Der Hund sprang auf. Ich nahm die Büchse in die Hand, wirbelte sie um den Kopf; Lindsay that dasselbe, und unsere Pferde schnellten durch den Kreis hindurch. Zwei einzelne Schüsse fielen hinter uns: sie schadeten uns nicht. Aber sämtliche Nestorah stiegen unter lautem Ge- schrei zu Pferde, um uns zu verfolgen. Das Abenteuer hatte seit dem Augenblick unserer Gefangennehmung einen beinahe komischen Verlauf genommen; es bildete einen sehr überzeugenden Beleg dazu, daß die Tyrannei im stande ist, ein Volk zu entnerven. Was wären wir zwei gegen diese Uebermacht gewesen, wenn die Nestorianer noch einiges Mark besessen hätten!
Wir achteten gar nicht weiter auf sie und ritten so schnell wie möglich den Weg zurück, auf welchem wir gekommen waren. Als wir die Höhe erreicht hatten, waren die Verfolger weit hinter uns geblieben.
"Vor diesen sind wir sicher!" meinte Lindsay.
"Aber vor den andern nicht."
"Warum nicht?"
"Sie können uns begegnen."
"So weichen wir ihnen aus!"
"Das ist nicht an jeder Stelle möglich."
"So hauen wir uns durch! Well!"
"Sir, das würde uns wohl schwerlich gelingen. Ich habe nämlich die Ahnung, daß unsere Nestorianer in der Schar des Melek nur der überflüssige, mutlose und schlecht bewaffnete Troß gewesen sind, den er zurückgeschickt hat, um nicht gehindert zu sein. An uns haben sie sich gewagt, da wir nur zu zweien waren und uns in keiner verteidi- gungsfähigen Lage befanden."
"Lasse mich aber nicht wieder fangen! Yes!"
"Ich habe auch nicht Lust dazu, aber der Mensch kann nicht wissen, was ihm begegnet."
Der Hund ſprang auf. Ich nahm die Büchſe in die Hand, wirbelte ſie um den Kopf; Lindſay that dasſelbe, und unſere Pferde ſchnellten durch den Kreis hindurch. Zwei einzelne Schüſſe fielen hinter uns: ſie ſchadeten uns nicht. Aber ſämtliche Neſtorah ſtiegen unter lautem Ge- ſchrei zu Pferde, um uns zu verfolgen. Das Abenteuer hatte ſeit dem Augenblick unſerer Gefangennehmung einen beinahe komiſchen Verlauf genommen; es bildete einen ſehr überzeugenden Beleg dazu, daß die Tyrannei im ſtande iſt, ein Volk zu entnerven. Was wären wir zwei gegen dieſe Uebermacht geweſen, wenn die Neſtorianer noch einiges Mark beſeſſen hätten!
Wir achteten gar nicht weiter auf ſie und ritten ſo ſchnell wie möglich den Weg zurück, auf welchem wir gekommen waren. Als wir die Höhe erreicht hatten, waren die Verfolger weit hinter uns geblieben.
„Vor dieſen ſind wir ſicher!“ meinte Lindſay.
„Aber vor den andern nicht.“
„Warum nicht?“
„Sie können uns begegnen.“
„So weichen wir ihnen aus!“
„Das iſt nicht an jeder Stelle möglich.“
„So hauen wir uns durch! Well!“
„Sir, das würde uns wohl ſchwerlich gelingen. Ich habe nämlich die Ahnung, daß unſere Neſtorianer in der Schar des Melek nur der überflüſſige, mutloſe und ſchlecht bewaffnete Troß geweſen ſind, den er zurückgeſchickt hat, um nicht gehindert zu ſein. An uns haben ſie ſich gewagt, da wir nur zu zweien waren und uns in keiner verteidi- gungsfähigen Lage befanden.“
„Laſſe mich aber nicht wieder fangen! Yes!“
„Ich habe auch nicht Luſt dazu, aber der Menſch kann nicht wiſſen, was ihm begegnet.“
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0485"n="471"/><p>Der Hund ſprang auf. Ich nahm die Büchſe in die<lb/>
Hand, wirbelte ſie um den Kopf; Lindſay that dasſelbe,<lb/>
und unſere Pferde ſchnellten durch den Kreis hindurch.<lb/>
Zwei einzelne Schüſſe fielen hinter uns: ſie ſchadeten uns<lb/>
