Die Etiquette eines Systems unterscheidet sich von der andrer Ar- tikel u. a. dadurch, dass sie nicht nur den Käufer prellt, sondern oft auch den Verkäufer. Quesnay selbst und seine nächsten Schüler glaubten an ihr feudales Aushängeschild. So bis zur Stunde unsre Schulgelehrten. In der That aber ist das physiokratische System die erste systematische Fassung der kapitalistischen Produktion. Der Repräsentant des industriellen Kapitals -- die Pächterklasse -- leitet die ganze ökonomische Bewegung. Der Ackerbau wird kapitalistisch betrieben, d. h. als Unternehmung des kapitalistischen Pächters auf grosser Stufenleiter; der unmittelbare Bebauer des Bodens ist Lohnarbeiter. Die Produktion erzeugt nicht nur die Ge- brauchsartikel, sondern auch ihren Werth; ihr treibendes Motiv aber ist Gewinnung von Mehrwerth, dessen Geburtsstätte die Produktions-, nicht die Cirkulationssphäre. Unter den drei Klassen, die als Träger des durch die Cirkulation vermittelten gesellschaftlichen Reproduktionsprocesses figuriren, unterscheidet sich der unmittelbare Ausbeuter der "produktiven" Arbeit, der Producent des Mehrwerths, der kapitalistische Pächter, von dessen blossen Aneignern.
Der kapitalistische Charakter des physiokratischen Systems rief schon während seiner Blüteperiode die Opposition hervor, einerseits von Linguet und Mably, andrerseits der Vertheidiger des freien kleinen Grundbesitzes.
A. Smith's Rückschritt36) in Analyse des Reproduktionsprocesses ist um so auffallender, als er sonst nicht nur richtige Analysen Quesnay's weiter verarbeitet, z. B. dessen "avances primitives" und "avances an- nuelles" verallgemeinert in "fixes" und "cirkulirendes" Kapital, 37) son- dern stellenweis ganz und gar in physiokratische Irrthümer zurückfällt. Um z. B. nachzuweisen, dass der Pächter grössern Werth producirt als irgend
36) "Kapital." Band I, 2. Ausg. p. 612. Note 32.
37) Auch hierbei hatten ihm einige Physiokraten den Weg bereitet, vor allem Turgot. Dieser gebraucht schon häufiger als Quesnay und die übrigen Physiokraten das Wort capital für avances, und identificirt noch mehr die avances oder capitaux der Manufakturisten mit denen der Pächter. Z. B. Comme eux (les entrepreneurs-manufacturiers), ils (les fermiers, d. h. die kapi- talistischen Pächter) doivent recueillir, outre la rentree des capitaux etc. (Turgot, Oeuvres, ed. Daire. Paris 1844. Tome I, p. 40.)
Die Etiquette eines Systems unterscheidet sich von der andrer Ar- tikel u. a. dadurch, dass sie nicht nur den Käufer prellt, sondern oft auch den Verkäufer. Quesnay selbst und seine nächsten Schüler glaubten an ihr feudales Aushängeschild. So bis zur Stunde unsre Schulgelehrten. In der That aber ist das physiokratische System die erste systematische Fassung der kapitalistischen Produktion. Der Repräsentant des industriellen Kapitals — die Pächterklasse — leitet die ganze ökonomische Bewegung. Der Ackerbau wird kapitalistisch betrieben, d. h. als Unternehmung des kapitalistischen Pächters auf grosser Stufenleiter; der unmittelbare Bebauer des Bodens ist Lohnarbeiter. Die Produktion erzeugt nicht nur die Ge- brauchsartikel, sondern auch ihren Werth; ihr treibendes Motiv aber ist Gewinnung von Mehrwerth, dessen Geburtsstätte die Produktions-, nicht die Cirkulationssphäre. Unter den drei Klassen, die als Träger des durch die Cirkulation vermittelten gesellschaftlichen Reproduktionsprocesses figuriren, unterscheidet sich der unmittelbare Ausbeuter der „produktiven“ Arbeit, der Producent des Mehrwerths, der kapitalistische Pächter, von dessen blossen Aneignern.
