Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

Bild:
<< vorherige Seite

vortrefflich und noch viel appetitlicher essen läßt, als mit
den nackten Fingern. Wer bei uns sich während des
Essens die Hände mit Speise besudelt, der gilt für einen
unreinlichen und ungeschickten Menschen. Ich will euch
einmal zeigen, wie ein solcher Kaschyk *) aussieht."

Während Ingdscha ein mitgebrachtes Tuch auf den
Boden breitete, um die Speisen darauf zu legen, nahm
ich Halefs Dolchmesser und schnitt mit demselben einen
tüchtigen Span aus dem Pfahle, um daraus einen Löffel
zu schnitzen. Er war bald fertig und erregte, als ich
ihnen den Gebrauch desselben an dem Wassernapfe zeigte,
die Bewunderung der beiden einfachen Frauen.

"Nun sage selbst, o Madana, kann man dieses kleine
Ding ein Kürek *) nennen?"

"Nein, Herr," antwortete sie. "Ihr braucht doch
keine so großen Mäuler zu haben, als ich erst dachte."

"Herr, was wirst du mit diesem Kaschyk thun?"
fragte Ingdscha.

"Wegwerfen."

"O nein, Emir! Magst du mir ihn nicht schenken?"

"Für dich ist er nicht schön genug. Für die Perle
von Schohrd müßte er von Silber sein."

"Herr," meinte sie errötend, "er ist schön genug! Er
ist schöner, als wenn er von Altyn und Gümisch ***) ge-
macht worden wäre; denn du hast ihn gefertigt. Ich
bitte dich, schenke ihn mir, damit ich eine Erinnerung
habe, wenn du uns verlassen hast!"

"So behalte ihn! Aber du sollst mich morgen mit
Madana in Lizan besuchen und da werde ich euch noch
etwas Besseres geben."

"Wann willst du fort von hier?"

*) Löffel.
*) Schaufel.
***) Gold und Silber.

vortrefflich und noch viel appetitlicher eſſen läßt, als mit
den nackten Fingern. Wer bei uns ſich während des
Eſſens die Hände mit Speiſe beſudelt, der gilt für einen
unreinlichen und ungeſchickten Menſchen. Ich will euch
einmal zeigen, wie ein ſolcher Kaſchyk *) ausſieht.“

Während Ingdſcha ein mitgebrachtes Tuch auf den
Boden breitete, um die Speiſen darauf zu legen, nahm
ich Halefs Dolchmeſſer und ſchnitt mit demſelben einen
tüchtigen Span aus dem Pfahle, um daraus einen Löffel
zu ſchnitzen. Er war bald fertig und erregte, als ich
ihnen den Gebrauch desſelben an dem Waſſernapfe zeigte,
die Bewunderung der beiden einfachen Frauen.

„Nun ſage ſelbſt, o Madana, kann man dieſes kleine
Ding ein Kürek *) nennen?“

„Nein, Herr,“ antwortete ſie. „Ihr braucht doch
keine ſo großen Mäuler zu haben, als ich erſt dachte.“

„Herr, was wirſt du mit dieſem Kaſchyk thun?“
fragte Ingdſcha.

„Wegwerfen.“

„O nein, Emir! Magſt du mir ihn nicht ſchenken?“

„Für dich iſt er nicht ſchön genug. Für die Perle
von Schohrd müßte er von Silber ſein.“

„Herr,“ meinte ſie errötend, „er iſt ſchön genug! Er
iſt ſchöner, als wenn er von Altyn und Gümiſch ***) ge-
macht worden wäre; denn du haſt ihn gefertigt. Ich
bitte dich, ſchenke ihn mir, damit ich eine Erinnerung
habe, wenn du uns verlaſſen haſt!“

„So behalte ihn! Aber du ſollſt mich morgen mit
Madana in Lizan beſuchen und da werde ich euch noch
etwas Beſſeres geben.“

