Es war wirklich spaßig zu sehen, mit welchen Ge- sichtern die beiden Männer erst mich und dann sich an- sahen. Dann fragte der Makredsch:
"Wie meinst du das, Effendi?"
"Ich meine, daß ich aus einem Lande stamme, in welchem Gerechtigkeit herrscht. Bei den Nemsi ist der Bettler ebensoviel wert vor dem Richter wie der König. Und wenn der Padischah der Nemsi sündigt, so wird er von dem Gesetze bestraft. Keiner kann sein Leben erkaufen, denn es giebt keinen Richter, der ein Schurke ist. Die Osmanly aber haben kein anderes Gesetz als ihren Geld- beutel, und darum schachern sie mit der Gerechtigkeit. Ich kann mein Leben nicht bezahlen, wenn ich verdient habe, daß es mir genommen wird."
"So wirst du es verlieren!"
"Das glaube ich nicht. Ein Nemtsche treibt keinen Handel mit seinem Leben, aber er weiß es zu verteidigen."
"Effendi, die Verteidigung ist dir unmöglich!"
"Warum?"
"Deine Schuld ist erwiesen, und du hast sie auch bereits eingestanden."
"Das ist nicht wahr. Ich habe keine Schuld einge- standen, sondern ich habe nur zugegeben, daß ich euch die Kanonen fortgenommen habe. Und das ist eine That, die keine Strafe erhalten wird."
"Das meinst du nur. Du weigerst dich also, auf un- sern Vorschlag der Güte und des Erbarmens einzugehen?"
"Ich brauche kein Erbarmen."
„Sechzigtauſend Piaſter. Nicht?“
„Ja. Habt ihr ſo viel Geld bei euch?“
„Wir ſind ſehr reich, Effendi.“
„Wann wollt ihr bezahlen?“
„Gar nicht!“
Es war wirklich ſpaßig zu ſehen, mit welchen Ge- ſichtern die beiden Männer erſt mich und dann ſich an- ſahen. Dann fragte der Makredſch:
„Wie meinſt du das, Effendi?“
„Ich meine, daß ich aus einem Lande ſtamme, in welchem Gerechtigkeit herrſcht. Bei den Nemſi iſt der Bettler ebenſoviel wert vor dem Richter wie der König. Und wenn der Padiſchah der Nemſi ſündigt, ſo wird er von dem Geſetze beſtraft. Keiner kann ſein Leben erkaufen, denn es giebt keinen Richter, der ein Schurke iſt. Die Osmanly aber haben kein anderes Geſetz als ihren Geld- beutel, und darum ſchachern ſie mit der Gerechtigkeit. Ich kann mein Leben nicht bezahlen, wenn ich verdient habe, daß es mir genommen wird.“
„So wirſt du es verlieren!“
„Das glaube ich nicht. Ein Nemtſche treibt keinen Handel mit ſeinem Leben, aber er weiß es zu verteidigen.“
„Effendi, die Verteidigung iſt dir unmöglich!“
„Warum?“
„Deine Schuld iſt erwieſen, und du haſt ſie auch bereits eingeſtanden.“
„Das iſt nicht wahr. Ich habe keine Schuld einge- ſtanden, ſondern ich habe nur zugegeben, daß ich euch die Kanonen fortgenommen habe. Und das iſt eine That, die keine Strafe erhalten wird.“
„Das meinſt du nur. Du weigerſt dich alſo, auf un- ſern Vorſchlag der Güte und des Erbarmens einzugehen?“
„Ich brauche kein Erbarmen.“
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„Sechzigtauſend Piaſter. Nicht?“
„Ja. Habt ihr ſo viel Geld bei euch?“
„Wir ſind ſehr reich, Effendi.“
„Wann wollt ihr bezahlen?“
„Gar nicht!“
Es war wirklich ſpaßig zu ſehen, mit welchen Ge-
ſichtern die beiden Männer erſt mich und dann ſich an-
ſahen. Dann fragte der Makredſch:
„Wie meinſt du das, Effendi?“
„Ich meine, daß ich aus einem Lande ſtamme, in
welchem Gerechtigkeit herrſcht. Bei den Nemſi iſt der
Bettler ebenſoviel wert vor dem Richter wie der König.
Und wenn der Padiſchah der Nemſi ſündigt, ſo wird er
von dem Geſetze beſtraft. Keiner kann ſein Leben erkaufen,
denn es giebt keinen Richter, der ein Schurke iſt. Die
Osmanly aber haben kein anderes Geſetz als ihren Geld-
beutel, und darum ſchachern ſie mit der Gerechtigkeit. Ich
kann mein Leben nicht bezahlen, wenn ich verdient habe,
daß es mir genommen wird.“
„So wirſt du es verlieren!“
„Das glaube ich nicht. Ein Nemtſche treibt keinen
Handel mit ſeinem Leben, aber er weiß es zu verteidigen.“
„Effendi, die Verteidigung iſt dir unmöglich!“
„Warum?“
„Deine Schuld iſt erwieſen, und du haſt ſie auch
bereits eingeſtanden.“
„Das iſt nicht wahr. Ich habe keine Schuld einge-
ſtanden, ſondern ich habe nur zugegeben, daß ich euch die
Kanonen fortgenommen habe. Und das iſt eine That, die
keine Strafe erhalten wird.“
„Das meinſt du nur. Du weigerſt dich alſo, auf un-
ſern Vorſchlag der Güte und des Erbarmens einzugehen?“
„Ich brauche kein Erbarmen.“
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/297>, abgerufen am 23.12.2024.
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