"Er ist ein starker Mann? Habe ich ihn nicht vom Pferde geworfen und dann zu Boden getreten? Ich sage euch, daß sein Leib die Erde nicht wieder verlassen, seine Seele aber zur Dschehennah fahren soll, wenn er es noch ein einziges Mal wagt, mich oder einen meiner Freunde zu beleidigen! Die Faust eines Emir aus Tschermanistan ist wie Kumahsch *) für den Gefährten, für den Feind aber wie Tschelik **) und Demihr ***)."
"Herr, was forderst du von ihm?"
"Der Bey ist in Lizan gefangen. Er sendet mich zu euch, um mit eurem Anführer zu besprechen, was ihr thun sollt. Dieser Mann aber will dem Bey nicht gehorchen; er will nicht mit mir reden und hat mich einen Hund genannt."
"Er muß gehorchen -- er muß dich hören!" rief es im Kreise.
"Gut," antwortete ich. "Ihr habt ihm den Befehl übertragen, und so mag er ihn behalten, bis der Bey wieder frei ist. Aber wie ich ihm seine Ehre gebe, so soll er mir auch die meinige erweisen. Der Bey hat mich ge- sandt; ich stehe hier an seiner Stelle; will dieser Kiaja in Frieden mit mir verkehren und mich behandeln, wie ein Emir behandelt werden muß, so gebe ich ihm seine Waffen zurück, und der Bey soll bald wieder in eurer Mitte sein."
Ich blickte mich forschend im Kreise um. Es stan- den, so weit ich sie sehen konnte, weit über hundert Män- ner zwischen den lichten Büschen umher, und alle riefen mir ihre Zustimmung zu. Darauf wandte ich mich zu dem Kiaja:
"Du hast meine Worte gehört; ich erkenne dich als Anführer an und werde dich deshalb jetzt Agha nennen.
*) Sammet.
**) Stahl.
***) Eisen.
„Er iſt ein ſtarker Mann? Habe ich ihn nicht vom Pferde geworfen und dann zu Boden getreten? Ich ſage euch, daß ſein Leib die Erde nicht wieder verlaſſen, ſeine Seele aber zur Dſchehennah fahren ſoll, wenn er es noch ein einziges Mal wagt, mich oder einen meiner Freunde zu beleidigen! Die Fauſt eines Emir aus Tſchermaniſtan iſt wie Kumahſch *) für den Gefährten, für den Feind aber wie Tſchelik **) und Demihr ***).“
„Herr, was forderſt du von ihm?“
„Der Bey iſt in Lizan gefangen. Er ſendet mich zu euch, um mit eurem Anführer zu beſprechen, was ihr thun ſollt. Dieſer Mann aber will dem Bey nicht gehorchen; er will nicht mit mir reden und hat mich einen Hund genannt.“
„Er muß gehorchen — er muß dich hören!“ rief es im Kreiſe.
„Gut,“ antwortete ich. „Ihr habt ihm den Befehl übertragen, und ſo mag er ihn behalten, bis der Bey wieder frei iſt. Aber wie ich ihm ſeine Ehre gebe, ſo ſoll er mir auch die meinige erweiſen. Der Bey hat mich ge- ſandt; ich ſtehe hier an ſeiner Stelle; will dieſer Kiaja in Frieden mit mir verkehren und mich behandeln, wie ein Emir behandelt werden muß, ſo gebe ich ihm ſeine Waffen zurück, und der Bey ſoll bald wieder in eurer Mitte ſein.“
Ich blickte mich forſchend im Kreiſe um. Es ſtan- den, ſo weit ich ſie ſehen konnte, weit über hundert Män- ner zwiſchen den lichten Büſchen umher, und alle riefen mir ihre Zuſtimmung zu. Darauf wandte ich mich zu dem Kiaja:
„Du haſt meine Worte gehört; ich erkenne dich als Anführer an und werde dich deshalb jetzt Agha nennen.
*) Sammet.
**) Stahl.
***) Eiſen.
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„Er iſt ein ſtarker Mann? Habe ich ihn nicht vom
Pferde geworfen und dann zu Boden getreten? Ich ſage
euch, daß ſein Leib die Erde nicht wieder verlaſſen, ſeine
Seele aber zur Dſchehennah fahren ſoll, wenn er es noch
ein einziges Mal wagt, mich oder einen meiner Freunde
zu beleidigen! Die Fauſt eines Emir aus Tſchermaniſtan
iſt wie Kumahſch *) für den Gefährten, für den Feind aber
wie Tſchelik **) und Demihr ***).“
„Herr, was forderſt du von ihm?“
„Der Bey iſt in Lizan gefangen. Er ſendet mich zu
euch, um mit eurem Anführer zu beſprechen, was ihr thun
ſollt. Dieſer Mann aber will dem Bey nicht gehorchen;
er will nicht mit mir reden und hat mich einen Hund
genannt.“
„Er muß gehorchen — er muß dich hören!“ rief es
im Kreiſe.
„Gut,“ antwortete ich. „Ihr habt ihm den Befehl
übertragen, und ſo mag er ihn behalten, bis der Bey
wieder frei iſt. Aber wie ich ihm ſeine Ehre gebe, ſo ſoll
er mir auch die meinige erweiſen. Der Bey hat mich ge-
ſandt; ich ſtehe hier an ſeiner Stelle; will dieſer Kiaja
in Frieden mit mir verkehren und mich behandeln, wie
ein Emir behandelt werden muß, ſo gebe ich ihm ſeine
Waffen zurück, und der Bey ſoll bald wieder in eurer
Mitte ſein.“
Ich blickte mich forſchend im Kreiſe um. Es ſtan-
den, ſo weit ich ſie ſehen konnte, weit über hundert Män-
ner zwiſchen den lichten Büſchen umher, und alle riefen
mir ihre Zuſtimmung zu. Darauf wandte ich mich zu
dem Kiaja:
„Du haſt meine Worte gehört; ich erkenne dich als
Anführer an und werde dich deshalb jetzt Agha nennen.
*) Sammet.
**) Stahl.
***) Eiſen.
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 540. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/554>, abgerufen am 23.12.2024.
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