Das war ja eine ganz allerliebste Einrichtung! Ich hätte den Kerl beohrfeigen mögen. Er führte dieses Prinzip während der ganzen Speiseverteilung durch. Als die oberen Gefangenen versorgt waren, stiegen wir hinab in den un- tern Gang.
"Wer befindet sich hier?" fragte ich.
"Die Schlimmsten. Ein Araber, ein Jude und zwei Kurden von dem Stamme Bulamuh. Sprichst du kurdisch, Emir?"
"Ja."
"Du magst wohl nicht mit den Gefangenen sprechen?"
"Nein; denn sie sind es nicht wert!"
"Das ist wahr. Aber wir können nicht Kurdisch und auch nicht Arabisch, und diese Hunde haben doch stets etwas zu sagen."
"So werde ich einmal mit ihnen reden."
Das war es ja, was ich so gern wollte; nur hatte ich nicht geglaubt, daß ich den Wächtern auch einen Ge- fallen erweisen werde.
Die Zelle des einen Kurden wurde geöffnet. Er hatte sich ganz vor gestellt. Der arme Teufel hatte jedenfalls Hunger; denn als er seinen Löffel Brühe erhielt, bat er, man möge ihm doch ein größeres Stück Brot geben, als gewöhnlich.
"Was will er?" fragte der Sergeant.
"Etwas mehr Brot. Gieb es ihm!"
"Er soll es haben, weil du für ihn bittest."
Nun kamen wir zum Juden. Ich schwieg, weil dieser türkisch reden konnte. Er hatte eine Menge Klagen vor- zubringen, die von meinem Standpunkte aus alle sehr wohl begründet waren; aber er wurde nicht angehört.
Der zweite Kurde war ein alter Mann. Er bat nur, vor den Richter geführt zu werden. Der Sergeant ver- sprach es ihm und lachte dabei.
Das war ja eine ganz allerliebſte Einrichtung! Ich hätte den Kerl beohrfeigen mögen. Er führte dieſes Prinzip während der ganzen Speiſeverteilung durch. Als die oberen Gefangenen verſorgt waren, ſtiegen wir hinab in den un- tern Gang.
„Wer befindet ſich hier?“ fragte ich.
„Die Schlimmſten. Ein Araber, ein Jude und zwei Kurden von dem Stamme Bulamuh. Sprichſt du kurdiſch, Emir?“
„Ja.“
„Du magſt wohl nicht mit den Gefangenen ſprechen?“
„Nein; denn ſie ſind es nicht wert!“
„Das iſt wahr. Aber wir können nicht Kurdiſch und auch nicht Arabiſch, und dieſe Hunde haben doch ſtets etwas zu ſagen.“
„So werde ich einmal mit ihnen reden.“
Das war es ja, was ich ſo gern wollte; nur hatte ich nicht geglaubt, daß ich den Wächtern auch einen Ge- fallen erweiſen werde.
Die Zelle des einen Kurden wurde geöffnet. Er hatte ſich ganz vor geſtellt. Der arme Teufel hatte jedenfalls Hunger; denn als er ſeinen Löffel Brühe erhielt, bat er, man möge ihm doch ein größeres Stück Brot geben, als gewöhnlich.
„Was will er?“ fragte der Sergeant.
„Etwas mehr Brot. Gieb es ihm!“
„Er ſoll es haben, weil du für ihn bitteſt.“
Nun kamen wir zum Juden. Ich ſchwieg, weil dieſer türkiſch reden konnte. Er hatte eine Menge Klagen vor- zubringen, die von meinem Standpunkte aus alle ſehr wohl begründet waren; aber er wurde nicht angehört.
Der zweite Kurde war ein alter Mann. Er bat nur, vor den Richter geführt zu werden. Der Sergeant ver- ſprach es ihm und lachte dabei.
