auf, da ein Medah*) eingelassen wurde, welchen der Kom- mandant zur Unterhaltung seiner Gäste engagiert hatte. Die Pfeifen wurden von neuem gestopft und angebrannt, die Tassen wieder gefüllt, und dann lauschte man andächtig den Worten des Erzählers.
Er stellte sich in die Mitte des Raumes und erzählte mit singender, lamentierender Stimme die tausendmal ge- hörten Geschichten von Abu-Szaber, dem schiefmäuligen Schulmeister, dem Liebessklaven Ganem, von Nureddin Ali und Bedreddin Hassan. Dafür erhielt er zwei Piaster und konnte gehen.
Dann erhob sich der Mutesselim, zum Zeichen, daß diese amüsante Soiree beendet sei. Man sagte sich einige sulminante Höflichkeiten, verbeugte sich gegenseitig und war dann froh, dem Kommandanten, dem Emir Hadschi Kara Ben Remsi, dem Tabak und Kaffee und dem Medah glücklich entronnen zu sein. Ich hatte das nachträgliche Vergnügen, von Selim Agha unter dem Arm genommen und nach Hause begleitet zu werden.
"Emir, erlaube, daß ich deinen Arm nehme!" bat er.
"Da hast du ihn!"
"Ich weiß, daß ich dies eigentlich nicht sollte, denn du bist ein großer Emir, ein weiser Effendi und ein Lieb- ling des Propheten; aber ich habe dich lieb, und du mußt bedenken, daß ich kein gemeiner Arnaute, sondern ein sehr tapferer Agha bin, der diese Festung gegen fünfzigtausend Feinde verteidigen würde."
"Das weiß ich. Auch ich habe dich lieb. Komm, laß uns gehen!"
"Wer ist das?"
Er deutete dabei auf eine Gestalt, welche hinter der Ecke gelehnt hatte und nun an uns vorüberstrich und
*) Märchenerzähler.
auf, da ein Medah*) eingelaſſen wurde, welchen der Kom- mandant zur Unterhaltung ſeiner Gäſte engagiert hatte. Die Pfeifen wurden von neuem geſtopft und angebrannt, die Taſſen wieder gefüllt, und dann lauſchte man andächtig den Worten des Erzählers.
Er ſtellte ſich in die Mitte des Raumes und erzählte mit ſingender, lamentierender Stimme die tauſendmal ge- hörten Geſchichten von Abu-Szaber, dem ſchiefmäuligen Schulmeiſter, dem Liebesſklaven Ganem, von Nureddin Ali und Bedreddin Haſſan. Dafür erhielt er zwei Piaſter und konnte gehen.
Dann erhob ſich der Muteſſelim, zum Zeichen, daß dieſe amüſante Soiree beendet ſei. Man ſagte ſich einige ſulminante Höflichkeiten, verbeugte ſich gegenſeitig und war dann froh, dem Kommandanten, dem Emir Hadſchi Kara Ben Remſi, dem Tabak und Kaffee und dem Medah glücklich entronnen zu ſein. Ich hatte das nachträgliche Vergnügen, von Selim Agha unter dem Arm genommen und nach Hauſe begleitet zu werden.
„Emir, erlaube, daß ich deinen Arm nehme!“ bat er.
„Da haſt du ihn!“
„Ich weiß, daß ich dies eigentlich nicht ſollte, denn du biſt ein großer Emir, ein weiſer Effendi und ein Lieb- ling des Propheten; aber ich habe dich lieb, und du mußt bedenken, daß ich kein gemeiner Arnaute, ſondern ein ſehr tapferer Agha bin, der dieſe Feſtung gegen fünfzigtauſend Feinde verteidigen würde.“
„Das weiß ich. Auch ich habe dich lieb. Komm, laß uns gehen!“
„Wer iſt das?“
Er deutete dabei auf eine Geſtalt, welche hinter der Ecke gelehnt hatte und nun an uns vorüberſtrich und
*) Märchenerzähler.
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auf, da ein Medah *) eingelaſſen wurde, welchen der Kom-
mandant zur Unterhaltung ſeiner Gäſte engagiert hatte.
Die Pfeifen wurden von neuem geſtopft und angebrannt,
die Taſſen wieder gefüllt, und dann lauſchte man andächtig
den Worten des Erzählers.
Er ſtellte ſich in die Mitte des Raumes und erzählte
mit ſingender, lamentierender Stimme die tauſendmal ge-
hörten Geſchichten von Abu-Szaber, dem ſchiefmäuligen
Schulmeiſter, dem Liebesſklaven Ganem, von Nureddin
Ali und Bedreddin Haſſan. Dafür erhielt er zwei Piaſter
und konnte gehen.
Dann erhob ſich der Muteſſelim, zum Zeichen, daß
dieſe amüſante Soiree beendet ſei. Man ſagte ſich einige
ſulminante Höflichkeiten, verbeugte ſich gegenſeitig und
war dann froh, dem Kommandanten, dem Emir Hadſchi
Kara Ben Remſi, dem Tabak und Kaffee und dem Medah
glücklich entronnen zu ſein. Ich hatte das nachträgliche
Vergnügen, von Selim Agha unter dem Arm genommen
und nach Hauſe begleitet zu werden.
„Emir, erlaube, daß ich deinen Arm nehme!“ bat er.
„Da haſt du ihn!“
„Ich weiß, daß ich dies eigentlich nicht ſollte, denn
du biſt ein großer Emir, ein weiſer Effendi und ein Lieb-
ling des Propheten; aber ich habe dich lieb, und du mußt
bedenken, daß ich kein gemeiner Arnaute, ſondern ein ſehr
tapferer Agha bin, der dieſe Feſtung gegen fünfzigtauſend
Feinde verteidigen würde.“
„Das weiß ich. Auch ich habe dich lieb. Komm, laß
uns gehen!“
„Wer iſt das?“
Er deutete dabei auf eine Geſtalt, welche hinter der
Ecke gelehnt hatte und nun an uns vorüberſtrich und
*) Märchenerzähler.
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/241>, abgerufen am 22.12.2024.
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