hier meist aus hohen Eichen bestand, mit unbeschreiblichen Tinten, und der Donner der Salven wurde von den dunkeln Gründen des tiefen Forstes ununterbrochen zurück- geworfen.
Wahrhaft überwältigend aber wurde das Schauspiel, als wir endlich das Thal erreichten. Dasselbe schien der mächtige Krater eines Vulkanes zu sein, in dessen Grunde riesige Flammen loderten, zwischen denen Tausende von Geistern mit Leuchten und Lichtern irrten. Ein mehr- tausendstimmiger Ruf hieß uns willkommen und in der Zeit einiger Sekunden hatten sich sämtliche Lichter zu bei- den Seiten der Thalsohle geordnet. Der große, weite Kessel war förmlich tageshell erleuchtet. Das größte Licht aber verbreiteten zwei gigantische Feuer, deren Flammen, von riesigen Scheiterhaufen genährt, zu beiden Seiten der Felsenpyramide an der nackten Wand des Thales empor- kletterten. Es überkam mich jenes "süße Grauen," wel- ches, wohlthuend und niederbeugend zu gleicher Zeit, das Menschenherz ergreift, sobald etwas Erhabenes hereingreift in die Grenzen unserer kleinen inneren Welt.
Wir zogen den Abhang hinunter, zwischen dem wallen- den Meere der Fackeln hindurch, und hielten vor dem Denkmale. In der sonnenförmigen Aushöhlung desselben standen zwei Priester, deren weiße Gewänder von dem dunkeln Gestein lebhaft abstachen. Hoch oben hatten sich mehrere Männer postiert, welche die Seile hielten, an denen die Urne emporgezogen werden sollte.
Sobald die Maultiere vor der Pyramide anlangten, verstummten die Schüsse; es trat eine tiefe Stille ein. Die Urne wurde abgeladen und an die Seile befestigt. Ein anderes Seil, unten an die Urne gebunden, diente dazu, das zerbrechliche Gefäß von den Steinen abzuhalten. Der Mir Scheik Khan winkte, und die Seile wurden ange-
hier meiſt aus hohen Eichen beſtand, mit unbeſchreiblichen Tinten, und der Donner der Salven wurde von den dunkeln Gründen des tiefen Forſtes ununterbrochen zurück- geworfen.
Wahrhaft überwältigend aber wurde das Schauſpiel, als wir endlich das Thal erreichten. Dasſelbe ſchien der mächtige Krater eines Vulkanes zu ſein, in deſſen Grunde rieſige Flammen loderten, zwiſchen denen Tauſende von Geiſtern mit Leuchten und Lichtern irrten. Ein mehr- tauſendſtimmiger Ruf hieß uns willkommen und in der Zeit einiger Sekunden hatten ſich ſämtliche Lichter zu bei- den Seiten der Thalſohle geordnet. Der große, weite Keſſel war förmlich tageshell erleuchtet. Das größte Licht aber verbreiteten zwei gigantiſche Feuer, deren Flammen, von rieſigen Scheiterhaufen genährt, zu beiden Seiten der Felſenpyramide an der nackten Wand des Thales empor- kletterten. Es überkam mich jenes „ſüße Grauen,“ wel- ches, wohlthuend und niederbeugend zu gleicher Zeit, das Menſchenherz ergreift, ſobald etwas Erhabenes hereingreift in die Grenzen unſerer kleinen inneren Welt.
Wir zogen den Abhang hinunter, zwiſchen dem wallen- den Meere der Fackeln hindurch, und hielten vor dem Denkmale. In der ſonnenförmigen Aushöhlung desſelben ſtanden zwei Prieſter, deren weiße Gewänder von dem dunkeln Geſtein lebhaft abſtachen. Hoch oben hatten ſich mehrere Männer poſtiert, welche die Seile hielten, an denen die Urne emporgezogen werden ſollte.
