Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

Bild:
<< vorherige Seite

als Sujet einen Autor berühmt machen könnte, eine lange
Geschichte aus jener Zeit, in der die drei Teufel Abd-
el-Summit-Bey, Beder-Khan-Bey und Nur-Ullah-Bey das
Christentum im Thale des Zab ausrotteten, eine Geschichte,
die mir die Haare sträuben machte. Es dauerte lange,
ehe sie beendet war, und dann saß die Alte noch geraume
Zeit in tiefem Schweigen neben mir. Nur ein leises
Schluchzen unterbrach dann und wann die Stille, und die
knöcherne Hand langte nach den Augen, um die immerfort
rinnenden Thränen zu trocknen. Dann legte sie ermüdet
und ganz von selbst ihr Haupt an meine Schulter und
bat mit leiser Stimme:

"Gehe jetzt! Ich wollte hinab nach Lizan gehen; aber
ich steige nochmals zurück, um zu warten, bis mein Herz
wieder ruhig schlägt. Am Abend komme ich zu euch."

Ich achtete diesen Wunsch und ging.

Als ich in Lizan anlangte, sah ich keine Kurden mehr;
aber der Bey hatte auf mich gewartet.

"Emir," sagte er, "meine Leute sind fort, und auch
ich scheide von hier; aber ich erwarte, daß du zurück nach
Gumri kommst."

"Ich komme."

"Auf lange Zeit?"

"Auf kurze Zeit, denn die Haddedihn sehnen sich
nach den Ihrigen."

"Sie haben mir versprochen, mitzukommen, und wir
werden dann beraten, wie ihr am sichersten den Tigris
erreicht. Lebe wohl, Emir!"

"Lebe wohl!"

Der Melek stand mit meinen Gefährten dabei. Der
Bey verabschiedete sich nochmals bei ihnen und eilte dann
davon, um seine Kurden zu erreichen.

Marah Durimeh hielt Wort: sie kam des Abends;

als Sujet einen Autor berühmt machen könnte, eine lange
Geſchichte aus jener Zeit, in der die drei Teufel Abd-
el-Summit-Bey, Beder-Khan-Bey und Nur-Ullah-Bey das
Chriſtentum im Thale des Zab ausrotteten, eine Geſchichte,
die mir die Haare ſträuben machte. Es dauerte lange,
ehe ſie beendet war, und dann ſaß die Alte noch geraume
Zeit in tiefem Schweigen neben mir. Nur ein leiſes
Schluchzen unterbrach dann und wann die Stille, und die
knöcherne Hand langte nach den Augen, um die immerfort
rinnenden Thränen zu trocknen. Dann legte ſie ermüdet
und ganz von ſelbſt ihr Haupt an meine Schulter und
bat mit leiſer Stimme:

„Gehe jetzt! Ich wollte hinab nach Lizan gehen; aber
ich ſteige nochmals zurück, um zu warten, bis mein Herz
wieder ruhig ſchlägt. Am Abend komme ich zu euch.“

Ich achtete dieſen Wunſch und ging.

Als ich in Lizan anlangte, ſah ich keine Kurden mehr;
aber der Bey hatte auf mich gewartet.

„Emir,“ ſagte er, „meine Leute ſind fort, und auch
ich ſcheide von hier; aber ich erwarte, daß du zurück nach
Gumri kommſt.“

„Ich komme.“

„Auf lange Zeit?“

„Auf kurze Zeit, denn die Haddedihn ſehnen ſich
nach den Ihrigen.“

„Sie haben mir verſprochen, mitzukommen, und wir
werden dann beraten, wie ihr am ſicherſten den Tigris
erreicht. Lebe wohl, Emir!“

„Lebe wohl!“

Der Melek ſtand mit meinen Gefährten dabei. Der
Bey verabſchiedete ſich nochmals bei ihnen und eilte dann
davon, um ſeine Kurden zu erreichen.