nicht. Aber ſämtliche Neſtorah ſtiegen unter lautem Ge-<lb/>ſchrei zu Pferde, um uns zu verfolgen. Das Abenteuer<lb/>
hatte ſeit dem Augenblick unſerer Gefangennehmung einen<lb/>
beinahe komiſchen Verlauf genommen; es bildete einen ſehr<lb/>
überzeugenden Beleg dazu, daß die Tyrannei im ſtande<lb/>
iſt, ein Volk zu entnerven. Was wären wir zwei gegen<lb/>
dieſe Uebermacht geweſen, wenn die Neſtorianer noch einiges<lb/>
Mark beſeſſen hätten!</p><lb/><p>Wir achteten gar nicht weiter auf ſie und ritten ſo<lb/>ſchnell wie möglich den Weg zurück, auf welchem wir<lb/>
gekommen waren. Als wir die Höhe erreicht hatten, waren<lb/>
die Verfolger weit hinter uns geblieben.</p><lb/><p>„Vor dieſen ſind wir ſicher!“ meinte Lindſay.</p><lb/><p>„Aber vor den andern nicht.“</p><lb/><p>„Warum nicht?“</p><lb/><p>„Sie können uns begegnen.“</p><lb/><p>„So weichen wir ihnen aus!“</p><lb/><p>„Das iſt nicht an jeder Stelle möglich.“</p><lb/><p>„So hauen wir uns durch! <hirendition="#aq">Well!</hi>“</p><lb/><p>„Sir, das würde uns wohl ſchwerlich gelingen. Ich<lb/>
habe nämlich die Ahnung, daß unſere Neſtorianer in der<lb/>
Schar des Melek nur der überflüſſige, mutloſe und ſchlecht<lb/>
bewaffnete Troß geweſen ſind, den er zurückgeſchickt hat,<lb/>
um nicht gehindert zu ſein. An uns haben ſie ſich gewagt,<lb/>
da wir nur zu zweien waren und uns in keiner verteidi-<lb/>
gungsfähigen Lage befanden.“</p><lb/><p>„Laſſe mich aber nicht wieder fangen! <hirendition="#aq">Yes!</hi>“</p><lb/><p>„Ich habe auch nicht Luſt dazu, aber der Menſch<lb/>
kann nicht wiſſen, was ihm begegnet.“</p><lb/></div></body></text></TEI>
[471/0485]
Der Hund ſprang auf. Ich nahm die Büchſe in die
Hand, wirbelte ſie um den Kopf; Lindſay that dasſelbe,
und unſere Pferde ſchnellten durch den Kreis hindurch.
Zwei einzelne Schüſſe fielen hinter uns: ſie ſchadeten uns
nicht. Aber ſämtliche Neſtorah ſtiegen unter lautem Ge-
ſchrei zu Pferde, um uns zu verfolgen. Das Abenteuer
hatte ſeit dem Augenblick unſerer Gefangennehmung einen
beinahe komiſchen Verlauf genommen; es bildete einen ſehr
überzeugenden Beleg dazu, daß die Tyrannei im ſtande
iſt, ein Volk zu entnerven. Was wären wir zwei gegen
dieſe Uebermacht geweſen, wenn die Neſtorianer noch einiges
Mark beſeſſen hätten!
Wir achteten gar nicht weiter auf ſie und ritten ſo
ſchnell wie möglich den Weg zurück, auf welchem wir
gekommen waren. Als wir die Höhe erreicht hatten, waren
die Verfolger weit hinter uns geblieben.
„Vor dieſen ſind wir ſicher!“ meinte Lindſay.
„Aber vor den andern nicht.“
„Warum nicht?“
„Sie können uns begegnen.“
„So weichen wir ihnen aus!“
„Das iſt nicht an jeder Stelle möglich.“
„So hauen wir uns durch! Well!“
„Sir, das würde uns wohl ſchwerlich gelingen. Ich
habe nämlich die Ahnung, daß unſere Neſtorianer in der
Schar des Melek nur der überflüſſige, mutloſe und ſchlecht
bewaffnete Troß geweſen ſind, den er zurückgeſchickt hat,
um nicht gehindert zu ſein. An uns haben ſie ſich gewagt,
da wir nur zu zweien waren und uns in keiner verteidi-
gungsfähigen Lage befanden.“
„Laſſe mich aber nicht wieder fangen! Yes!“
„Ich habe auch nicht Luſt dazu, aber der Menſch
kann nicht wiſſen, was ihm begegnet.“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 471. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/485>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.