gaben unsere Tiere und gingen nach dem Grabmale. An dem Wege, welcher zu demselben führte, lag ein Spring- brunnen, der von Platten eingefaßt war. Auf einer der- selben saß Mir Scheik Khan und sprach mit einer An- zahl von Pilgern, die in ehrerbietiger Haltung und Ent- fernung vor ihm standen.
"Dieser Brunnen ist heilig, und nur der Mir, ich und die Priester dürfen auf diesen Steinen sitzen. Zürne also nicht, wenn du stehen mußt!" sagte Ali zu mir.
"Eure Gebräuche werde ich achten."
Als wir uns nahten, gab der Khan den Umstehenden ein Zeichen, worauf sie Platz machten, so daß wir zu ihm kommen konnten. Er erhob sich, kam uns einige Schritte entgegen und reichte uns die Hände.
"Willkommen bei eurer Rückkehr! Nehmt Platz zu meiner Rechten und Linken!"
Er deutete dem Bey zur Linken, sodaß mir die rechte Seite übrig blieb. Ich setzte mich auf die geheiligten Steine, ohne daß ich bei einem der Anwesenden den ge- ringsten Verdruß darüber bemerkt hätte. Wie sehr stach ein solches Verhalten gegen dasjenige ab, welches man bei den Mohammedanern zu beobachten hat!
"Hast du mit dem Häuptling gesprochen?" fragte der Khan.
"Ja. Es ist alles in der besten Ordnung. Hast du den Pilgern bereits eine Mitteilung gemacht?"
"Nein."
"So wird es Zeit sein, daß die Leute sich versam- meln. Gieb den Befehl dazu!"
"Ich bin der Regent des Glaubens, und alles andere ist deine Sache. Ich werde dir den Ruhm, die Gläu- bigen beschützt und die Feinde besiegt zu haben, niemals verkürzen."
gaben unſere Tiere und gingen nach dem Grabmale. An dem Wege, welcher zu demſelben führte, lag ein Spring- brunnen, der von Platten eingefaßt war. Auf einer der- ſelben ſaß Mir Scheik Khan und ſprach mit einer An- zahl von Pilgern, die in ehrerbietiger Haltung und Ent- fernung vor ihm ſtanden.
„Dieſer Brunnen iſt heilig, und nur der Mir, ich und die Prieſter dürfen auf dieſen Steinen ſitzen. Zürne alſo nicht, wenn du ſtehen mußt!“ ſagte Ali zu mir.
„Eure Gebräuche werde ich achten.“
Als wir uns nahten, gab der Khan den Umſtehenden ein Zeichen, worauf ſie Platz machten, ſo daß wir zu ihm kommen konnten. Er erhob ſich, kam uns einige Schritte entgegen und reichte uns die Hände.
„Willkommen bei eurer Rückkehr! Nehmt Platz zu meiner Rechten und Linken!“
Er deutete dem Bey zur Linken, ſodaß mir die rechte Seite übrig blieb. Ich ſetzte mich auf die geheiligten Steine, ohne daß ich bei einem der Anweſenden den ge- ringſten Verdruß darüber bemerkt hätte. Wie ſehr ſtach ein ſolches Verhalten gegen dasjenige ab, welches man bei den Mohammedanern zu beobachten hat!
„Haſt du mit dem Häuptling geſprochen?“ fragte der Khan.
„Ja. Es iſt alles in der beſten Ordnung. Haſt du den Pilgern bereits eine Mitteilung gemacht?“
„Nein.“
„So wird es Zeit ſein, daß die Leute ſich verſam- meln. Gieb den Befehl dazu!“
„Ich bin der Regent des Glaubens, und alles andere iſt deine Sache. Ich werde dir den Ruhm, die Gläu- bigen beſchützt und die Feinde beſiegt zu haben, niemals verkürzen.“
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gaben unſere Tiere und gingen nach dem Grabmale. An
dem Wege, welcher zu demſelben führte, lag ein Spring-
brunnen, der von Platten eingefaßt war. Auf einer der-
ſelben ſaß Mir Scheik Khan und ſprach mit einer An-
zahl von Pilgern, die in ehrerbietiger Haltung und Ent-
fernung vor ihm ſtanden.
„Dieſer Brunnen iſt heilig, und nur der Mir, ich
und die Prieſter dürfen auf dieſen Steinen ſitzen. Zürne
alſo nicht, wenn du ſtehen mußt!“ ſagte Ali zu mir.
„Eure Gebräuche werde ich achten.“
Als wir uns nahten, gab der Khan den Umſtehenden
ein Zeichen, worauf ſie Platz machten, ſo daß wir zu
ihm kommen konnten. Er erhob ſich, kam uns einige
Schritte entgegen und reichte uns die Hände.
„Willkommen bei eurer Rückkehr! Nehmt Platz zu
meiner Rechten und Linken!“
Er deutete dem Bey zur Linken, ſodaß mir die rechte
Seite übrig blieb. Ich ſetzte mich auf die geheiligten
Steine, ohne daß ich bei einem der Anweſenden den ge-
ringſten Verdruß darüber bemerkt hätte. Wie ſehr ſtach
ein ſolches Verhalten gegen dasjenige ab, welches man bei
den Mohammedanern zu beobachten hat!
„Haſt du mit dem Häuptling geſprochen?“ fragte der
Khan.
„Ja. Es iſt alles in der beſten Ordnung. Haſt du
den Pilgern bereits eine Mitteilung gemacht?“
„Nein.“
„So wird es Zeit ſein, daß die Leute ſich verſam-
meln. Gieb den Befehl dazu!“
„Ich bin der Regent des Glaubens, und alles andere
iſt deine Sache. Ich werde dir den Ruhm, die Gläu-
bigen beſchützt und die Feinde beſiegt zu haben, niemals
verkürzen.“
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/16>, abgerufen am 22.12.2024.
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