Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

Bild:
<< vorherige Seite

"Wie hoch zählen die Türken?"

"Fünfzehnhundert Mann."

"Es werden viele von ihnen fallen, da ihr Plan ver-
raten ist. Wem wirst du helfen, Sihdi, den Türken oder
den Dschesidi?"

"Ich werde gar nicht kämpfen."

"Nicht?" erwiderte er getäuscht. "Darf ich nicht?"

"Wem willst du helfen?"

"Den Dschesidi."

"Ihnen, Halef? Ihnen, von denen du glaubtest, daß
sie dich um das Paradies bringen würden?"

"O Sihdi, ich kannte sie nicht; jetzt aber liebe
ich sie."

"Aber es sind Ungläubige!"

"Hast du selbst nicht stets jenen geholfen, die gut
waren, ohne sie zu fragen, ob sie an Allah oder an einen
andern Gott glauben?"

Mein wackerer Halef hatte mich zum Moslem machen
wollen, und jetzt sah ich zu meiner großen Freude, daß
er sein Herz für ein ganz und gar christliches Gefühl ge-
öffnet hatte. Ich antwortete ihm:

"Du wirst bei mir bleiben!"

"Während die andern kämpfen und tapfer sind?"

"Es wird sich für uns vielleicht Gelegenheit finden,
noch tapferer und mutiger zu sein, als sie."

"So bleibe ich bei dir. Der Buluk Emini auch?"

"Auch er."

Ich stieg hinauf auf die Plattform zu Scheik Moham-
med Emin.

"Hamdullillah, Preis sei Gott, daß du kommst!" sagte
er. "Ich habe mich nach dir gesehnt wie das Gras nach
dem Tau der Nacht."

"Du bist stets hier oben geblieben?"

„Wie hoch zählen die Türken?“

„Fünfzehnhundert Mann.“

„Es werden viele von ihnen fallen, da ihr Plan ver-
raten iſt. Wem wirſt du helfen, Sihdi, den Türken oder
den Dſcheſidi?“

„Ich werde gar nicht kämpfen.“

„Nicht?“ erwiderte er getäuſcht. „Darf ich nicht?“

„Wem willſt du helfen?“

„Den Dſcheſidi.“

„Ihnen, Halef? Ihnen, von denen du glaubteſt, daß
ſie dich um das Paradies bringen würden?“

„O Sihdi, ich kannte ſie nicht; jetzt aber liebe
ich ſie.“

„Aber es ſind Ungläubige!“

„Haſt du ſelbſt nicht ſtets jenen geholfen, die gut
waren, ohne ſie zu fragen, ob ſie an Allah oder an einen
andern Gott glauben?“

Mein wackerer Halef hatte mich zum Moslem machen
wollen, und jetzt ſah ich zu meiner großen Freude, daß
er ſein Herz für ein ganz und gar chriſtliches Gefühl ge-
öffnet hatte. Ich antwortete ihm:

„Du wirſt bei mir bleiben!“

„Während die andern kämpfen und tapfer ſind?“

„Es wird ſich für uns vielleicht Gelegenheit finden,
noch tapferer und mutiger zu ſein, als ſie.“

„So bleibe ich bei dir. Der Buluk Emini auch?“

„Auch er.“

Ich ſtieg hinauf auf die Plattform zu Scheik Moham-
med Emin.

„Hamdullillah, Preis ſei Gott, daß du kommſt!“ ſagte
er. „Ich habe mich nach dir geſehnt wie das Gras nach
dem Tau der Nacht.“

