Der Mann kehrte zurück, und der Bey entfernte sich auf einige Zeit. Ich stand am Hause und sah auf die Gestalten, die an mir vorüberzogen. Als die Frauen und Kinder vorbei waren, schlossen sich ihnen lange Reihen von Männern an, zu Fuße und zu Pferde; aber sie ver- schwanden nicht hinter dem Heiligtume, sondern erstiegen die nach Baadri und Kaloni gelegenen Höhen, um den Türken das Thal freizugeben. Es war ein eigentümliches Gefühl, das ich beim Anblick dieser dunklen Gestalten empfand. Ein Licht nach dem andern wurde ausgeblasen; eine Fackel nach der andern erlosch, und nur das Grabmal mit seinen beiden Türmen streckte seine flammende Doppel- zunge noch immer zum Himmel empor. Ich war allein hier. Die Angehörigen des Bey waren fort; der Buluk Emini schlief droben auf der Plattform, und Halef war noch nicht zurück. Da aber hörte ich den Galopp eines Pferdes. Halef sprengte heran. Als er absaß, erdröhnten von unten herauf zwei starke, krachende Schläge.
"Was war das, Halef?"
"Die Bäume stürzen. Ali Bey hat befohlen, sie zu fällen, um unten das Thal zu schließen und die Kanonen gegen einen Angriff der Türken zu schützen."
"Das ist klug gehandelt! Wo sind die andern von den zwanzig?"
"Sie mußten auf Befehl des Bey bei den Geschützen zurückbleiben, und er hat außerdem noch dreißig andere Männer zu ihrer Bedeckung beordert."
"Also zusammen fünfzig Mann. Diese könnten schon einen Angriff aushalten."
"Wo sind die Gefangenen?" fragte Halef.
"Bereits fort unter Aufsicht."
"Und diese Männer hier ziehen schon zum Kampfe?"
"Ja."
Der Mann kehrte zurück, und der Bey entfernte ſich auf einige Zeit. Ich ſtand am Hauſe und ſah auf die Geſtalten, die an mir vorüberzogen. Als die Frauen und Kinder vorbei waren, ſchloſſen ſich ihnen lange Reihen von Männern an, zu Fuße und zu Pferde; aber ſie ver- ſchwanden nicht hinter dem Heiligtume, ſondern erſtiegen die nach Baadri und Kaloni gelegenen Höhen, um den Türken das Thal freizugeben. Es war ein eigentümliches Gefühl, das ich beim Anblick dieſer dunklen Geſtalten empfand. Ein Licht nach dem andern wurde ausgeblaſen; eine Fackel nach der andern erloſch, und nur das Grabmal mit ſeinen beiden Türmen ſtreckte ſeine flammende Doppel- zunge noch immer zum Himmel empor. Ich war allein hier. Die Angehörigen des Bey waren fort; der Buluk Emini ſchlief droben auf der Plattform, und Halef war noch nicht zurück. Da aber hörte ich den Galopp eines Pferdes. Halef ſprengte heran. Als er abſaß, erdröhnten von unten herauf zwei ſtarke, krachende Schläge.
„Was war das, Halef?“
„Die Bäume ſtürzen. Ali Bey hat befohlen, ſie zu fällen, um unten das Thal zu ſchließen und die Kanonen gegen einen Angriff der Türken zu ſchützen.“
„Das iſt klug gehandelt! Wo ſind die andern von den zwanzig?“
„Sie mußten auf Befehl des Bey bei den Geſchützen zurückbleiben, und er hat außerdem noch dreißig andere Männer zu ihrer Bedeckung beordert.“
„Alſo zuſammen fünfzig Mann. Dieſe könnten ſchon einen Angriff aushalten.“
„Wo ſind die Gefangenen?“ fragte Halef.
