Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

Bild:
<< vorherige Seite

"So eile, damit du der Sorge um den Makredsch
ledig wirst. Wenn es auch diesem gelingen sollte, zu ent-
kommen, so bist du verloren."

"In einer Stunde soll der Transport abgehen."

"Hast du schon das Verzeichnis von den Sachen fertig,
welche der Makredsch bei sich hatte?"

"Es ist fertig und von mir und Selim Agha unter-
zeichnet."

"Du hast eine Unterschrift vergessen, Mutesselim."

"Welche?"

"Die meinige."

"O, Effendi, diese ist gar nicht nötig."

"Aber wünschenswert."

"Aus welchem Grunde?"

"Man könnte mich in Mossul oder Stambul über
diese Sache fragen, wenn etwas nicht stimmen sollte. So
wird es besser sein, ich unterzeichne mich jetzt; dann ist
alles in Ordnung. Auch dir muß es willkommen sein,
einen Zeugen mehr zu haben; denn ich traue dem Ma-
kredsch gar sehr zu, daß er dich verleumdet, um sich an
dir zu rächen."

Der Kommandant befand sich augenscheinlich in großer
Verlegenheit.

"Das Verzeichnis ist bereits verschlossen und ver-
siegelt," sagte er.

"Zeige es!"

Er erhob sich wieder und ging in die Nebenstube.

"Effendi," flüsterte der Agha ängstlich, "verrate nicht,
daß ich dir alles gesagt habe."

"Sei ohne Sorge!"

Der Mutesselim kehrte zurück und hielt ein versiegeltes
Schreiben in der Hand. Er reichte es mir ohne Bedenken.

Ich nahm es, um mich zu überzeugen, daß es auch

„So eile, damit du der Sorge um den Makredſch
ledig wirſt. Wenn es auch dieſem gelingen ſollte, zu ent-
kommen, ſo biſt du verloren.“

„In einer Stunde ſoll der Transport abgehen.“

„Haſt du ſchon das Verzeichnis von den Sachen fertig,
welche der Makredſch bei ſich hatte?“

„Es iſt fertig und von mir und Selim Agha unter-
zeichnet.“

„Du haſt eine Unterſchrift vergeſſen, Muteſſelim.“

„Welche?“

„Die meinige.“

„O, Effendi, dieſe iſt gar nicht nötig.“

„Aber wünſchenswert.“

„Aus welchem Grunde?“

„Man könnte mich in Moſſul oder Stambul über
dieſe Sache fragen, wenn etwas nicht ſtimmen ſollte. So
wird es beſſer ſein, ich unterzeichne mich jetzt; dann iſt
alles in Ordnung. Auch dir muß es willkommen ſein,
einen Zeugen mehr zu haben; denn ich traue dem Ma-
kredſch gar ſehr zu, daß er dich verleumdet, um ſich an
dir zu rächen.“

Der Kommandant befand ſich augenſcheinlich in großer
Verlegenheit.

„Das Verzeichnis iſt bereits verſchloſſen und ver-
ſiegelt,“ ſagte er.

„Zeige es!“

Er erhob ſich wieder und ging in die Nebenſtube.

„Effendi,“ flüſterte der Agha ängſtlich, „verrate nicht,
daß ich dir alles geſagt habe.“

„Sei ohne Sorge!“

Der Muteſſelim kehrte zurück und hielt ein verſiegeltes
Schreiben in der Hand. Er reichte es mir ohne Bedenken.