Marah Durimeh hielt Wort: ſie kam des Abends;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0651" n="637"/>
als Sujet einen Autor berühmt machen könnte, eine lange<lb/>
Ge&#x017F;chichte aus jener Zeit, in der die drei Teufel Abd-<lb/>
el-Summit-Bey, Beder-Khan-Bey und Nur-Ullah-Bey das<lb/>
Chri&#x017F;tentum im Thale des Zab ausrotteten, eine Ge&#x017F;chichte,<lb/>
die mir die Haare &#x017F;träuben machte. Es dauerte lange,<lb/>
ehe &#x017F;ie beendet war, und dann &#x017F;aß die Alte noch geraume<lb/>
Zeit in tiefem Schweigen neben mir. Nur ein lei&#x017F;es<lb/>
Schluchzen unterbrach dann und wann die Stille, und die<lb/>
knöcherne Hand langte nach den Augen, um die immerfort<lb/>
rinnenden Thränen zu trocknen. Dann legte &#x017F;ie ermüdet<lb/>
und ganz von &#x017F;elb&#x017F;t ihr Haupt an meine Schulter und<lb/>
bat mit lei&#x017F;er Stimme:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Gehe jetzt! Ich wollte hinab nach Lizan gehen; aber<lb/>
ich &#x017F;teige nochmals zurück, um zu warten, bis mein Herz<lb/>
wieder ruhig &#x017F;chlägt. Am Abend komme ich zu euch.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Ich achtete die&#x017F;en Wun&#x017F;ch und ging.</p><lb/>
        <p>Als ich in Lizan anlangte, &#x017F;ah ich keine Kurden mehr;<lb/>
aber der Bey hatte auf mich gewartet.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Emir,&#x201C; &#x017F;agte er, &#x201E;meine Leute &#x017F;ind fort, und auch<lb/>
ich &#x017F;cheide von hier; aber ich erwarte, daß du zurück nach<lb/>
Gumri komm&#x017F;t.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich komme.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Auf lange Zeit?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Auf kurze Zeit, denn die Haddedihn &#x017F;ehnen &#x017F;ich<lb/>
nach den Ihrigen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sie haben mir ver&#x017F;prochen, mitzukommen, und wir<lb/>
werden dann beraten, wie ihr am &#x017F;icher&#x017F;ten den Tigris<lb/>
erreicht. Lebe wohl, Emir!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Lebe wohl!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Der Melek &#x017F;tand mit meinen Gefährten dabei. Der<lb/>
Bey verab&#x017F;chiedete &#x017F;ich nochmals bei ihnen und eilte dann<lb/>
davon, um &#x017F;eine Kurden zu erreichen.</p><lb/>
        <p>Marah Durimeh hielt Wort: &#x017F;ie kam des Abends;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[637/0651] als Sujet einen Autor berühmt machen könnte, eine lange Geſchichte aus jener Zeit, in der die drei Teufel Abd- el-Summit-Bey, Beder-Khan-Bey und Nur-Ullah-Bey das Chriſtentum im Thale des Zab ausrotteten, eine Geſchichte, die mir die Haare ſträuben machte. Es dauerte lange, ehe ſie beendet war, und dann ſaß die Alte noch geraume Zeit in tiefem Schweigen neben mir. Nur ein leiſes Schluchzen unterbrach dann und wann die Stille, und die knöcherne Hand langte nach den Augen, um die immerfort rinnenden Thränen zu trocknen. Dann legte ſie ermüdet und ganz von ſelbſt ihr Haupt an meine Schulter und bat mit leiſer Stimme: „Gehe jetzt! Ich wollte hinab nach Lizan gehen; aber ich ſteige nochmals zurück, um zu warten, bis mein Herz wieder ruhig ſchlägt. Am Abend komme ich zu euch.“ Ich achtete dieſen Wunſch und ging. Als ich in Lizan anlangte, ſah ich keine Kurden mehr; aber der Bey hatte auf mich gewartet. „Emir,“ ſagte er, „meine Leute ſind fort, und auch ich ſcheide von hier; aber ich erwarte, daß du zurück nach Gumri kommſt.“ „Ich komme.“ „Auf lange Zeit?“ „Auf kurze Zeit, denn die Haddedihn ſehnen ſich nach den Ihrigen.“ „Sie haben mir verſprochen, mitzukommen, und wir werden dann beraten, wie ihr am ſicherſten den Tigris erreicht. Lebe wohl, Emir!“ „Lebe wohl!“ Der Melek ſtand mit meinen Gefährten dabei. Der Bey verabſchiedete ſich nochmals bei ihnen und eilte dann davon, um ſeine Kurden zu erreichen. Marah Durimeh hielt Wort: ſie kam des Abends;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/651
Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 637. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/651>, abgerufen am 22.12.2024.