Sobald die Maultiere vor der Pyramide anlangten, verſtummten die Schüſſe; es trat eine tiefe Stille ein. Die Urne wurde abgeladen und an die Seile befeſtigt. Ein anderes Seil, unten an die Urne gebunden, diente dazu, das zerbrechliche Gefäß von den Steinen abzuhalten. Der Mir Scheik Khan winkte, und die Seile wurden ange-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0120"n="106"/>
hier meiſt aus hohen Eichen beſtand, mit unbeſchreiblichen<lb/>
Tinten, und der Donner der Salven wurde von den<lb/>
dunkeln Gründen des tiefen Forſtes ununterbrochen zurück-<lb/>
geworfen.</p><lb/><p>Wahrhaft überwältigend aber wurde das Schauſpiel,<lb/>
als wir endlich das Thal erreichten. Dasſelbe ſchien der<lb/>
mächtige Krater eines Vulkanes zu ſein, in deſſen Grunde<lb/>
rieſige Flammen loderten, zwiſchen denen Tauſende von<lb/>
Geiſtern mit Leuchten und Lichtern irrten. Ein mehr-<lb/>
tauſendſtimmiger Ruf hieß uns willkommen und in der<lb/>
Zeit einiger Sekunden hatten ſich ſämtliche Lichter zu bei-<lb/>
den Seiten der Thalſohle geordnet. Der große, weite<lb/>
Keſſel war förmlich tageshell erleuchtet. Das größte Licht<lb/>
aber verbreiteten zwei gigantiſche Feuer, deren Flammen,<lb/>
von rieſigen Scheiterhaufen genährt, zu beiden Seiten der<lb/>
Felſenpyramide an der nackten Wand des Thales empor-<lb/>
kletterten. Es überkam mich jenes „ſüße Grauen,“ wel-<lb/>
ches, wohlthuend und niederbeugend zu gleicher Zeit, das<lb/>
Menſchenherz ergreift, ſobald etwas Erhabenes hereingreift<lb/>
in die Grenzen unſerer kleinen inneren Welt.</p><lb/><p>Wir zogen den Abhang hinunter, zwiſchen dem wallen-<lb/>
den Meere der Fackeln hindurch, und hielten vor dem<lb/>
Denkmale. In der ſonnenförmigen Aushöhlung desſelben<lb/>ſtanden zwei Prieſter, deren weiße Gewänder von dem<lb/>
dunkeln Geſtein lebhaft abſtachen. Hoch oben hatten ſich<lb/>
mehrere Männer poſtiert, welche die Seile hielten, an<lb/>
denen die Urne emporgezogen werden ſollte.</p><lb/><p>Sobald die Maultiere vor der Pyramide anlangten,<lb/>
verſtummten die Schüſſe; es trat eine tiefe Stille ein. Die<lb/>
Urne wurde abgeladen und an die Seile befeſtigt. Ein<lb/>
anderes Seil, unten an die Urne gebunden, diente dazu,<lb/>
das zerbrechliche Gefäß von den Steinen abzuhalten. Der<lb/>
Mir Scheik Khan winkte, und die Seile wurden ange-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[106/0120]
hier meiſt aus hohen Eichen beſtand, mit unbeſchreiblichen
Tinten, und der Donner der Salven wurde von den
dunkeln Gründen des tiefen Forſtes ununterbrochen zurück-
geworfen.
Wahrhaft überwältigend aber wurde das Schauſpiel,
als wir endlich das Thal erreichten. Dasſelbe ſchien der
mächtige Krater eines Vulkanes zu ſein, in deſſen Grunde
rieſige Flammen loderten, zwiſchen denen Tauſende von
Geiſtern mit Leuchten und Lichtern irrten. Ein mehr-
tauſendſtimmiger Ruf hieß uns willkommen und in der
Zeit einiger Sekunden hatten ſich ſämtliche Lichter zu bei-
den Seiten der Thalſohle geordnet. Der große, weite
Keſſel war förmlich tageshell erleuchtet. Das größte Licht
aber verbreiteten zwei gigantiſche Feuer, deren Flammen,
von rieſigen Scheiterhaufen genährt, zu beiden Seiten der
Felſenpyramide an der nackten Wand des Thales empor-
kletterten. Es überkam mich jenes „ſüße Grauen,“ wel-
ches, wohlthuend und niederbeugend zu gleicher Zeit, das
Menſchenherz ergreift, ſobald etwas Erhabenes hereingreift
in die Grenzen unſerer kleinen inneren Welt.
Wir zogen den Abhang hinunter, zwiſchen dem wallen-
den Meere der Fackeln hindurch, und hielten vor dem
Denkmale. In der ſonnenförmigen Aushöhlung desſelben
ſtanden zwei Prieſter, deren weiße Gewänder von dem
dunkeln Geſtein lebhaft abſtachen. Hoch oben hatten ſich
mehrere Männer poſtiert, welche die Seile hielten, an
denen die Urne emporgezogen werden ſollte.
Sobald die Maultiere vor der Pyramide anlangten,
verſtummten die Schüſſe; es trat eine tiefe Stille ein. Die
Urne wurde abgeladen und an die Seile befeſtigt. Ein
anderes Seil, unten an die Urne gebunden, diente dazu,
das zerbrechliche Gefäß von den Steinen abzuhalten. Der
Mir Scheik Khan winkte, und die Seile wurden ange-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/120>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.