Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

Bild:
<< vorherige Seite

"Ja. Er hat nichts von ihrer Hinterlist geahnt."

"Wäre ich ein Haddedihn, so zöge ich nach Amadijah,
um den Sohn meines Scheik zu befreien."

"Bey, das ist eine schwere Sache!"

"Und dennoch würde ich es thun. Die List ist oft
eine bessere Waffe als die Gewalt."

"So wisse denn, daß es einen Haddedihn giebt,
welcher nach Amadijah gegangen ist."

"Einen einzigen?"

Ich bejahte es.

"So kann ihm nichts gelingen," meinte der Bey.
"Zu einem solchen Werke gehören viele."

"Und dennoch ist es ihm gelungen," entgegnete ich.

"Tu katischt nezani -- was du nicht weißt! Er hat
den Sohn des Scheik wirklich befreit? Durch List oder
Gewalt?"

"Durch List."

"So ist er ein tapferer und entschlossener, aber auch
ein kluger Mann gewesen. War er ein einfacher Krieger?"

"Nein. Es war der Scheik Mohammed Emin selbst."

"Chodih, du berichtest mir ein Wunder! Aber ich
glaube es, weil du es sagest. Werden sie unangefochten
nach ihren Weideplätzen kommen?"

"Das weiß nur Allah und du."

"Ich? Wie meinst du das?"

"Ja, du. Ich habe gehört, daß sie sich nicht nach
Westen, sondern in das Land Berwari wenden werden,
um den Zab zu erreichen und auf ihm hinab zu fahren."

"Emir, das ist ein großes Abenteuer. Die beiden
Helden sollten mir willkommen sein, wenn sie zu mir
kämen. Wann ist die Flucht gelungen?"

"In der Nacht vor gestern."

"Woher weißt du dies so genau? Hast du sie gesehen?"

„Ja. Er hat nichts von ihrer Hinterliſt geahnt.“

„Wäre ich ein Haddedihn, ſo zöge ich nach Amadijah,
um den Sohn meines Scheik zu befreien.“

„Bey, das iſt eine ſchwere Sache!“

„Und dennoch würde ich es thun. Die Liſt iſt oft
eine beſſere Waffe als die Gewalt.“

„So wiſſe denn, daß es einen Haddedihn giebt,
welcher nach Amadijah gegangen iſt.“

„Einen einzigen?“

Ich bejahte es.

„So kann ihm nichts gelingen,“ meinte der Bey.
„Zu einem ſolchen Werke gehören viele.“

„Und dennoch iſt es ihm gelungen,“ entgegnete ich.

„Tu katiſcht nezani — was du nicht weißt! Er hat
den Sohn des Scheik wirklich befreit? Durch Liſt oder
Gewalt?“

„Durch Liſt.“

„So iſt er ein tapferer und entſchloſſener, aber auch
ein kluger Mann geweſen. War er ein einfacher Krieger?“

„Nein. Es war der Scheik Mohammed Emin ſelbſt.“

„Chodih, du berichteſt mir ein Wunder! Aber ich
glaube es, weil du es ſageſt. Werden ſie unangefochten
nach ihren Weideplätzen kommen?“

„Das weiß nur Allah und du.“

„Ich? Wie meinſt du das?“

„Ja, du. Ich habe gehört, daß ſie ſich nicht nach
Weſten, ſondern in das Land Berwari wenden werden,
um den Zab zu erreichen und auf ihm hinab zu fahren.“

„Emir, das iſt ein großes Abenteuer. Die beiden
Helden ſollten mir willkommen ſein, wenn ſie zu mir
kämen. Wann iſt die Flucht gelungen?“

