"Nun wohl, ich will nachgiebiger sein, als ihr es verdient. Eilt dem Feinde entgegen und nehmt eine Stel- lung, an welcher er nicht vorüber kann. Die Kurden werden nicht angreifen, sondern einen Boten senden, der sich zuvor nach uns erkundigen soll. Diesen Boten bringt hierher, und dann will ich euch meinen Rat erteilen."
"Gehe lieber mit, Chodih!"
"Das werde ich gern thun, wenn ihr mir erlaubt, meinen Diener Halef mitzunehmen, der dort hinter der Mauer bei den Pferden ist."
"Ich erlaube es," sagte der Melek.
"Aber ich erlaube es nicht," entgegnete der Rais.
Es entspann sich jetzt ein kurzer, aber heftiger Streit, in welchem schließlich der Melek recht behielt, da die andern alle auf seiner Seite standen. Der Rais warf mir einen wütenden Blick zu, sprang auf sein Pferd und ritt davon.
"Wo willst du hin?" rief ihm der Melek nach.
"Das geht dich nichts an!" scholl es zurück.
"Eilt ihm nach und beschwichtigt ihn," bat der Melek die andern, während ich Halef rief, mein Pferd und das seinige bereit zu machen.
Dann stieg ich in unsern Raum hinauf, um die Ge- fährten zu instruieren.
"Was ist los?" fragte der Engländer.
"Die Kurden von Gumri kommen, um uns zu be- freien," antwortete ich.
"Halt, Sir David! Fürs erste werdet Ihr noch ein wenig hier bleiben und meine Rückkehr erwarten."
"Warum? Wo wollt Ihr hin?"
„Herr, dränge mich nicht!“
„Nun wohl, ich will nachgiebiger ſein, als ihr es verdient. Eilt dem Feinde entgegen und nehmt eine Stel- lung, an welcher er nicht vorüber kann. Die Kurden werden nicht angreifen, ſondern einen Boten ſenden, der ſich zuvor nach uns erkundigen ſoll. Dieſen Boten bringt hierher, und dann will ich euch meinen Rat erteilen.“
„Gehe lieber mit, Chodih!“
„Das werde ich gern thun, wenn ihr mir erlaubt, meinen Diener Halef mitzunehmen, der dort hinter der Mauer bei den Pferden iſt.“
„Ich erlaube es,“ ſagte der Melek.
„Aber ich erlaube es nicht,“ entgegnete der Raïs.
Es entſpann ſich jetzt ein kurzer, aber heftiger Streit, in welchem ſchließlich der Melek recht behielt, da die andern alle auf ſeiner Seite ſtanden. Der Raïs warf mir einen wütenden Blick zu, ſprang auf ſein Pferd und ritt davon.
„Wo willſt du hin?“ rief ihm der Melek nach.
„Das geht dich nichts an!“ ſcholl es zurück.
„Eilt ihm nach und beſchwichtigt ihn,“ bat der Melek die andern, während ich Halef rief, mein Pferd und das ſeinige bereit zu machen.
Dann ſtieg ich in unſern Raum hinauf, um die Ge- fährten zu inſtruieren.
„Was iſt los?“ fragte der Engländer.
„Die Kurden von Gumri kommen, um uns zu be- freien,“ antwortete ich.
„Halt, Sir David! Fürs erſte werdet Ihr noch ein wenig hier bleiben und meine Rückkehr erwarten.“
„Warum? Wo wollt Ihr hin?“
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„Herr, dränge mich nicht!“
„Nun wohl, ich will nachgiebiger ſein, als ihr es
verdient. Eilt dem Feinde entgegen und nehmt eine Stel-
lung, an welcher er nicht vorüber kann. Die Kurden
werden nicht angreifen, ſondern einen Boten ſenden, der
ſich zuvor nach uns erkundigen ſoll. Dieſen Boten bringt
hierher, und dann will ich euch meinen Rat erteilen.“
„Gehe lieber mit, Chodih!“
„Das werde ich gern thun, wenn ihr mir erlaubt,
meinen Diener Halef mitzunehmen, der dort hinter der
Mauer bei den Pferden iſt.“
„Ich erlaube es,“ ſagte der Melek.
„Aber ich erlaube es nicht,“ entgegnete der Raïs.
Es entſpann ſich jetzt ein kurzer, aber heftiger Streit,
in welchem ſchließlich der Melek recht behielt, da die
andern alle auf ſeiner Seite ſtanden. Der Raïs warf
mir einen wütenden Blick zu, ſprang auf ſein Pferd und
ritt davon.
„Wo willſt du hin?“ rief ihm der Melek nach.
„Das geht dich nichts an!“ ſcholl es zurück.
„Eilt ihm nach und beſchwichtigt ihn,“ bat der Melek
die andern, während ich Halef rief, mein Pferd und das
ſeinige bereit zu machen.
Dann ſtieg ich in unſern Raum hinauf, um die Ge-
fährten zu inſtruieren.
„Was iſt los?“ fragte der Engländer.
„Die Kurden von Gumri kommen, um uns zu be-
freien,“ antwortete ich.
„Sehr gut! Yes! Brave Kerls! Meine Flinte her!
Werde mit dreinſchlagen! Well!“
„Halt, Sir David! Fürs erſte werdet Ihr noch ein
wenig hier bleiben und meine Rückkehr erwarten.“
„Warum? Wo wollt Ihr hin?“
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 528. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/542>, abgerufen am 23.12.2024.
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