los auf uns starrten. Ich benutzte diese jedenfalls nur kurze Pause und rief ihnen zu:
"Seht ihr den Melek hier an meinem Arme hangen? Es bedarf nur noch eines einzigen Druckes, so ist er eine Leiche, und dann wird die Hälfte von euch durch unsere verzauberten Kugeln sterben. Kehrt ihr aber ruhig an eure Feuer zurück, so lasse ich ihm das Leben und werde mit ihm und euch in Güte verhandeln. Merkt auf! Ich zähle bis drei. Steht dann noch ein einziger an seiner jetzigen Stelle, so ist der Melek verloren! -- Je --, du --, seh --, eins --, zwei --, drei -- -- -- --"
Ich hatte das letzte Wort noch nicht ausgesprochen, so saßen die Chaldäer alle an den Feuern auf ihren früheren Plätzen. Das Leben ihres Anführers hatte demnach einen großen Wert für sie. Wären Kurden an ihrer Stelle gewesen, so wäre mir das gefährliche Ex- periment ganz sicher nicht so wohl gelungen. Nun aber ließ ich den Melek los. Er fiel mit matten Gliedern und krampfhaft verzerrtem Angesicht zu Boden, und es dauerte einige Zeit, ehe er sich wieder vollständig bei Atem befand. Er hatte das Haus verlassen, ohne eine einzige Waffe zu sich zu nehmen, und nun stand ich vor ihm und richtete den Revolver scharf nach seinem Herzen.
"Wage es nicht, dich zu erheben!" gebot ich ihm. "Sobald du es ohne meine Erlaubnis thust, wird dich meine Kugel treffen."
"Chodih, du hast mich belogen!" stöhnte er, indem er mit beiden Händen seinen Hals untersuchte.
"Ich weiß nichts von einer Lüge," antwortete ich ihm.
"Du hast mir versprochen, deine Waffen nicht zu ge- brauchen!"
"Das ist wahr; aber ich habe dabei vorausgesetzt, daß wir nicht feindlich behandelt würden."
los auf uns ſtarrten. Ich benutzte dieſe jedenfalls nur kurze Pauſe und rief ihnen zu:
„Seht ihr den Melek hier an meinem Arme hangen? Es bedarf nur noch eines einzigen Druckes, ſo iſt er eine Leiche, und dann wird die Hälfte von euch durch unſere verzauberten Kugeln ſterben. Kehrt ihr aber ruhig an eure Feuer zurück, ſo laſſe ich ihm das Leben und werde mit ihm und euch in Güte verhandeln. Merkt auf! Ich zähle bis drei. Steht dann noch ein einziger an ſeiner jetzigen Stelle, ſo iſt der Melek verloren! — Je —, du —, ſeh —, eins —, zwei —, drei — — — —“
Ich hatte das letzte Wort noch nicht ausgeſprochen, ſo ſaßen die Chaldäer alle an den Feuern auf ihren früheren Plätzen. Das Leben ihres Anführers hatte demnach einen großen Wert für ſie. Wären Kurden an ihrer Stelle geweſen, ſo wäre mir das gefährliche Ex- periment ganz ſicher nicht ſo wohl gelungen. Nun aber ließ ich den Melek los. Er fiel mit matten Gliedern und krampfhaft verzerrtem Angeſicht zu Boden, und es dauerte einige Zeit, ehe er ſich wieder vollſtändig bei Atem befand. Er hatte das Haus verlaſſen, ohne eine einzige Waffe zu ſich zu nehmen, und nun ſtand ich vor ihm und richtete den Revolver ſcharf nach ſeinem Herzen.
„Wage es nicht, dich zu erheben!“ gebot ich ihm. „Sobald du es ohne meine Erlaubnis thuſt, wird dich meine Kugel treffen.“
„Chodih, du haſt mich belogen!“ ſtöhnte er, indem er mit beiden Händen ſeinen Hals unterſuchte.
„Ich weiß nichts von einer Lüge,“ antwortete ich ihm.
„Du haſt mir verſprochen, deine Waffen nicht zu ge- brauchen!“
„Das iſt wahr; aber ich habe dabei vorausgeſetzt, daß wir nicht feindlich behandelt würden.“
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los auf uns ſtarrten. Ich benutzte dieſe jedenfalls nur
kurze Pauſe und rief ihnen zu:
„Seht ihr den Melek hier an meinem Arme hangen?
Es bedarf nur noch eines einzigen Druckes, ſo iſt er eine
Leiche, und dann wird die Hälfte von euch durch unſere
verzauberten Kugeln ſterben. Kehrt ihr aber ruhig an
eure Feuer zurück, ſo laſſe ich ihm das Leben und werde
mit ihm und euch in Güte verhandeln. Merkt auf! Ich
zähle bis drei. Steht dann noch ein einziger an ſeiner
jetzigen Stelle, ſo iſt der Melek verloren! — Je —, du
—, ſeh —, eins —, zwei —, drei — — — —“
Ich hatte das letzte Wort noch nicht ausgeſprochen,
ſo ſaßen die Chaldäer alle an den Feuern auf ihren
früheren Plätzen. Das Leben ihres Anführers hatte
demnach einen großen Wert für ſie. Wären Kurden an
ihrer Stelle geweſen, ſo wäre mir das gefährliche Ex-
periment ganz ſicher nicht ſo wohl gelungen. Nun aber
ließ ich den Melek los. Er fiel mit matten Gliedern
und krampfhaft verzerrtem Angeſicht zu Boden, und es
dauerte einige Zeit, ehe er ſich wieder vollſtändig bei
Atem befand. Er hatte das Haus verlaſſen, ohne eine
einzige Waffe zu ſich zu nehmen, und nun ſtand ich vor
ihm und richtete den Revolver ſcharf nach ſeinem Herzen.
„Wage es nicht, dich zu erheben!“ gebot ich ihm.
„Sobald du es ohne meine Erlaubnis thuſt, wird dich
meine Kugel treffen.“
„Chodih, du haſt mich belogen!“ ſtöhnte er, indem er
mit beiden Händen ſeinen Hals unterſuchte.
„Ich weiß nichts von einer Lüge,“ antwortete ich ihm.
„Du haſt mir verſprochen, deine Waffen nicht zu ge-
brauchen!“
„Das iſt wahr; aber ich habe dabei vorausgeſetzt,
daß wir nicht feindlich behandelt würden.“
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 501. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/515>, abgerufen am 23.12.2024.
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