Während des Mahles wurde auch Mohammed genau instruiert. Halef brachte den Wein und mußte ihn gut verpacken.
"Den trägst du jetzt zum Mutesselim," sagte ich ihm.
"Will er ihn trinken, Sihdi?" fragte er erstaunt.
"Er soll ihn verwenden, wozu er ihn braucht. Du giebst das Paket an keinen andern Menschen als nur an ihn und sagst, daß ich hier die Medizin sende. Und höre! Wenn ich dann mit Selim Agha fortgehe, so gehest du uns heimlich nach und merkst dir das Haus, in welches wir treten, aber genau! Und sollte ich irgendwie gebraucht werden, so kommst du, mich zu holen."
"Wo werde ich dich in dem Hause finden?"
"Du gehst im Flur von der Thüre aus ungefähr acht Schritte gradaus und pochest dann rechts an eine Thüre, hinter welcher ich mich befinde. Sollte der Wirt dich sehen, der ein Jude ist, so sagest du, daß du den fremden Emir suchest, der aus dem Kruge trinkt. Ver- stehest du?"
Er ging mit seinem Pakete fort.
Mohammed Emin befand sich in einer unbeschreib- lichen Aufregung. Ich hatte ihn selbst damals, als es im Thale der Stufen galt, seine Feinde gefangen zu nehmen, nicht so gesehen. Er hatte alle seine Waffen angethan und auch die Flinte neu geladen. Ich konnte nicht dar- über lächeln. Ein Vaterherz ist eine heilige Sache; ich hatte ja auch einen Vater daheim, der oft für mich der Sorgen und Entbehrungen genug getragen hatte, und konnte also das begreifen.
Endlich kam Selim Agha von dem Mutesselim zurück. Er verzehrte in der Küche sein Abendbrot, und dann gingen wir heimlich zum Juden. Selim Agha hatte die Wirkung des starken Weines zur Genüge kennen gelernt
Während des Mahles wurde auch Mohammed genau inſtruiert. Halef brachte den Wein und mußte ihn gut verpacken.
„Den trägſt du jetzt zum Muteſſelim,“ ſagte ich ihm.
„Will er ihn trinken, Sihdi?“ fragte er erſtaunt.
„Er ſoll ihn verwenden, wozu er ihn braucht. Du giebſt das Paket an keinen andern Menſchen als nur an ihn und ſagſt, daß ich hier die Medizin ſende. Und höre! Wenn ich dann mit Selim Agha fortgehe, ſo geheſt du uns heimlich nach und merkſt dir das Haus, in welches wir treten, aber genau! Und ſollte ich irgendwie gebraucht werden, ſo kommſt du, mich zu holen.“
„Wo werde ich dich in dem Hauſe finden?“
„Du gehſt im Flur von der Thüre aus ungefähr acht Schritte gradaus und pocheſt dann rechts an eine Thüre, hinter welcher ich mich befinde. Sollte der Wirt dich ſehen, der ein Jude iſt, ſo ſageſt du, daß du den fremden Emir ſucheſt, der aus dem Kruge trinkt. Ver- ſteheſt du?“
Er ging mit ſeinem Pakete fort.
Mohammed Emin befand ſich in einer unbeſchreib- lichen Aufregung. Ich hatte ihn ſelbſt damals, als es im Thale der Stufen galt, ſeine Feinde gefangen zu nehmen, nicht ſo geſehen. Er hatte alle ſeine Waffen angethan und auch die Flinte neu geladen. Ich konnte nicht dar- über lächeln. Ein Vaterherz iſt eine heilige Sache; ich hatte ja auch einen Vater daheim, der oft für mich der Sorgen und Entbehrungen genug getragen hatte, und konnte alſo das begreifen.
Endlich kam Selim Agha von dem Muteſſelim zurück. Er verzehrte in der Küche ſein Abendbrot, und dann gingen wir heimlich zum Juden. Selim Agha hatte die Wirkung des ſtarken Weines zur Genüge kennen gelernt
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Während des Mahles wurde auch Mohammed genau
inſtruiert. Halef brachte den Wein und mußte ihn gut
verpacken.
„Den trägſt du jetzt zum Muteſſelim,“ ſagte ich ihm.
„Will er ihn trinken, Sihdi?“ fragte er erſtaunt.
„Er ſoll ihn verwenden, wozu er ihn braucht. Du
giebſt das Paket an keinen andern Menſchen als nur
an ihn und ſagſt, daß ich hier die Medizin ſende. Und
höre! Wenn ich dann mit Selim Agha fortgehe, ſo geheſt
du uns heimlich nach und merkſt dir das Haus, in welches
wir treten, aber genau! Und ſollte ich irgendwie gebraucht
werden, ſo kommſt du, mich zu holen.“
„Wo werde ich dich in dem Hauſe finden?“
„Du gehſt im Flur von der Thüre aus ungefähr
acht Schritte gradaus und pocheſt dann rechts an eine
Thüre, hinter welcher ich mich befinde. Sollte der Wirt
dich ſehen, der ein Jude iſt, ſo ſageſt du, daß du den
fremden Emir ſucheſt, der aus dem Kruge trinkt. Ver-
ſteheſt du?“
Er ging mit ſeinem Pakete fort.
Mohammed Emin befand ſich in einer unbeſchreib-
lichen Aufregung. Ich hatte ihn ſelbſt damals, als es
im Thale der Stufen galt, ſeine Feinde gefangen zu nehmen,
nicht ſo geſehen. Er hatte alle ſeine Waffen angethan
und auch die Flinte neu geladen. Ich konnte nicht dar-
über lächeln. Ein Vaterherz iſt eine heilige Sache; ich
hatte ja auch einen Vater daheim, der oft für mich der
Sorgen und Entbehrungen genug getragen hatte, und
konnte alſo das begreifen.
Endlich kam Selim Agha von dem Muteſſelim zurück.
Er verzehrte in der Küche ſein Abendbrot, und dann
gingen wir heimlich zum Juden. Selim Agha hatte die
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/308>, abgerufen am 23.12.2024.
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