Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867.

Bild:
<< vorherige Seite

Quantität und miserablen Qualität der Wohnlichkeit unsres Land-
arbeiters
. Und progressiv seit vielen Jahren hat sich sein Zustand in
dieser Hinsicht verschlechtert. Es ist jetzt viel schwerer für ihn, Haus-
raum zu finden, und, wenn gefunden, ist er seinen Bedürfnissen viel weni-
ger entsprechend, als vielleicht seit Jahrhunderten der Fall war.
Besonders innerhalb der letzten 30 oder 20 Jahre ist das
Uebel in raschem Wachsthum begriffen, und die Wohnlichkeitsverhältnisse
des Landmanns sind jetzt im höchsten Grad kläglich. Ausser
soweit diejenigen, die seine Arbeit bereichert, es der Mühe werth
halten ihn mit einer Art von mitleidiger Nachsicht zu behandeln, ist er
ganz hilflos in der Sache. Ob er Behausung findet auf dem Land, wel-
ches er bebaut, ob sie menschlich oder schweinisch ist, ob mit kleinem
Garten, der den Druck der Armuth so sehr erleichtert, alles das hängt
nicht von seiner Bereitheit oder Fähigkeit zur Zahlung einer angemessnen
Miethe ab, sondern von dem Gebrauch, den Andre von ,dem Recht mit
ihrem Eigenthum zu thun was sie wollen' zu machen belieben. Eine
Pacht mag noch so gross sein, es existirt kein Gesetz, dass auf ihr eine
bestimmte Anzahl von Arbeiterwohnungen, und nun gar anständigen,
stehen muss; noch behält das Gesetz dem Arbeiter auch nur das kleinste
Recht auf den Boden vor, für welchen seine Arbeit so nothwendig ist wie
Regen und Sonnenschein ... Ein notorischer Umstand wirft noch ein
schweres Gewicht in die Wagschale gegen ihn ..., der Einfluss des Ar-
mengesetzes mit seinen Bestimmungen über Niederlassung und Belastung
zur Armentaxe162). Unter seinem Einfluss hat jede Pfarrei ein Geldinter-
esse die Zahl ihrer residirenden Landarbeiter auf ein Mini-
mum zu beschränken
; denn, unglücklicher Weise, die Land-
arbeit
, statt sichre und permanente Unabhängigkeit des hartschanzenden
Arbeiters und seiner Familie zu verbürgen, involvirt meist nur einen
längern oder kürzern Umweg zu eventuellem Pauperismus
,
ein Pauperismus, der während des ganzen Wegs so nahe ist, dass jede
Krankheit oder irgend ein vorübergehender Mangel an Beschäftigung unmit-
telbar die Zuflucht zur Pfarreihilfe ernöthigt; und daher ist alle Resi-
denz einer Ackerbaubevölkerung
in einer Pfarrei augenschein-

162) 1865 ist diess Gesetz etwas verbessert worden. Man wird bald durch die
Erfahrung lernen, dass dergleichen Pfuscherei nichts hilft.

