"Chodih, dann ist es für mich gefährlich, das Roß zu reiten. Dein Diener mag es besteigen, und du nimmst das seinige, während er bei mir zurückbleibt."
Das war es ja eben, was ich wünschte. Mein Pferd war in den Händen des kleinen Hadschi Halef Omar jeden- falls besser aufgehoben, als in denen des Melek, der nur ein gewöhnlicher Reiter war. Dann antwortete ich:
"Ich füge mich in deinen Willen. Erlaube, daß ich sofort die Tiere wechsele!"
"Sogleich, Herr?"
"Allerdings. Wir haben keine Zeit zu verlieren."
"Wirst du die Kurden wirklich finden?"
"Sie werden schon dafür sorgen, daß sie gar zu bald gefunden werden. Aber, könnten wir nicht meine beiden Vorschläge vereinigen? Wenn deine Leute mit den Ber- wari ins Handgemenge kommen, ehe man mich gehört hat, so ist alles verloren. Gehe mit ihnen über den Fluß zurück, so habe ich mehr Hoffnung auf Erfolg!"
"Aber wir geben uns da in ihre Hände!"
"Nein, ihr entkommt ihnen und gewinnt Zeit. Wie wollen sie euch angreifen, wenn ihr die Brücke besetzt?"
"Du hast recht, Herr, und ich werde sofort das Zeichen geben."
Während ich vom Pferde sprang und Halefs Tier bestieg, setzte der Melek eine Muschel an den Mund, die an seiner Seite gehangen hatte. Der dumpfe, aber kräf- tige Ton war weithin vernehmbar. Die Chaldani kamen von allen Seiten zurückgeeilt, denn diese Richtung behagte ihnen weit mehr als diejenige eines gefährlichen Angriffes auf die tapfern und wohlbewaffneten Kurden. Ich hin- gegen ritt vorwärts, nachdem ich Halef einige Verhal- tungsmaßregeln erteilt hatte, und befand mich bald ganz allein, da auch Dojan zurückgeblieben war.
„Chodih, dann iſt es für mich gefährlich, das Roß zu reiten. Dein Diener mag es beſteigen, und du nimmſt das ſeinige, während er bei mir zurückbleibt.“
Das war es ja eben, was ich wünſchte. Mein Pferd war in den Händen des kleinen Hadſchi Halef Omar jeden- falls beſſer aufgehoben, als in denen des Melek, der nur ein gewöhnlicher Reiter war. Dann antwortete ich:
„Ich füge mich in deinen Willen. Erlaube, daß ich ſofort die Tiere wechſele!“
„Sogleich, Herr?“
„Allerdings. Wir haben keine Zeit zu verlieren.“
„Wirſt du die Kurden wirklich finden?“
„Sie werden ſchon dafür ſorgen, daß ſie gar zu bald gefunden werden. Aber, könnten wir nicht meine beiden Vorſchläge vereinigen? Wenn deine Leute mit den Ber- wari ins Handgemenge kommen, ehe man mich gehört hat, ſo iſt alles verloren. Gehe mit ihnen über den Fluß zurück, ſo habe ich mehr Hoffnung auf Erfolg!“
„Aber wir geben uns da in ihre Hände!“
„Nein, ihr entkommt ihnen und gewinnt Zeit. Wie wollen ſie euch angreifen, wenn ihr die Brücke beſetzt?“
„Du haſt recht, Herr, und ich werde ſofort das Zeichen geben.“
Während ich vom Pferde ſprang und Halefs Tier beſtieg, ſetzte der Melek eine Muſchel an den Mund, die an ſeiner Seite gehangen hatte. Der dumpfe, aber kräf- tige Ton war weithin vernehmbar. Die Chaldani kamen von allen Seiten zurückgeeilt, denn dieſe Richtung behagte ihnen weit mehr als diejenige eines gefährlichen Angriffes auf die tapfern und wohlbewaffneten Kurden. Ich hin- gegen ritt vorwärts, nachdem ich Halef einige Verhal- tungsmaßregeln erteilt hatte, und befand mich bald ganz allein, da auch Dojan zurückgeblieben war.
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„Chodih, dann iſt es für mich gefährlich, das Roß
zu reiten. Dein Diener mag es beſteigen, und du nimmſt
das ſeinige, während er bei mir zurückbleibt.“
Das war es ja eben, was ich wünſchte. Mein Pferd
war in den Händen des kleinen Hadſchi Halef Omar jeden-
falls beſſer aufgehoben, als in denen des Melek, der nur
ein gewöhnlicher Reiter war. Dann antwortete ich:
„Ich füge mich in deinen Willen. Erlaube, daß ich
ſofort die Tiere wechſele!“
„Sogleich, Herr?“
„Allerdings. Wir haben keine Zeit zu verlieren.“
„Wirſt du die Kurden wirklich finden?“
„Sie werden ſchon dafür ſorgen, daß ſie gar zu bald
gefunden werden. Aber, könnten wir nicht meine beiden
Vorſchläge vereinigen? Wenn deine Leute mit den Ber-
wari ins Handgemenge kommen, ehe man mich gehört hat,
ſo iſt alles verloren. Gehe mit ihnen über den Fluß
zurück, ſo habe ich mehr Hoffnung auf Erfolg!“
„Aber wir geben uns da in ihre Hände!“
„Nein, ihr entkommt ihnen und gewinnt Zeit. Wie
wollen ſie euch angreifen, wenn ihr die Brücke beſetzt?“
„Du haſt recht, Herr, und ich werde ſofort das Zeichen
geben.“
Während ich vom Pferde ſprang und Halefs Tier
beſtieg, ſetzte der Melek eine Muſchel an den Mund, die
an ſeiner Seite gehangen hatte. Der dumpfe, aber kräf-
tige Ton war weithin vernehmbar. Die Chaldani kamen
von allen Seiten zurückgeeilt, denn dieſe Richtung behagte
ihnen weit mehr als diejenige eines gefährlichen Angriffes
auf die tapfern und wohlbewaffneten Kurden. Ich hin-
gegen ritt vorwärts, nachdem ich Halef einige Verhal-
tungsmaßregeln erteilt hatte, und befand mich bald ganz
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 532. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/546>, abgerufen am 23.12.2024.
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