu, sie könne das Regi- ster nicht führen … In einer zweiten Schule fand ich das Schulzimmer 15 Fuss lang und 10 Fuss breit und zählte in diesem Raum 75 Kinder, die etwas unverständliches herquiekten“ 138). „Es sind jedoch nicht nur solche Jammerhöhlen, worin die Kinder Schulcertifikate, aber keinen Unterricht erhalten, denn in vielen Schulen, wo der Lehrer kompetent ist, scheitern seine Bemühungen fast ganz an dem sinnverwirrenden Knäuel 136) Leonhard Horner in „Reports of Insp. of Fact. for 30th June 1857“, p. 17. 137) id. in „Reports of Insp. of Fact. for 31st Oct. 1855“, p. 18, 19. 138) Sir John Kincaid in „Reports of Insp. of Fact. for 31st Oct. 1858“, p. 31, 32.

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Zitationshilfe: Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867/408>, abgerufen am 22.11.2024.