Quantität und miserablen Qualität der Wohnlichkeit unsres Land-
arbeiters
. Und progressiv seit vielen Jahren hat sich sein Zustand in
dieser Hinsicht verschlechtert. Es ist jetzt viel schwerer für ihn, Haus-
raum zu finden, und, wenn gefunden, ist er seinen Bedürfnissen viel weni-
ger entsprechend, als vielleicht seit Jahrhunderten der Fall war.
Besonders innerhalb der letzten 30 oder 20 Jahre ist das
Uebel in raschem Wachsthum begriffen, und die Wohnlichkeitsverhältnisse
des Landmanns sind jetzt im höchsten Grad kläglich. Ausser
soweit diejenigen, die seine Arbeit bereichert, es der Mühe werth
halten ihn mit einer Art von mitleidiger Nachsicht zu behandeln, ist er
ganz hilflos in der Sache. Ob er Behausung findet auf dem Land, wel-
ches er bebaut, ob sie menschlich oder schweinisch ist, ob mit kleinem
Garten, der den Druck der Armuth so sehr erleichtert, alles das hängt
nicht von seiner Bereitheit oder Fähigkeit zur Zahlung einer angemessnen
Miethe ab, sondern von dem Gebrauch, den Andre von ‚dem Recht mit
ihrem Eigenthum zu thun was sie wollen‘ zu machen belieben. Eine
Pacht mag noch so gross sein, es existirt kein Gesetz, dass auf ihr eine
bestimmte Anzahl von Arbeiterwohnungen, und nun gar anständigen,
stehen muss; noch behält das Gesetz dem Arbeiter auch nur das kleinste
Recht auf den Boden vor, für welchen seine Arbeit so nothwendig ist wie
Regen und Sonnenschein … Ein notorischer Umstand wirft noch ein
schweres Gewicht in die Wagschale gegen ihn …, der Einfluss des Ar-
mengesetzes mit seinen Bestimmungen über Niederlassung und Belastung
zur Armentaxe162). Unter seinem Einfluss hat jede Pfarrei ein Geldinter-
esse die Zahl ihrer residirenden Landarbeiter auf ein Mini-
mum zu beschränken
; denn, unglücklicher Weise, die Land-
arbeit
, statt sichre und permanente Unabhängigkeit des hartschanzenden
Arbeiters und seiner Familie zu verbürgen, involvirt meist nur einen
längern oder kürzern Umweg zu eventuellem Pauperismus
,
ein Pauperismus, der während des ganzen Wegs so nahe ist, dass jede
Krankheit oder irgend ein vorübergehender Mangel an Beschäftigung unmit-
telbar die Zuflucht zur Pfarreihilfe ernöthigt; und daher ist alle Resi-
denz einer Ackerbaubevölkerung
in einer Pfarrei augenschein-