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0274"n="260"/><p>Das war ja eine ganz allerliebſte Einrichtung! Ich<lb/>
hätte den Kerl beohrfeigen mögen. Er führte dieſes Prinzip<lb/>
während der ganzen Speiſeverteilung durch. Als die oberen<lb/>
Gefangenen verſorgt waren, ſtiegen wir hinab in den un-<lb/>
tern Gang.</p><lb/><p>„Wer befindet ſich hier?“ fragte ich.</p><lb/><p>„Die Schlimmſten. Ein Araber, ein Jude und zwei<lb/>
Kurden von dem Stamme Bulamuh. Sprichſt du kurdiſch,<lb/>
Emir?“</p><lb/><p>„Ja.“</p><lb/><p>„Du magſt wohl nicht mit den Gefangenen ſprechen?“</p><lb/><p>„Nein; denn ſie ſind es nicht wert!“</p><lb/><p>„Das iſt wahr. Aber wir können nicht Kurdiſch und<lb/>
auch nicht Arabiſch, und dieſe Hunde haben doch ſtets<lb/>
etwas zu ſagen.“</p><lb/><p>„So werde ich einmal mit ihnen reden.“</p><lb/><p>Das war es ja, was ich ſo gern wollte; nur hatte<lb/>
ich nicht geglaubt, daß ich den Wächtern auch einen Ge-<lb/>
fallen erweiſen werde.</p><lb/><p>Die Zelle des einen Kurden wurde geöffnet. Er hatte ſich<lb/>
ganz vor geſtellt. Der arme Teufel hatte jedenfalls Hunger;<lb/>
denn als er ſeinen Löffel Brühe erhielt, bat er, man möge<lb/>
ihm doch ein größeres Stück Brot geben, als gewöhnlich.</p><lb/><p>„Was will er?“ fragte der Sergeant.</p><lb/><p>„Etwas mehr Brot. Gieb es ihm!“</p><lb/><p>„Er ſoll es haben, weil du für ihn bitteſt.“</p><lb/><p>Nun kamen wir zum Juden. Ich ſchwieg, weil dieſer<lb/>
türkiſch reden konnte. Er hatte eine Menge Klagen vor-<lb/>
zubringen, die von meinem Standpunkte aus alle ſehr<lb/>
wohl begründet waren; aber er wurde nicht angehört.</p><lb/><p>Der zweite Kurde war ein alter Mann. Er bat nur,<lb/>
vor den Richter geführt zu werden. Der Sergeant ver-<lb/>ſprach es ihm und lachte dabei.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[260/0274]
Das war ja eine ganz allerliebſte Einrichtung! Ich
hätte den Kerl beohrfeigen mögen. Er führte dieſes Prinzip
während der ganzen Speiſeverteilung durch. Als die oberen
Gefangenen verſorgt waren, ſtiegen wir hinab in den un-
tern Gang.
„Wer befindet ſich hier?“ fragte ich.
„Die Schlimmſten. Ein Araber, ein Jude und zwei
Kurden von dem Stamme Bulamuh. Sprichſt du kurdiſch,
Emir?“
„Ja.“
„Du magſt wohl nicht mit den Gefangenen ſprechen?“
„Nein; denn ſie ſind es nicht wert!“
„Das iſt wahr. Aber wir können nicht Kurdiſch und
auch nicht Arabiſch, und dieſe Hunde haben doch ſtets
etwas zu ſagen.“
„So werde ich einmal mit ihnen reden.“
Das war es ja, was ich ſo gern wollte; nur hatte
ich nicht geglaubt, daß ich den Wächtern auch einen Ge-
fallen erweiſen werde.
Die Zelle des einen Kurden wurde geöffnet. Er hatte ſich
ganz vor geſtellt. Der arme Teufel hatte jedenfalls Hunger;
denn als er ſeinen Löffel Brühe erhielt, bat er, man möge
ihm doch ein größeres Stück Brot geben, als gewöhnlich.
„Was will er?“ fragte der Sergeant.
„Etwas mehr Brot. Gieb es ihm!“
„Er ſoll es haben, weil du für ihn bitteſt.“
Nun kamen wir zum Juden. Ich ſchwieg, weil dieſer
türkiſch reden konnte. Er hatte eine Menge Klagen vor-
zubringen, die von meinem Standpunkte aus alle ſehr
wohl begründet waren; aber er wurde nicht angehört.
Der zweite Kurde war ein alter Mann. Er bat nur,
vor den Richter geführt zu werden. Der Sergeant ver-
ſprach es ihm und lachte dabei.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/274>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.