„Wann willſt du fort von hier?“

*) Löffel.
*) Schaufel.
***) Gold und Silber.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0597" n="583"/>
vortrefflich und noch viel appetitlicher e&#x017F;&#x017F;en läßt, als mit<lb/>
den nackten Fingern. Wer bei uns &#x017F;ich während des<lb/>
E&#x017F;&#x017F;ens die Hände mit Spei&#x017F;e be&#x017F;udelt, der gilt für einen<lb/>
unreinlichen und unge&#x017F;chickten Men&#x017F;chen. Ich will euch<lb/>
einmal zeigen, wie ein &#x017F;olcher Ka&#x017F;chyk <note place="foot" n="*)">Löffel.</note> aus&#x017F;ieht.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Während Ingd&#x017F;cha ein mitgebrachtes Tuch auf den<lb/>
Boden breitete, um die Spei&#x017F;en darauf zu legen, nahm<lb/>
ich Halefs Dolchme&#x017F;&#x017F;er und &#x017F;chnitt mit dem&#x017F;elben einen<lb/>
tüchtigen Span aus dem Pfahle, um daraus einen Löffel<lb/>
zu &#x017F;chnitzen. Er war bald fertig und erregte, als ich<lb/>
ihnen den Gebrauch des&#x017F;elben an dem Wa&#x017F;&#x017F;ernapfe zeigte,<lb/>
die Bewunderung der beiden einfachen Frauen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nun &#x017F;age &#x017F;elb&#x017F;t, o Madana, kann man die&#x017F;es kleine<lb/>
Ding ein Kürek <note place="foot" n="*)">Schaufel.</note> nennen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nein, Herr,&#x201C; antwortete &#x017F;ie. &#x201E;Ihr braucht doch<lb/>
keine &#x017F;o großen Mäuler zu haben, als ich er&#x017F;t dachte.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Herr, was wir&#x017F;t du mit die&#x017F;em Ka&#x017F;chyk thun?&#x201C;<lb/>
fragte Ingd&#x017F;cha.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wegwerfen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;O nein, Emir! Mag&#x017F;t du mir ihn nicht &#x017F;chenken?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Für dich i&#x017F;t er nicht &#x017F;chön genug. Für die Perle<lb/>
von Schohrd müßte er von Silber &#x017F;ein.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Herr,&#x201C; meinte &#x017F;ie errötend, &#x201E;er i&#x017F;t &#x017F;chön genug! Er<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;chöner, als wenn er von Altyn und Gümi&#x017F;ch <note place="foot" n="***)">Gold und Silber.</note> ge-<lb/>
macht worden wäre; denn du ha&#x017F;t ihn gefertigt. Ich<lb/>
bitte dich, &#x017F;chenke ihn mir, damit ich eine Erinnerung<lb/>
habe, wenn du uns verla&#x017F;&#x017F;en ha&#x017F;t!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;So behalte ihn! Aber du &#x017F;oll&#x017F;t mich morgen mit<lb/>
Madana in Lizan be&#x017F;uchen und da werde ich euch noch<lb/>
etwas Be&#x017F;&#x017F;eres geben.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wann will&#x017F;t du fort von hier?&#x201C;</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[583/0597] vortrefflich und noch viel appetitlicher eſſen läßt, als mit den nackten Fingern. Wer bei uns ſich während des Eſſens die Hände mit Speiſe beſudelt, der gilt für einen unreinlichen und ungeſchickten Menſchen. Ich will euch einmal zeigen, wie ein ſolcher Kaſchyk *) ausſieht.“ Während Ingdſcha ein mitgebrachtes Tuch auf den Boden breitete, um die Speiſen darauf zu legen, nahm ich Halefs Dolchmeſſer und ſchnitt mit demſelben einen tüchtigen Span aus dem Pfahle, um daraus einen Löffel zu ſchnitzen. Er war bald fertig und erregte, als ich ihnen den Gebrauch desſelben an dem Waſſernapfe zeigte, die Bewunderung der beiden einfachen Frauen. „Nun ſage ſelbſt, o Madana, kann man dieſes kleine Ding ein Kürek *) nennen?“ „Nein, Herr,“ antwortete ſie. „Ihr braucht doch keine ſo großen Mäuler zu haben, als ich erſt dachte.“ „Herr, was wirſt du mit dieſem Kaſchyk thun?“ fragte Ingdſcha. „Wegwerfen.“ „O nein, Emir! Magſt du mir ihn nicht ſchenken?“ „Für dich iſt er nicht ſchön genug. Für die Perle von Schohrd müßte er von Silber ſein.“ „Herr,“ meinte ſie errötend, „er iſt ſchön genug! Er iſt ſchöner, als wenn er von Altyn und Gümiſch ***) ge- macht worden wäre; denn du haſt ihn gefertigt. Ich bitte dich, ſchenke ihn mir, damit ich eine Erinnerung habe, wenn du uns verlaſſen haſt!“ „So behalte ihn! Aber du ſollſt mich morgen mit Madana in Lizan beſuchen und da werde ich euch noch etwas Beſſeres geben.“ „Wann willſt du fort von hier?“ *) Löffel. *) Schaufel. ***) Gold und Silber.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/597
Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 583. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/597>, abgerufen am 23.12.2024.