„Du biſt ſtets hier oben geblieben?“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0020" n="6"/>
        <p>&#x201E;Wie hoch zählen die Türken?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Fünfzehnhundert Mann.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Es werden viele von ihnen fallen, da ihr Plan ver-<lb/>
raten i&#x017F;t. Wem wir&#x017F;t du helfen, Sihdi, den Türken oder<lb/>
den D&#x017F;che&#x017F;idi?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich werde gar nicht kämpfen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nicht?&#x201C; erwiderte er getäu&#x017F;cht. &#x201E;Darf ich nicht?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wem will&#x017F;t du helfen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Den D&#x017F;che&#x017F;idi.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ihnen, Halef? Ihnen, von denen du glaubte&#x017F;t, daß<lb/>
&#x017F;ie dich um das Paradies bringen würden?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;O Sihdi, ich kannte &#x017F;ie nicht; jetzt aber liebe<lb/>
ich &#x017F;ie.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Aber es &#x017F;ind Ungläubige!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ha&#x017F;t du &#x017F;elb&#x017F;t nicht &#x017F;tets jenen geholfen, die gut<lb/>
waren, ohne &#x017F;ie zu fragen, ob &#x017F;ie an Allah oder an einen<lb/>
andern Gott glauben?&#x201C;</p><lb/>
        <p>Mein wackerer Halef hatte mich zum Moslem machen<lb/>
wollen, und jetzt &#x017F;ah ich zu meiner großen Freude, daß<lb/>
er &#x017F;ein Herz für ein ganz und gar chri&#x017F;tliches Gefühl ge-<lb/>
öffnet hatte. Ich antwortete ihm:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Du wir&#x017F;t bei mir bleiben!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Während die andern kämpfen und tapfer &#x017F;ind?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Es wird &#x017F;ich für uns vielleicht Gelegenheit finden,<lb/>
noch tapferer und mutiger zu &#x017F;ein, als &#x017F;ie.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;So bleibe ich bei dir. Der Buluk Emini auch?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Auch er.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Ich &#x017F;tieg hinauf auf die Plattform zu Scheik Moham-<lb/>
med Emin.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Hamdullillah, Preis &#x017F;ei Gott, daß du komm&#x017F;t!&#x201C; &#x017F;agte<lb/>
er. &#x201E;Ich habe mich nach dir ge&#x017F;ehnt wie das Gras nach<lb/>
dem Tau der Nacht.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Du bi&#x017F;t &#x017F;tets hier oben geblieben?&#x201C;</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[6/0020] „Wie hoch zählen die Türken?“ „Fünfzehnhundert Mann.“ „Es werden viele von ihnen fallen, da ihr Plan ver- raten iſt. Wem wirſt du helfen, Sihdi, den Türken oder den Dſcheſidi?“ „Ich werde gar nicht kämpfen.“ „Nicht?“ erwiderte er getäuſcht. „Darf ich nicht?“ „Wem willſt du helfen?“ „Den Dſcheſidi.“ „Ihnen, Halef? Ihnen, von denen du glaubteſt, daß ſie dich um das Paradies bringen würden?“ „O Sihdi, ich kannte ſie nicht; jetzt aber liebe ich ſie.“ „Aber es ſind Ungläubige!“ „Haſt du ſelbſt nicht ſtets jenen geholfen, die gut waren, ohne ſie zu fragen, ob ſie an Allah oder an einen andern Gott glauben?“ Mein wackerer Halef hatte mich zum Moslem machen wollen, und jetzt ſah ich zu meiner großen Freude, daß er ſein Herz für ein ganz und gar chriſtliches Gefühl ge- öffnet hatte. Ich antwortete ihm: „Du wirſt bei mir bleiben!“ „Während die andern kämpfen und tapfer ſind?“ „Es wird ſich für uns vielleicht Gelegenheit finden, noch tapferer und mutiger zu ſein, als ſie.“ „So bleibe ich bei dir. Der Buluk Emini auch?“ „Auch er.“ Ich ſtieg hinauf auf die Plattform zu Scheik Moham- med Emin. „Hamdullillah, Preis ſei Gott, daß du kommſt!“ ſagte er. „Ich habe mich nach dir geſehnt wie das Gras nach dem Tau der Nacht.“ „Du biſt ſtets hier oben geblieben?“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/20
Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/20>, abgerufen am 22.12.2024.