"Ich bin bereit, deine Zugeständnisse zu vernehmen."
"Zugeständnisse? Wir sind gekommen, um Forde- rungen zu machen!"
"Ich habe dich bereits gebeten, dich nicht auslachen zu lassen! Sage mir zunächst, aus welchem Grunde ihr uns überfallen habt!"
"Es sind Mörder unter euch."
"Ich weiß, welchen Fall du meinst, aber ich sage dir, daß du falsch unterrichtet bist: nicht zwei von den Unserigen haben einen der Eurigen, sondern drei der Eurigen haben zwei der Unserigen ermordet. Ich habe bereits dafür gesorgt, euch dies beweisen zu können: denn der Kiajah *) des Ortes, wo die That geschehen ist, wird in kurzer Zeit mit den Angehörigen der Ermordeten hier sein."
"Vielleicht ist dies ein anderer Fall!"
"Es ist nur der nämliche, aber der Makredsch hat ihn verdreht. Er wird es nicht wieder thun. Und wenn es so wäre, wie du sagst, so ist dies ganz und gar kein Grund, mit bewaffneter Macht unser Gebiet zu überfallen."
"Wir haben noch einen zweiten Grund."
"Welchen?"
"Ihr habt den Haradsch nicht bezahlt."
"Wir haben ihn bezahlt. Was nennst du überhaupt Haradsch? Wir sind freie Kurden; was wir zahlen, das zahlen wir freiwillig. Wir haben die Kopfsteuer bezahlt, welche jeder, der nicht ein Moslem ist, für seine Befreiung vom Militärdienste zu entrichten hat. Nun wollt ihr auch den Haradsch, und doch ist dieser nichts anderes als diese bereits entrichtete Kopfsteuer! Und wenn ihr in eurem Rechte wäret, und wenn wir dem Mutessarif eine Steuer schuldig geblieben wären, ist dies eine genügende Veran-
*) Vorsteher.
„Ich bin bereit, deine Zugeſtändniſſe zu vernehmen.„
„Zugeſtändniſſe? Wir ſind gekommen, um Forde- rungen zu machen!“
„Ich habe dich bereits gebeten, dich nicht auslachen zu laſſen! Sage mir zunächſt, aus welchem Grunde ihr uns überfallen habt!“
„Es ſind Mörder unter euch.“
„Ich weiß, welchen Fall du meinſt, aber ich ſage dir, daß du falſch unterrichtet biſt: nicht zwei von den Unſerigen haben einen der Eurigen, ſondern drei der Eurigen haben zwei der Unſerigen ermordet. Ich habe bereits dafür geſorgt, euch dies beweiſen zu können: denn der Kiajah *) des Ortes, wo die That geſchehen iſt, wird in kurzer Zeit mit den Angehörigen der Ermordeten hier ſein.“
„Vielleicht iſt dies ein anderer Fall!“
„Es iſt nur der nämliche, aber der Makredſch hat ihn verdreht. Er wird es nicht wieder thun. Und wenn es ſo wäre, wie du ſagſt, ſo iſt dies ganz und gar kein Grund, mit bewaffneter Macht unſer Gebiet zu überfallen.“
„Wir haben noch einen zweiten Grund.“
„Welchen?“
„Ihr habt den Haradſch nicht bezahlt.“
„Wir haben ihn bezahlt. Was nennſt du überhaupt Haradſch? Wir ſind freie Kurden; was wir zahlen, das zahlen wir freiwillig. Wir haben die Kopfſteuer bezahlt, welche jeder, der nicht ein Moslem iſt, für ſeine Befreiung vom Militärdienſte zu entrichten hat. Nun wollt ihr auch den Haradſch, und doch iſt dieſer nichts anderes als dieſe bereits entrichtete Kopfſteuer! Und wenn ihr in eurem Rechte wäret, und wenn wir dem Muteſſarif eine Steuer ſchuldig geblieben wären, iſt dies eine genügende Veran-
*) Vorſteher.
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„Ich bin bereit, deine Zugeſtändniſſe zu vernehmen.„
„Zugeſtändniſſe? Wir ſind gekommen, um Forde-
rungen zu machen!“
„Ich habe dich bereits gebeten, dich nicht auslachen
zu laſſen! Sage mir zunächſt, aus welchem Grunde ihr
uns überfallen habt!“
„Es ſind Mörder unter euch.“
„Ich weiß, welchen Fall du meinſt, aber ich ſage
dir, daß du falſch unterrichtet biſt: nicht zwei von den
Unſerigen haben einen der Eurigen, ſondern drei der
Eurigen haben zwei der Unſerigen ermordet. Ich habe
bereits dafür geſorgt, euch dies beweiſen zu können: denn
der Kiajah *) des Ortes, wo die That geſchehen iſt, wird
in kurzer Zeit mit den Angehörigen der Ermordeten hier
ſein.“
„Vielleicht iſt dies ein anderer Fall!“
„Es iſt nur der nämliche, aber der Makredſch hat
ihn verdreht. Er wird es nicht wieder thun. Und wenn
es ſo wäre, wie du ſagſt, ſo iſt dies ganz und gar kein
Grund, mit bewaffneter Macht unſer Gebiet zu überfallen.“
„Wir haben noch einen zweiten Grund.“
„Welchen?“
„Ihr habt den Haradſch nicht bezahlt.“
„Wir haben ihn bezahlt. Was nennſt du überhaupt
Haradſch? Wir ſind freie Kurden; was wir zahlen, das
zahlen wir freiwillig. Wir haben die Kopfſteuer bezahlt,
welche jeder, der nicht ein Moslem iſt, für ſeine Befreiung
vom Militärdienſte zu entrichten hat. Nun wollt ihr auch
den Haradſch, und doch iſt dieſer nichts anderes als dieſe
bereits entrichtete Kopfſteuer! Und wenn ihr in eurem
Rechte wäret, und wenn wir dem Muteſſarif eine Steuer
ſchuldig geblieben wären, iſt dies eine genügende Veran-
*) Vorſteher.
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/87>, abgerufen am 22.12.2024.
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