Ich nahm es, um mich zu überzeugen, daß es auch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0368" n="354"/>
        <p>&#x201E;So eile, damit du der Sorge um den Makred&#x017F;ch<lb/>
ledig wir&#x017F;t. Wenn es auch die&#x017F;em gelingen &#x017F;ollte, zu ent-<lb/>
kommen, &#x017F;o bi&#x017F;t du verloren.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;In einer Stunde &#x017F;oll der Transport abgehen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ha&#x017F;t du &#x017F;chon das Verzeichnis von den Sachen fertig,<lb/>
welche der Makred&#x017F;ch bei &#x017F;ich hatte?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Es i&#x017F;t fertig und von mir und Selim Agha unter-<lb/>
zeichnet.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Du ha&#x017F;t eine Unter&#x017F;chrift verge&#x017F;&#x017F;en, Mute&#x017F;&#x017F;elim.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Welche?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Die meinige.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;O, Effendi, die&#x017F;e i&#x017F;t gar nicht nötig.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Aber wün&#x017F;chenswert.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Aus welchem Grunde?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Man könnte mich in Mo&#x017F;&#x017F;ul oder Stambul über<lb/>
die&#x017F;e Sache fragen, wenn etwas nicht &#x017F;timmen &#x017F;ollte. So<lb/>
wird es be&#x017F;&#x017F;er &#x017F;ein, ich unterzeichne mich jetzt; dann i&#x017F;t<lb/>
alles in Ordnung. Auch dir muß es willkommen &#x017F;ein,<lb/>
einen Zeugen mehr zu haben; denn ich traue dem Ma-<lb/>
kred&#x017F;ch gar &#x017F;ehr zu, daß er dich verleumdet, um &#x017F;ich an<lb/>
dir zu rächen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Der Kommandant befand &#x017F;ich augen&#x017F;cheinlich in großer<lb/>
Verlegenheit.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Das Verzeichnis i&#x017F;t bereits ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en und ver-<lb/>
&#x017F;iegelt,&#x201C; &#x017F;agte er.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Zeige es!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Er erhob &#x017F;ich wieder und ging in die Neben&#x017F;tube.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Effendi,&#x201C; flü&#x017F;terte der Agha äng&#x017F;tlich, &#x201E;verrate nicht,<lb/>
daß ich dir alles ge&#x017F;agt habe.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sei ohne Sorge!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Der Mute&#x017F;&#x017F;elim kehrte zurück und hielt ein ver&#x017F;iegeltes<lb/>
Schreiben in der Hand. Er reichte es mir ohne Bedenken.</p><lb/>
        <p>Ich nahm es, um mich zu überzeugen, daß es auch<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[354/0368] „So eile, damit du der Sorge um den Makredſch ledig wirſt. Wenn es auch dieſem gelingen ſollte, zu ent- kommen, ſo biſt du verloren.“ „In einer Stunde ſoll der Transport abgehen.“ „Haſt du ſchon das Verzeichnis von den Sachen fertig, welche der Makredſch bei ſich hatte?“ „Es iſt fertig und von mir und Selim Agha unter- zeichnet.“ „Du haſt eine Unterſchrift vergeſſen, Muteſſelim.“ „Welche?“ „Die meinige.“ „O, Effendi, dieſe iſt gar nicht nötig.“ „Aber wünſchenswert.“ „Aus welchem Grunde?“ „Man könnte mich in Moſſul oder Stambul über dieſe Sache fragen, wenn etwas nicht ſtimmen ſollte. So wird es beſſer ſein, ich unterzeichne mich jetzt; dann iſt alles in Ordnung. Auch dir muß es willkommen ſein, einen Zeugen mehr zu haben; denn ich traue dem Ma- kredſch gar ſehr zu, daß er dich verleumdet, um ſich an dir zu rächen.“ Der Kommandant befand ſich augenſcheinlich in großer Verlegenheit. „Das Verzeichnis iſt bereits verſchloſſen und ver- ſiegelt,“ ſagte er. „Zeige es!“ Er erhob ſich wieder und ging in die Nebenſtube. „Effendi,“ flüſterte der Agha ängſtlich, „verrate nicht, daß ich dir alles geſagt habe.“ „Sei ohne Sorge!“ Der Muteſſelim kehrte zurück und hielt ein verſiegeltes Schreiben in der Hand. Er reichte es mir ohne Bedenken. Ich nahm es, um mich zu überzeugen, daß es auch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/368
Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/368>, abgerufen am 23.12.2024.