162) 1865 ist diess Gesetz etwas verbessert worden. Man wird bald durch die
Erfahrung lernen, dass dergleichen Pfuscherei nichts hilft.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0690" n="671"/>
Quantität und miserablen Qualität der <hi rendition="#g">Wohnlichkeit unsres Land-<lb/>
arbeiters</hi>. Und <hi rendition="#g">progressiv</hi> seit vielen Jahren hat sich sein Zustand in<lb/>
dieser Hinsicht verschlechtert. Es ist jetzt viel schwerer für ihn, Haus-<lb/>
raum zu finden, und, wenn gefunden, ist er seinen Bedürfnissen viel weni-<lb/>
ger entsprechend, als vielleicht <hi rendition="#g">seit Jahrhunderten</hi> der Fall war.<lb/><hi rendition="#g">Besonders innerhalb der letzten 30 oder 20 Jahre</hi> ist das<lb/>
Uebel in raschem Wachsthum begriffen, und die Wohnlichkeitsverhältnisse<lb/>
des Landmanns <hi rendition="#g">sind jetzt im höchsten Grad kläglich</hi>. Ausser<lb/>
soweit diejenigen, <hi rendition="#g">die seine Arbeit bereichert</hi>, es der Mühe werth<lb/>
halten ihn mit einer Art von mitleidiger Nachsicht zu behandeln, ist er<lb/>
ganz hilflos in der Sache. Ob er Behausung findet auf dem Land, wel-<lb/>
ches er bebaut, ob sie menschlich oder schweinisch ist, ob mit kleinem<lb/>
Garten, der den Druck der Armuth so sehr erleichtert, alles das hängt<lb/>
nicht von seiner Bereitheit oder Fähigkeit zur Zahlung einer angemessnen<lb/>
Miethe ab, sondern von dem Gebrauch, den Andre von &#x201A;dem Recht mit<lb/>
ihrem Eigenthum zu thun was sie wollen&#x2018; zu machen belieben. Eine<lb/>
Pacht mag noch so gross sein, es existirt kein Gesetz, dass auf ihr eine<lb/>
bestimmte Anzahl von Arbeiterwohnungen, und nun gar anständigen,<lb/>
stehen muss; noch behält das Gesetz dem Arbeiter auch nur das kleinste<lb/>
Recht auf den Boden vor, für welchen seine Arbeit so nothwendig ist wie<lb/>
Regen und Sonnenschein &#x2026; Ein notorischer Umstand wirft noch ein<lb/>
schweres Gewicht in die Wagschale gegen ihn &#x2026;, der Einfluss des Ar-<lb/>
mengesetzes mit seinen Bestimmungen über Niederlassung und Belastung<lb/>
zur Armentaxe<note place="foot" n="162)">1865 ist diess Gesetz etwas verbessert worden. Man wird bald durch die<lb/>
Erfahrung lernen, dass dergleichen Pfuscherei nichts hilft.</note>. Unter seinem Einfluss hat jede Pfarrei ein Geldinter-<lb/>
esse die Zahl ihrer <hi rendition="#g">residirenden Landarbeiter auf ein Mini-<lb/>
mum zu beschränken</hi>; denn, unglücklicher Weise, <hi rendition="#g">die Land-<lb/>
arbeit</hi>, statt sichre und permanente Unabhängigkeit des hartschanzenden<lb/>
Arbeiters und seiner Familie zu verbürgen, involvirt meist <hi rendition="#g">nur einen<lb/>
längern oder kürzern Umweg zu eventuellem Pauperismus</hi>,<lb/>
ein Pauperismus, der während des ganzen Wegs so nahe ist, dass jede<lb/>
Krankheit oder irgend ein vorübergehender Mangel an Beschäftigung unmit-<lb/>
telbar die Zuflucht zur Pfarreihilfe ernöthigt; und <hi rendition="#g">daher</hi> ist <hi rendition="#g">alle Resi-<lb/>
denz einer Ackerbaubevölkerung</hi> in einer Pfarrei augenschein-<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[671/0690] Quantität und miserablen Qualität der Wohnlichkeit unsres Land- arbeiters. Und progressiv seit vielen Jahren hat sich sein Zustand in dieser Hinsicht verschlechtert. Es ist jetzt viel schwerer für ihn, Haus- raum zu finden, und, wenn gefunden, ist er seinen Bedürfnissen viel weni- ger entsprechend, als vielleicht seit Jahrhunderten der Fall war. Besonders innerhalb der letzten 30 oder 20 Jahre ist das Uebel in raschem Wachsthum begriffen, und die Wohnlichkeitsverhältnisse des Landmanns sind jetzt im höchsten Grad kläglich. Ausser soweit diejenigen, die seine Arbeit bereichert, es der Mühe werth halten ihn mit einer Art von mitleidiger Nachsicht zu behandeln, ist er ganz hilflos in der Sache. Ob er Behausung findet auf dem Land, wel- ches er bebaut, ob sie menschlich oder schweinisch ist, ob mit kleinem Garten, der den Druck der Armuth so sehr erleichtert, alles das hängt nicht von seiner Bereitheit oder Fähigkeit zur Zahlung einer angemessnen Miethe ab, sondern von dem Gebrauch, den Andre von ‚dem Recht mit ihrem Eigenthum zu thun was sie wollen‘ zu machen belieben. Eine Pacht mag noch so gross sein, es existirt kein Gesetz, dass auf ihr eine bestimmte Anzahl von Arbeiterwohnungen, und nun gar anständigen, stehen muss; noch behält das Gesetz dem Arbeiter auch nur das kleinste Recht auf den Boden vor, für welchen seine Arbeit so nothwendig ist wie Regen und Sonnenschein … Ein notorischer Umstand wirft noch ein schweres Gewicht in die Wagschale gegen ihn …, der Einfluss des Ar- mengesetzes mit seinen Bestimmungen über Niederlassung und Belastung zur Armentaxe 162). Unter seinem Einfluss hat jede Pfarrei ein Geldinter- esse die Zahl ihrer residirenden Landarbeiter auf ein Mini- mum zu beschränken; denn, unglücklicher Weise, die Land- arbeit, statt sichre und permanente Unabhängigkeit des hartschanzenden Arbeiters und seiner Familie zu verbürgen, involvirt meist nur einen längern oder kürzern Umweg zu eventuellem Pauperismus, ein Pauperismus, der während des ganzen Wegs so nahe ist, dass jede Krankheit oder irgend ein vorübergehender Mangel an Beschäftigung unmit- telbar die Zuflucht zur Pfarreihilfe ernöthigt; und daher ist alle Resi- denz einer Ackerbaubevölkerung in einer Pfarrei augenschein- 162) 1865 ist diess Gesetz etwas verbessert worden. Man wird bald durch die Erfahrung lernen, dass dergleichen Pfuscherei nichts hilft.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867/690
Zitationshilfe: Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867, S. 671. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867/690>, abgerufen am 29.06.2024.