Der kapitalistische Charakter des physiokratischen Systems rief schon während seiner Blüteperiode die Opposition hervor, einerseits von Linguet und Mably, andrerseits der Vertheidiger des freien kleinen Grundbesitzes.
A. Smith’s Rückschritt36) in Analyse des Reproduktionsprocesses ist um so auffallender, als er sonst nicht nur richtige Analysen Quesnay’s weiter verarbeitet, z. B. dessen „avances primitives“ und „avances an- nuelles“ verallgemeinert in „fixes“ und „cirkulirendes“ Kapital, 37) son- dern stellenweis ganz und gar in physiokratische Irrthümer zurückfällt. Um z. B. nachzuweisen, dass der Pächter grössern Werth producirt als irgend
36) „Kapital.“ Band I, 2. Ausg. p. 612. Note 32.
37) Auch hierbei hatten ihm einige Physiokraten den Weg bereitet, vor allem Turgot. Dieser gebraucht schon häufiger als Quesnay und die übrigen Physiokraten das Wort capital für avances, und identificirt noch mehr die avances oder capitaux der Manufakturisten mit denen der Pächter. Z. B. Comme eux (les entrepreneurs-manufacturiers), ils (les fermiers, d. h. die kapi- talistischen Pächter) doivent recueillir, outre la rentrée des capitaux etc. (Turgot, Oeuvres, éd. Daire. Paris 1844. Tome I, p. 40.)
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Die Etiquette eines Systems unterscheidet sich von der andrer Ar-
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an ihr feudales Aushängeschild. So bis zur Stunde unsre Schulgelehrten.
In der That aber ist das physiokratische System die erste systematische
Fassung der kapitalistischen Produktion. Der Repräsentant des industriellen
Kapitals — die Pächterklasse — leitet die ganze ökonomische Bewegung.
Der Ackerbau wird kapitalistisch betrieben, d. h. als Unternehmung des
kapitalistischen Pächters auf grosser Stufenleiter; der unmittelbare Bebauer
des Bodens ist Lohnarbeiter. Die Produktion erzeugt nicht nur die Ge-
brauchsartikel, sondern auch ihren Werth; ihr treibendes Motiv aber ist
Gewinnung von Mehrwerth, dessen Geburtsstätte die Produktions-, nicht
die Cirkulationssphäre. Unter den drei Klassen, die als Träger des
durch die Cirkulation vermittelten gesellschaftlichen Reproduktionsprocesses
figuriren, unterscheidet sich der unmittelbare Ausbeuter der „produktiven“
Arbeit, der Producent des Mehrwerths, der kapitalistische Pächter, von
dessen blossen Aneignern.
Der kapitalistische Charakter des physiokratischen Systems rief schon
während seiner Blüteperiode die Opposition hervor, einerseits von Linguet
und Mably, andrerseits der Vertheidiger des freien kleinen Grundbesitzes.
A. Smith’s Rückschritt 36) in Analyse des Reproduktionsprocesses ist
um so auffallender, als er sonst nicht nur richtige Analysen Quesnay’s
weiter verarbeitet, z. B. dessen „avances primitives“ und „avances an-
nuelles“ verallgemeinert in „fixes“ und „cirkulirendes“ Kapital, 37) son-
dern stellenweis ganz und gar in physiokratische Irrthümer zurückfällt.
Um z. B. nachzuweisen, dass der Pächter grössern Werth producirt als irgend
36) „Kapital.“ Band I, 2. Ausg. p. 612. Note 32.
37) Auch hierbei hatten ihm einige Physiokraten den Weg bereitet, vor
allem Turgot. Dieser gebraucht schon häufiger als Quesnay und die übrigen
Physiokraten das Wort capital für avances, und identificirt noch mehr die
avances oder capitaux der Manufakturisten mit denen der Pächter. Z. B.
Comme eux (les entrepreneurs-manufacturiers), ils (les fermiers, d. h. die kapi-
talistischen Pächter) doivent recueillir, outre la rentrée des capitaux etc.
(Turgot, Oeuvres, éd. Daire. Paris 1844. Tome I, p. 40.)
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Marx, Karl: Das Kapital. Bd. 2. Buch II: Der Cirkulationsprocess des Kapitals. Hamburg, 1885, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital02_1885/385>, abgerufen am 16.07.2024.
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