"Ich werde thun, was in meinen Kräften steht. Ich bin die Mutter des Melek, und sein Ohr hört gern auf meine Stimme; aber es ist einer unter euch, dem meine Fürbitte nicht viel helfen wird."
"Wen meinst du?"
"Den Bey von Gumri. Welcher ist es?"
"Der Mann dort auf der vierten Matte. Er hört und versteht ein jedes deiner Worte; die andern aber reden nicht die Sprache deines Landes."
"Er mag hören und verstehen, was ich sage," ant- wortete sie. "Hast du gehört von dem, was unser Land gelitten hat?"
"Man hat mir vieles erzählt."
"Hast du gehört von Beder-Khan-Bey, von Zeinel- Bey, von Nur-Ullah-Bey und von Abd-el-Summit-Bey, den vier Mördern der Christen? Sie fielen von allen Seiten über uns her, diese kurdischen Ungeheuer. Sie zer- störten unsere Häuser, verbrannten unsere Gärten, ver- nichteten unsere Ernten, entweihten unsere Gotteshäuser, mordeten unsere Männer und Jünglinge, zerfleischten unsere Knaben und Mädchen und hetzten unsere Frauen und Jungfrauen, bis sie sterbend niederstürzten, noch in den letzten Atemzügen von den Ungeheuern bedroht. Die Wasser des Zab waren gefärbt von dem Blute der un- schuldigen Opfer, und die Höhen und Tiefen des Landes waren erleuchtet von den Feuersbrünsten, welche unsere Dörfer und Flecken verzehrten. Ein einziger, fürchter- licher Schrei tönte durch das ganze Land. Es war der Todesschrei von vielen tausend Christen. Der Pascha von Mossul hörte diesen Schrei, aber er sandte keine Hilfe, weil er den Raub mit den Räubern teilen wollte."
"Ich weiß es; es muß gräßlich gewesen sein!"
"Gräßlich? O, Chodih, dieses Wort sagt viel zu
„Ich werde thun, was in meinen Kräften ſteht. Ich bin die Mutter des Melek, und ſein Ohr hört gern auf meine Stimme; aber es iſt einer unter euch, dem meine Fürbitte nicht viel helfen wird.“
„Wen meinſt du?“
„Den Bey von Gumri. Welcher iſt es?“
„Der Mann dort auf der vierten Matte. Er hört und verſteht ein jedes deiner Worte; die andern aber reden nicht die Sprache deines Landes.“
„Er mag hören und verſtehen, was ich ſage,“ ant- wortete ſie. „Haſt du gehört von dem, was unſer Land gelitten hat?“
„Man hat mir vieles erzählt.“
„Haſt du gehört von Beder-Khan-Bey, von Zeinel- Bey, von Nur-Ullah-Bey und von Abd-el-Summit-Bey, den vier Mördern der Chriſten? Sie fielen von allen Seiten über uns her, dieſe kurdiſchen Ungeheuer. Sie zer- ſtörten unſere Häuſer, verbrannten unſere Gärten, ver- nichteten unſere Ernten, entweihten unſere Gotteshäuſer, mordeten unſere Männer und Jünglinge, zerfleiſchten unſere Knaben und Mädchen und hetzten unſere Frauen und Jungfrauen, bis ſie ſterbend niederſtürzten, noch in den letzten Atemzügen von den Ungeheuern bedroht. Die Waſſer des Zab waren gefärbt von dem Blute der un- ſchuldigen Opfer, und die Höhen und Tiefen des Landes waren erleuchtet von den Feuersbrünſten, welche unſere Dörfer und Flecken verzehrten. Ein einziger, fürchter- licher Schrei tönte durch das ganze Land. Es war der Todesſchrei von vielen tauſend Chriſten. Der Paſcha von Moſſul hörte dieſen Schrei, aber er ſandte keine Hilfe, weil er den Raub mit den Räubern teilen wollte.“
„Ich weiß es; es muß gräßlich geweſen ſein!“
„Gräßlich? O, Chodih, dieſes Wort ſagt viel zu
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„Ich werde thun, was in meinen Kräften ſteht. Ich
bin die Mutter des Melek, und ſein Ohr hört gern auf
meine Stimme; aber es iſt einer unter euch, dem meine
Fürbitte nicht viel helfen wird.“
„Wen meinſt du?“
„Den Bey von Gumri. Welcher iſt es?“
„Der Mann dort auf der vierten Matte. Er hört
und verſteht ein jedes deiner Worte; die andern aber
reden nicht die Sprache deines Landes.“
„Er mag hören und verſtehen, was ich ſage,“ ant-
wortete ſie. „Haſt du gehört von dem, was unſer Land
gelitten hat?“
„Man hat mir vieles erzählt.“
„Haſt du gehört von Beder-Khan-Bey, von Zeinel-
Bey, von Nur-Ullah-Bey und von Abd-el-Summit-Bey,
den vier Mördern der Chriſten? Sie fielen von allen
Seiten über uns her, dieſe kurdiſchen Ungeheuer. Sie zer-
ſtörten unſere Häuſer, verbrannten unſere Gärten, ver-
nichteten unſere Ernten, entweihten unſere Gotteshäuſer,
mordeten unſere Männer und Jünglinge, zerfleiſchten
unſere Knaben und Mädchen und hetzten unſere Frauen
und Jungfrauen, bis ſie ſterbend niederſtürzten, noch in
den letzten Atemzügen von den Ungeheuern bedroht. Die
Waſſer des Zab waren gefärbt von dem Blute der un-
ſchuldigen Opfer, und die Höhen und Tiefen des Landes
waren erleuchtet von den Feuersbrünſten, welche unſere
Dörfer und Flecken verzehrten. Ein einziger, fürchter-
licher Schrei tönte durch das ganze Land. Es war der
Todesſchrei von vielen tauſend Chriſten. Der Paſcha von
Moſſul hörte dieſen Schrei, aber er ſandte keine Hilfe,
weil er den Raub mit den Räubern teilen wollte.“
„Ich weiß es; es muß gräßlich geweſen ſein!“
„Gräßlich? O, Chodih, dieſes Wort ſagt viel zu
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 517. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/531>, abgerufen am 23.12.2024.
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