„In der Nacht vor geſtern.“

„Woher weißt du dies ſo genau? Haſt du ſie geſehen?“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0444" n="430"/>
        <p>&#x201E;Ja. Er hat nichts von ihrer Hinterli&#x017F;t geahnt.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wäre ich ein Haddedihn, &#x017F;o zöge ich nach Amadijah,<lb/>
um den Sohn meines Scheik zu befreien.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Bey, das i&#x017F;t eine &#x017F;chwere Sache!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und dennoch würde ich es thun. Die Li&#x017F;t i&#x017F;t oft<lb/>
eine be&#x017F;&#x017F;ere Waffe als die Gewalt.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;So wi&#x017F;&#x017F;e denn, daß es einen Haddedihn giebt,<lb/>
welcher nach Amadijah gegangen i&#x017F;t.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Einen einzigen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>Ich bejahte es.</p><lb/>
        <p>&#x201E;So kann ihm nichts gelingen,&#x201C; meinte der Bey.<lb/>
&#x201E;Zu einem &#x017F;olchen Werke gehören viele.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und dennoch i&#x017F;t es ihm gelungen,&#x201C; entgegnete ich.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Tu kati&#x017F;cht nezani &#x2014; was du nicht weißt! Er hat<lb/>
den Sohn des Scheik wirklich befreit? Durch Li&#x017F;t oder<lb/>
Gewalt?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Durch Li&#x017F;t.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;So i&#x017F;t er ein tapferer und ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ener, aber auch<lb/>
ein kluger Mann gewe&#x017F;en. War er ein einfacher Krieger?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nein. Es war der Scheik Mohammed Emin &#x017F;elb&#x017F;t.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Chodih, du berichte&#x017F;t mir ein Wunder! Aber ich<lb/>
glaube es, weil du es &#x017F;age&#x017F;t. Werden &#x017F;ie unangefochten<lb/>
nach ihren Weideplätzen kommen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Das weiß nur Allah und du.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich? Wie mein&#x017F;t du das?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ja, du. Ich habe gehört, daß &#x017F;ie &#x017F;ich nicht nach<lb/>
We&#x017F;ten, &#x017F;ondern in das Land Berwari wenden werden,<lb/>
um den Zab zu erreichen und auf ihm hinab zu fahren.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Emir, das i&#x017F;t ein großes Abenteuer. Die beiden<lb/>
Helden &#x017F;ollten mir willkommen &#x017F;ein, wenn &#x017F;ie zu mir<lb/>
kämen. Wann i&#x017F;t die Flucht gelungen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;In der Nacht vor ge&#x017F;tern.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Woher weißt du dies &#x017F;o genau? Ha&#x017F;t du &#x017F;ie ge&#x017F;ehen?&#x201C;</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[430/0444] „Ja. Er hat nichts von ihrer Hinterliſt geahnt.“ „Wäre ich ein Haddedihn, ſo zöge ich nach Amadijah, um den Sohn meines Scheik zu befreien.“ „Bey, das iſt eine ſchwere Sache!“ „Und dennoch würde ich es thun. Die Liſt iſt oft eine beſſere Waffe als die Gewalt.“ „So wiſſe denn, daß es einen Haddedihn giebt, welcher nach Amadijah gegangen iſt.“ „Einen einzigen?“ Ich bejahte es. „So kann ihm nichts gelingen,“ meinte der Bey. „Zu einem ſolchen Werke gehören viele.“ „Und dennoch iſt es ihm gelungen,“ entgegnete ich. „Tu katiſcht nezani — was du nicht weißt! Er hat den Sohn des Scheik wirklich befreit? Durch Liſt oder Gewalt?“ „Durch Liſt.“ „So iſt er ein tapferer und entſchloſſener, aber auch ein kluger Mann geweſen. War er ein einfacher Krieger?“ „Nein. Es war der Scheik Mohammed Emin ſelbſt.“ „Chodih, du berichteſt mir ein Wunder! Aber ich glaube es, weil du es ſageſt. Werden ſie unangefochten nach ihren Weideplätzen kommen?“ „Das weiß nur Allah und du.“ „Ich? Wie meinſt du das?“ „Ja, du. Ich habe gehört, daß ſie ſich nicht nach Weſten, ſondern in das Land Berwari wenden werden, um den Zab zu erreichen und auf ihm hinab zu fahren.“ „Emir, das iſt ein großes Abenteuer. Die beiden Helden ſollten mir willkommen ſein, wenn ſie zu mir kämen. Wann iſt die Flucht gelungen?“ „In der Nacht vor geſtern.“ „Woher weißt du dies ſo genau? Haſt du ſie geſehen?“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/444
Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 430. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/444>, abgerufen am 23.12.2024.