Hier bekam ich eine Lehre, welche mir später nützlich sein konnte.
"Aber dein Vater hat mir ja Sicherheit versprochen und gelobt!"
"Er braucht sein Versprechen nicht zu halten, da ihr nicht unsere Gäste seid."
"Mein Hund hat den Wirt getötet. Ist dies bei euch ein Grund zur Blutrache?"
Er bejahte es, und ich examinierte weiter:
"Wer ist der Rächer?"
"Der Tote hat einen Sohn hier."
"Ich bin mit dir zufrieden. Du kannst nach Hause gehen!"
"Chodih," rief er freudig erstaunt, "ist dies dein Ernst?"
"Ja. Ich habe dir gesagt, daß du behandelt werden sollst ganz so, wie du dich verhältst. Du bist aufrichtig gewesen, und so sollst du deine Freiheit haben. Sage deinem Vater, daß die Tschermaki sehr friedliche Leute sind, die zwar keinem Menschen nach dem Leben trachten, aber sich auch, wenn man sie beleidigt oder gar angreift, gehörig zu verteidigen wissen. Daß der Wirt gestorben ist, das thut mir leid; aber er selbst trägt die Schuld daran, und ich werde den Rächer seines Blutes nicht fürchten."
"Du könntest ihm ja den Preis bezahlen. Ich will mit ihm reden."
"Ich bezahle nichts. Hätte der Mann uns nicht be- rauben wollen, so wäre ihm nichts Uebles geschehen."
"Aber Herr, man wird euch töten, einen wie den andern, sobald der Tag anbricht!"
"Obschon ich dir die Freiheit und das Leben geschenkt habe?"
"Ja, dennoch! Du bist gut gegen mich, und darum
Hier bekam ich eine Lehre, welche mir ſpäter nützlich ſein konnte.
„Aber dein Vater hat mir ja Sicherheit verſprochen und gelobt!“
„Er braucht ſein Verſprechen nicht zu halten, da ihr nicht unſere Gäſte ſeid.“
„Mein Hund hat den Wirt getötet. Iſt dies bei euch ein Grund zur Blutrache?“
Er bejahte es, und ich examinierte weiter:
„Wer iſt der Rächer?“
„Der Tote hat einen Sohn hier.“
„Ich bin mit dir zufrieden. Du kannſt nach Hauſe gehen!“
„Chodih,“ rief er freudig erſtaunt, „iſt dies dein Ernſt?“
„Ja. Ich habe dir geſagt, daß du behandelt werden ſollſt ganz ſo, wie du dich verhältſt. Du biſt aufrichtig geweſen, und ſo ſollſt du deine Freiheit haben. Sage deinem Vater, daß die Tſchermaki ſehr friedliche Leute ſind, die zwar keinem Menſchen nach dem Leben trachten, aber ſich auch, wenn man ſie beleidigt oder gar angreift, gehörig zu verteidigen wiſſen. Daß der Wirt geſtorben iſt, das thut mir leid; aber er ſelbſt trägt die Schuld daran, und ich werde den Rächer ſeines Blutes nicht fürchten.“
„Du könnteſt ihm ja den Preis bezahlen. Ich will mit ihm reden.“
„Ich bezahle nichts. Hätte der Mann uns nicht be- rauben wollen, ſo wäre ihm nichts Uebles geſchehen.“
„Aber Herr, man wird euch töten, einen wie den andern, ſobald der Tag anbricht!“
„Obſchon ich dir die Freiheit und das Leben geſchenkt habe?“
„Ja, dennoch! Du biſt gut gegen mich, und darum
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[402/0416]
Hier bekam ich eine Lehre, welche mir ſpäter nützlich
ſein konnte.
„Aber dein Vater hat mir ja Sicherheit verſprochen
und gelobt!“
„Er braucht ſein Verſprechen nicht zu halten, da ihr
nicht unſere Gäſte ſeid.“
„Mein Hund hat den Wirt getötet. Iſt dies bei
euch ein Grund zur Blutrache?“
Er bejahte es, und ich examinierte weiter:
„Wer iſt der Rächer?“
„Der Tote hat einen Sohn hier.“
„Ich bin mit dir zufrieden. Du kannſt nach Hauſe
gehen!“
„Chodih,“ rief er freudig erſtaunt, „iſt dies dein Ernſt?“
„Ja. Ich habe dir geſagt, daß du behandelt werden
ſollſt ganz ſo, wie du dich verhältſt. Du biſt aufrichtig
geweſen, und ſo ſollſt du deine Freiheit haben. Sage
deinem Vater, daß die Tſchermaki ſehr friedliche Leute
ſind, die zwar keinem Menſchen nach dem Leben trachten,
aber ſich auch, wenn man ſie beleidigt oder gar angreift,
gehörig zu verteidigen wiſſen. Daß der Wirt geſtorben
iſt, das thut mir leid; aber er ſelbſt trägt die Schuld
daran, und ich werde den Rächer ſeines Blutes nicht
fürchten.“
„Du könnteſt ihm ja den Preis bezahlen. Ich will
mit ihm reden.“
„Ich bezahle nichts. Hätte der Mann uns nicht be-
rauben wollen, ſo wäre ihm nichts Uebles geſchehen.“
„Aber Herr, man wird euch töten, einen wie den
andern, ſobald der Tag anbricht!“
„Obſchon ich dir die Freiheit und das Leben geſchenkt
habe?“
„Ja, dennoch! Du biſt gut gegen mich, und darum
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/416>, abgerufen am 23.12.2024.
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