"So meinst du also, daß wir gar nicht angreifen sollen?"
"Das meine ich allerdings."
"Herr, hältst du uns für Feiglinge, die nicht einmal den Tod jener Männer rächen, welche gestern gefallen sind?"
"Nein. Ich halte euch für tapfere Krieger, jedoch aber auch für kluge Männer, welche nicht unnötigerweise in den Tod rennen. Ihr kennt den Zab; wer von euch will hinüberkommen, wenn drüben der Feind liegt und jeden einzelnen von euch mit einer Kugel zu empfangen vermag?"
"Daran bist nur du allein schuld!"
"Pah! Ich habe damit dem Bey das Leben gerettet. Soll dies umsonst geschehen sein?"
"Du hast nicht ihm, sondern dir das Leben retten wollen!"
"Du irrst. Ich und meine Gefährten, wir sind Gäste des Melek. Nur der Bey und die Kurden, welche mit- ergriffen wurden, sind Gefangene. Sie sterben, sobald ihr die Feindseligkeiten beginnt."
"Und wenn wir nicht glauben, daß du der Gast des Melek bist, wie willst du es uns beweisen?"
"Stände ich hier, wenn ich Gefangener wäre?"
"Er könnte dich auf dein Wort entlassen haben. Aus welchem Grunde hat er dich unter den Schutz seines Hauses genommen? Wer hat dich ihm, dem Melek von Lizan, empfohlen?"
Ich mußte eine Antwort geben, und ich gestehe offen, daß ich mich schämte, den Namen eines Weibes nennen zu müssen.
"Ich wurde ihm empfohlen zwar nur von einem Weibe, auf dessen Wort er aber sehr viel zu geben scheint."
„So meinſt du alſo, daß wir gar nicht angreifen ſollen?“
„Das meine ich allerdings.“
„Herr, hältſt du uns für Feiglinge, die nicht einmal den Tod jener Männer rächen, welche geſtern gefallen ſind?“
„Nein. Ich halte euch für tapfere Krieger, jedoch aber auch für kluge Männer, welche nicht unnötigerweiſe in den Tod rennen. Ihr kennt den Zab; wer von euch will hinüberkommen, wenn drüben der Feind liegt und jeden einzelnen von euch mit einer Kugel zu empfangen vermag?“
„Daran biſt nur du allein ſchuld!“
„Pah! Ich habe damit dem Bey das Leben gerettet. Soll dies umſonſt geſchehen ſein?“
„Du haſt nicht ihm, ſondern dir das Leben retten wollen!“
„Du irrſt. Ich und meine Gefährten, wir ſind Gäſte des Melek. Nur der Bey und die Kurden, welche mit- ergriffen wurden, ſind Gefangene. Sie ſterben, ſobald ihr die Feindſeligkeiten beginnt.“
„Und wenn wir nicht glauben, daß du der Gaſt des Melek biſt, wie willſt du es uns beweiſen?“
„Stände ich hier, wenn ich Gefangener wäre?“
„Er könnte dich auf dein Wort entlaſſen haben. Aus welchem Grunde hat er dich unter den Schutz ſeines Hauſes genommen? Wer hat dich ihm, dem Melek von Lizan, empfohlen?“
Ich mußte eine Antwort geben, und ich geſtehe offen, daß ich mich ſchämte, den Namen eines Weibes nennen zu müſſen.
„Ich wurde ihm empfohlen zwar nur von einem Weibe, auf deſſen Wort er aber ſehr viel zu geben ſcheint.“
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„So meinſt du alſo, daß wir gar nicht angreifen
ſollen?“
„Das meine ich allerdings.“
„Herr, hältſt du uns für Feiglinge, die nicht einmal
den Tod jener Männer rächen, welche geſtern gefallen
ſind?“
„Nein. Ich halte euch für tapfere Krieger, jedoch
aber auch für kluge Männer, welche nicht unnötigerweiſe
in den Tod rennen. Ihr kennt den Zab; wer von euch
will hinüberkommen, wenn drüben der Feind liegt und
jeden einzelnen von euch mit einer Kugel zu empfangen
vermag?“
„Daran biſt nur du allein ſchuld!“
„Pah! Ich habe damit dem Bey das Leben gerettet.
Soll dies umſonſt geſchehen ſein?“
„Du haſt nicht ihm, ſondern dir das Leben retten
wollen!“
„Du irrſt. Ich und meine Gefährten, wir ſind Gäſte
des Melek. Nur der Bey und die Kurden, welche mit-
ergriffen wurden, ſind Gefangene. Sie ſterben, ſobald ihr
die Feindſeligkeiten beginnt.“
„Und wenn wir nicht glauben, daß du der Gaſt des
Melek biſt, wie willſt du es uns beweiſen?“
„Stände ich hier, wenn ich Gefangener wäre?“
„Er könnte dich auf dein Wort entlaſſen haben. Aus
welchem Grunde hat er dich unter den Schutz ſeines
Hauſes genommen? Wer hat dich ihm, dem Melek von
Lizan, empfohlen?“
Ich mußte eine Antwort geben, und ich geſtehe offen,
daß ich mich ſchämte, den Namen eines Weibes nennen
zu müſſen.
„Ich wurde ihm empfohlen zwar nur von einem
Weibe, auf deſſen Wort er aber ſehr viel zu geben ſcheint.“
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 548. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/562>, abgerufen am 23.12.2024.
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