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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

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Gestalt, und ich werde hören alle Worte deines Mundes,
die du zu mir gesprochen hast. Jetzt aber solltest du Scheik
Adi verlassen, denn noch ist es nicht zu spät!"

"Sieh dort das Heiligtum, in welchem Der begraben
liegt, welcher verfolgt und getötet wurde. Er ist nie ge-
flohen. Steht nicht auch in deinem Kitab, daß man sich
nicht fürchten soll vor jenen, die nur den Leib töten kön-
nen? Ich bleibe hier, da ich weiß, daß die Osmanly mir
nicht zu schaden vermögen. Und wenn sie mich töteten,
was wäre es? Muß nicht der Tropfen emporsteigen zur
Sonne? Stirbt nicht El Schems, die Glänzende, täglich,
um auch täglich wieder aufzuerstehen? Ist nicht der Tod
der Eingang in eine lichtere, in eine reinere Welt? Hast
du jemals gehört, daß ein Dschesidi von einem andern
sagt, daß er gestorben sei? Er sagt nur, daß er verwan-
delt sei; denn es giebt weder Tod noch Grab, sondern
Leben, nichts als Leben. Darum weiß ich auch, daß ich
dich einst wiedersehen werde!"

Nach diesen Worten schritt er schnell davon und kam
hinter der Außenmauer des Grabmales außer Sicht.

Ich trat in das Gebäude und ging nach der Platt-
form. Droben vernahm ich Stimmen. Halef und Ifra
redeten miteinander.

"Ganz allein?" hörte ich den letzteren fragen.

"Ja."

"Wohin sind die andern, die vielen, die Tausende?"

"Wer weiß es!"

"Aber warum sind sie fort?"

"Sie sind geflohen."

"Vor wem?"

"Vor euch."

"Vor uns? Hadschi Halef Omar, ich verstehe nicht,
was du sagest!"

Geſtalt, und ich werde hören alle Worte deines Mundes,
die du zu mir geſprochen haſt. Jetzt aber ſollteſt du Scheik
Adi verlaſſen, denn noch iſt es nicht zu ſpät!“

„Sieh dort das Heiligtum, in welchem Der begraben
liegt, welcher verfolgt und getötet wurde. Er iſt nie ge-
flohen. Steht nicht auch in deinem Kitab, daß man ſich
nicht fürchten ſoll vor jenen, die nur den Leib töten kön-
nen? Ich bleibe hier, da ich weiß, daß die Osmanly mir
nicht zu ſchaden vermögen. Und wenn ſie mich töteten,
was wäre es? Muß nicht der Tropfen emporſteigen zur
Sonne? Stirbt nicht El Schems, die Glänzende, täglich,
um auch täglich wieder aufzuerſtehen? Iſt nicht der Tod
der Eingang in eine lichtere, in eine reinere Welt? Haſt
du jemals gehört, daß ein Dſcheſidi von einem andern
ſagt, daß er geſtorben ſei? Er ſagt nur, daß er verwan-
delt ſei; denn es giebt weder Tod noch Grab, ſondern
Leben, nichts als Leben. Darum weiß ich auch, daß ich
dich einſt wiederſehen werde!“

Nach dieſen Worten ſchritt er ſchnell davon und kam
hinter der Außenmauer des Grabmales außer Sicht.

Ich trat in das Gebäude und ging nach der Platt-
form. Droben vernahm ich Stimmen. Halef und Ifra
redeten miteinander.

„Ganz allein?“ hörte ich den letzteren fragen.

„Ja.“

„Wohin ſind die andern, die vielen, die Tauſende?“

„Wer weiß es!“

„Aber warum ſind ſie fort?“

„Sie ſind geflohen.“

„Vor wem?“

„Vor euch.“

„Vor uns? Hadſchi Halef Omar, ich verſtehe nicht,
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[43/0057] Geſtalt, und ich werde hören alle Worte deines Mundes, die du zu mir geſprochen haſt. Jetzt aber ſollteſt du Scheik Adi verlaſſen, denn noch iſt es nicht zu ſpät!“ „Sieh dort das Heiligtum, in welchem Der begraben liegt, welcher verfolgt und getötet wurde. Er iſt nie ge- flohen. Steht nicht auch in deinem Kitab, daß man ſich nicht fürchten ſoll vor jenen, die nur den Leib töten kön- nen? Ich bleibe hier, da ich weiß, daß die Osmanly mir nicht zu ſchaden vermögen. Und wenn ſie mich töteten, was wäre es? Muß nicht der Tropfen emporſteigen zur Sonne? Stirbt nicht El Schems, die Glänzende, täglich, um auch täglich wieder aufzuerſtehen? Iſt nicht der Tod der Eingang in eine lichtere, in eine reinere Welt? Haſt du jemals gehört, daß ein Dſcheſidi von einem andern ſagt, daß er geſtorben ſei? Er ſagt nur, daß er verwan- delt ſei; denn es giebt weder Tod noch Grab, ſondern Leben, nichts als Leben. Darum weiß ich auch, daß ich dich einſt wiederſehen werde!“ Nach dieſen Worten ſchritt er ſchnell davon und kam hinter der Außenmauer des Grabmales außer Sicht. Ich trat in das Gebäude und ging nach der Platt- form. Droben vernahm ich Stimmen. Halef und Ifra redeten miteinander. „Ganz allein?“ hörte ich den letzteren fragen. „Ja.“ „Wohin ſind die andern, die vielen, die Tauſende?“ „Wer weiß es!“ „Aber warum ſind ſie fort?“ „Sie ſind geflohen.“ „Vor wem?“ „Vor euch.“ „Vor uns? Hadſchi Halef Omar, ich verſtehe nicht, was du ſageſt!“

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Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/57>, abgerufen am 22.12.2024.