Leben in die Leute. Dabei hatte ich Zeit, einige Worte mit Mohammed Emin zu sprechen. Ich erzählte ihm unsere Erlebnisse seit unserer Trennung und wollte ihn nun auch nach den seinigen fragen, als gemeldet wurde, daß ein passender Platz gefunden sei. Wir mußten auf- brechen.
"Sihdi," sagte der Haddedihn, "ich danke dir, daß du diesem Kiaja gezeigt hast, daß wir Männer sind!"
"Hat er dies an dir nicht auch bemerkt?"
"Herr, ich habe kein solches Glück wie du. Ich wäre von diesen Männern zerrissen worden, wenn ich ihm nur halb so viel gesagt hätte, wie du. Und dann bedenke, daß ich nur wenige kurdische Worte reden kann; sie aber haben nur einige unter sich, die etwas Arabisch verstehen. Dieser Kiaja muß ein berüchtigter Dieb und Räuber sein, weil sie solchen Respekt vor ihm haben."
"Nun, du siehst, daß sie mich nicht weniger achten, obgleich ich kein Dieb und Räuber bin. Wenn er mich beleidigt, schlage ich ihm ins Gesicht; das ist das ganze Geheimnis der Scheu, die sie vor mir haben. Und das merke dir, Mohammed Emin: -- nicht die Faust allein thut es, sondern wer einen guten, fruchtbaren Hieb austeilen will, bei dem muß zugleich auch der Blick des Auges und der Ton der Stimme ein Schlag sein, der den Gegner niederstreckt. Komm, man erwartet uns; wir trennen uns nicht wieder."
"Welche Vorschläge hast du zu machen?"
"Du wirst sie hören."
"Aber ich verstehe euer Kurdisch nicht."
"Ich werde dir das Nötige von Zeit zu Zeit ver- dolmetschen."
Wir gelangten zwischen den weit auseinander stehen- den Büschen und Bäumen hindurch an eine Lichtung, die
Leben in die Leute. Dabei hatte ich Zeit, einige Worte mit Mohammed Emin zu ſprechen. Ich erzählte ihm unſere Erlebniſſe ſeit unſerer Trennung und wollte ihn nun auch nach den ſeinigen fragen, als gemeldet wurde, daß ein paſſender Platz gefunden ſei. Wir mußten auf- brechen.
„Sihdi,“ ſagte der Haddedihn, „ich danke dir, daß du dieſem Kiaja gezeigt haſt, daß wir Männer ſind!“
„Hat er dies an dir nicht auch bemerkt?“
„Herr, ich habe kein ſolches Glück wie du. Ich wäre von dieſen Männern zerriſſen worden, wenn ich ihm nur halb ſo viel geſagt hätte, wie du. Und dann bedenke, daß ich nur wenige kurdiſche Worte reden kann; ſie aber haben nur einige unter ſich, die etwas Arabiſch verſtehen. Dieſer Kiaja muß ein berüchtigter Dieb und Räuber ſein, weil ſie ſolchen Reſpekt vor ihm haben.“
„Nun, du ſiehſt, daß ſie mich nicht weniger achten, obgleich ich kein Dieb und Räuber bin. Wenn er mich beleidigt, ſchlage ich ihm ins Geſicht; das iſt das ganze Geheimnis der Scheu, die ſie vor mir haben. Und das merke dir, Mohammed Emin: — nicht die Fauſt allein thut es, ſondern wer einen guten, fruchtbaren Hieb austeilen will, bei dem muß zugleich auch der Blick des Auges und der Ton der Stimme ein Schlag ſein, der den Gegner niederſtreckt. Komm, man erwartet uns; wir trennen uns nicht wieder.“
„Welche Vorſchläge haſt du zu machen?“
„Du wirſt ſie hören.“
„Aber ich verſtehe euer Kurdiſch nicht.“
„Ich werde dir das Nötige von Zeit zu Zeit ver- dolmetſchen.“
Wir gelangten zwiſchen den weit auseinander ſtehen- den Büſchen und Bäumen hindurch an eine Lichtung, die
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Leben in die Leute. Dabei hatte ich Zeit, einige Worte
mit Mohammed Emin zu ſprechen. Ich erzählte ihm
unſere Erlebniſſe ſeit unſerer Trennung und wollte ihn
nun auch nach den ſeinigen fragen, als gemeldet wurde,
daß ein paſſender Platz gefunden ſei. Wir mußten auf-
brechen.
„Sihdi,“ ſagte der Haddedihn, „ich danke dir, daß
du dieſem Kiaja gezeigt haſt, daß wir Männer ſind!“
„Hat er dies an dir nicht auch bemerkt?“
„Herr, ich habe kein ſolches Glück wie du. Ich wäre
von dieſen Männern zerriſſen worden, wenn ich ihm nur
halb ſo viel geſagt hätte, wie du. Und dann bedenke,
daß ich nur wenige kurdiſche Worte reden kann; ſie aber
haben nur einige unter ſich, die etwas Arabiſch verſtehen.
Dieſer Kiaja muß ein berüchtigter Dieb und Räuber ſein,
weil ſie ſolchen Reſpekt vor ihm haben.“
„Nun, du ſiehſt, daß ſie mich nicht weniger achten,
obgleich ich kein Dieb und Räuber bin. Wenn er mich
beleidigt, ſchlage ich ihm ins Geſicht; das iſt das ganze
Geheimnis der Scheu, die ſie vor mir haben. Und
das merke dir, Mohammed Emin: — nicht die Fauſt
allein thut es, ſondern wer einen guten, fruchtbaren Hieb
austeilen will, bei dem muß zugleich auch der Blick des
Auges und der Ton der Stimme ein Schlag ſein, der
den Gegner niederſtreckt. Komm, man erwartet uns;
wir trennen uns nicht wieder.“
„Welche Vorſchläge haſt du zu machen?“
„Du wirſt ſie hören.“
„Aber ich verſtehe euer Kurdiſch nicht.“
„Ich werde dir das Nötige von Zeit zu Zeit ver-
dolmetſchen.“
Wir gelangten zwiſchen den weit auseinander ſtehen-
den Büſchen und Bäumen hindurch an eine Lichtung, die
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 542. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/556>, abgerufen am 23.12.2024.
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