„Bereits fort unter Aufſicht.“
„Und dieſe Männer hier ziehen ſchon zum Kampfe?“
„Ja.“
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0053"n="39"/><p>Der Mann kehrte zurück, und der Bey entfernte ſich<lb/>
auf einige Zeit. Ich ſtand am Hauſe und ſah auf die<lb/>
Geſtalten, die an mir vorüberzogen. Als die Frauen<lb/>
und Kinder vorbei waren, ſchloſſen ſich ihnen lange Reihen<lb/>
von Männern an, zu Fuße und zu Pferde; aber ſie ver-<lb/>ſchwanden nicht hinter dem Heiligtume, ſondern erſtiegen<lb/>
die nach Baadri und Kaloni gelegenen Höhen, um den<lb/>
Türken das Thal freizugeben. Es war ein eigentümliches<lb/>
Gefühl, das ich beim Anblick dieſer dunklen Geſtalten<lb/>
empfand. Ein Licht nach dem andern wurde ausgeblaſen;<lb/>
eine Fackel nach der andern erloſch, und nur das Grabmal<lb/>
mit ſeinen beiden Türmen ſtreckte ſeine flammende Doppel-<lb/>
zunge noch immer zum Himmel empor. Ich war allein<lb/>
hier. Die Angehörigen des Bey waren fort; der Buluk<lb/>
Emini ſchlief droben auf der Plattform, und Halef war<lb/>
noch nicht zurück. Da aber hörte ich den Galopp eines<lb/>
Pferdes. Halef ſprengte heran. Als er abſaß, erdröhnten<lb/>
von unten herauf zwei ſtarke, krachende Schläge.</p><lb/><p>„Was war das, Halef?“</p><lb/><p>„Die Bäume ſtürzen. Ali Bey hat befohlen, ſie zu<lb/>
fällen, um unten das Thal zu ſchließen und die Kanonen<lb/>
gegen einen Angriff der Türken zu ſchützen.“</p><lb/><p>„Das iſt klug gehandelt! Wo ſind die andern von<lb/>
den zwanzig?“</p><lb/><p>„Sie mußten auf Befehl des Bey bei den Geſchützen<lb/>
zurückbleiben, und er hat außerdem noch dreißig andere<lb/>
Männer zu ihrer Bedeckung beordert.“</p><lb/><p>„Alſo zuſammen fünfzig Mann. Dieſe könnten ſchon<lb/>
einen Angriff aushalten.“</p><lb/><p>„Wo ſind die Gefangenen?“ fragte Halef.</p><lb/><p>„Bereits fort unter Aufſicht.“</p><lb/><p>„Und dieſe Männer hier ziehen ſchon zum Kampfe?“</p><lb/><p>„Ja.“</p><lb/></div></body></text></TEI>
[39/0053]
Der Mann kehrte zurück, und der Bey entfernte ſich
auf einige Zeit. Ich ſtand am Hauſe und ſah auf die
Geſtalten, die an mir vorüberzogen. Als die Frauen
und Kinder vorbei waren, ſchloſſen ſich ihnen lange Reihen
von Männern an, zu Fuße und zu Pferde; aber ſie ver-
ſchwanden nicht hinter dem Heiligtume, ſondern erſtiegen
die nach Baadri und Kaloni gelegenen Höhen, um den
Türken das Thal freizugeben. Es war ein eigentümliches
Gefühl, das ich beim Anblick dieſer dunklen Geſtalten
empfand. Ein Licht nach dem andern wurde ausgeblaſen;
eine Fackel nach der andern erloſch, und nur das Grabmal
mit ſeinen beiden Türmen ſtreckte ſeine flammende Doppel-
zunge noch immer zum Himmel empor. Ich war allein
hier. Die Angehörigen des Bey waren fort; der Buluk
Emini ſchlief droben auf der Plattform, und Halef war
noch nicht zurück. Da aber hörte ich den Galopp eines
Pferdes. Halef ſprengte heran. Als er abſaß, erdröhnten
von unten herauf zwei ſtarke, krachende Schläge.
„Was war das, Halef?“
„Die Bäume ſtürzen. Ali Bey hat befohlen, ſie zu
fällen, um unten das Thal zu ſchließen und die Kanonen
gegen einen Angriff der Türken zu ſchützen.“
„Das iſt klug gehandelt! Wo ſind die andern von
den zwanzig?“
„Sie mußten auf Befehl des Bey bei den Geſchützen
zurückbleiben, und er hat außerdem noch dreißig andere
Männer zu ihrer Bedeckung beordert.“
„Alſo zuſammen fünfzig Mann. Dieſe könnten ſchon
einen Angriff aushalten.“
„Wo ſind die Gefangenen?“ fragte Halef.
„Bereits fort unter Aufſicht.“
„Und dieſe Männer hier ziehen ſchon zum Kampfe?“
„Ja.“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/53>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.