Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mayer, Johann Tobias: Vollständiger Lehrbegriff der höhern Analysis. Bd. 1. Göttingen, 1818.

Bild:
<< vorherige Seite

Erster Theil.
von der sie die Gränze ist; von einer Fläche,
ohne uns den Körper vorzustellen, von der
diese Fläche wieder die Gränze ist, und ohne wel-
chen weder Fläche, Linie, noch Punkt existiren
würde. Wir reden von der unendlichen Verlän-
gerung einer Linie, von einer unendlichen Linie,
ohngeachtet sie von uns nur gedacht, nie aber ob-
jectiv in ihrer völligen Ausdehnung dargestellt
werden kann, und alle Sätze die aus diesen und
ähnlichen Abstractionen abgeleitet werden, machen
doch den Gegenstand der erhabensten aller Wissen-
schaften aus.

VII. Man wird in der Mathematik so oft auf
die Vorstellung eines über alle Gränzen hinaus-
gehenden Wachsthums einer Grösse geleitet, daß
man sich an bloße Spitzfindigkeiten stößt, wenn
man sich zur Bezeichnung eines solchen Begriffs
nicht des Worts Unendlich bedienen will, und
Untersuchungen, die durch den richtigen Begriff
des unendlich Grossen, oft ungemein erleichtert
und abgekürzt werden, durch Vermeidung dieses
Begriffs unnöthiger Weise ein schwerfälliges An-
sehen giebt. Ja sehr oft glaubt man bey diesen
oder jenen Untersuchungen den Begriff des Un-
endlichen vermieden zu haben, und versteckt liegt
er bey denselben dennoch zum Grunde.


VIII.

Erſter Theil.
von der ſie die Graͤnze iſt; von einer Flaͤche,
ohne uns den Koͤrper vorzuſtellen, von der
dieſe Flaͤche wieder die Graͤnze iſt, und ohne wel-
chen weder Flaͤche, Linie, noch Punkt exiſtiren
wuͤrde. Wir reden von der unendlichen Verlaͤn-
gerung einer Linie, von einer unendlichen Linie,
ohngeachtet ſie von uns nur gedacht, nie aber ob-
jectiv in ihrer voͤlligen Ausdehnung dargeſtellt
werden kann, und alle Saͤtze die aus dieſen und
aͤhnlichen Abſtractionen abgeleitet werden, machen
doch den Gegenſtand der erhabenſten aller Wiſſen-
ſchaften aus.

VII. Man wird in der Mathematik ſo oft auf
die Vorſtellung eines uͤber alle Graͤnzen hinaus-
gehenden Wachsthums einer Groͤſſe geleitet, daß
man ſich an bloße Spitzfindigkeiten ſtoͤßt, wenn
man ſich zur Bezeichnung eines ſolchen Begriffs
nicht des Worts Unendlich bedienen will, und
Unterſuchungen, die durch den richtigen Begriff
des unendlich Groſſen, oft ungemein erleichtert
und abgekuͤrzt werden, durch Vermeidung dieſes
Begriffs unnoͤthiger Weiſe ein ſchwerfaͤlliges An-
ſehen giebt. Ja ſehr oft glaubt man bey dieſen
oder jenen Unterſuchungen den Begriff des Un-
endlichen vermieden zu haben, und verſteckt liegt
er bey denſelben dennoch zum Grunde.


VIII.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0050" n="32"/><fw place="top" type="header">Er&#x017F;ter Theil.</fw><lb/>
von der &#x017F;ie die Gra&#x0364;nze i&#x017F;t; von einer <hi rendition="#g">Fla&#x0364;che</hi>,<lb/>
ohne uns den <hi rendition="#g">Ko&#x0364;rper</hi> vorzu&#x017F;tellen, von der<lb/>
die&#x017F;e Fla&#x0364;che wieder die Gra&#x0364;nze i&#x017F;t, und ohne wel-<lb/>
chen weder Fla&#x0364;che, Linie, noch Punkt exi&#x017F;tiren<lb/>
wu&#x0364;rde. Wir reden von der unendlichen Verla&#x0364;n-<lb/>
gerung einer Linie, von einer unendlichen Linie,<lb/>
ohngeachtet &#x017F;ie von uns nur gedacht, nie aber ob-<lb/>
jectiv in ihrer vo&#x0364;lligen Ausdehnung darge&#x017F;tellt<lb/>
werden kann, und alle Sa&#x0364;tze die aus die&#x017F;en und<lb/>
a&#x0364;hnlichen Ab&#x017F;tractionen abgeleitet werden, machen<lb/>
doch den Gegen&#x017F;tand der erhaben&#x017F;ten aller Wi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;chaften aus.</p><lb/>
              <p><hi rendition="#aq">VII.</hi> Man wird in der Mathematik &#x017F;o oft auf<lb/>
die Vor&#x017F;tellung eines u&#x0364;ber alle Gra&#x0364;nzen hinaus-<lb/>
gehenden Wachsthums einer Gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;e geleitet, daß<lb/>
man &#x017F;ich an bloße Spitzfindigkeiten &#x017F;to&#x0364;ßt, wenn<lb/>
man &#x017F;ich zur Bezeichnung eines &#x017F;olchen Begriffs<lb/>
nicht des Worts <hi rendition="#g">Unendlich</hi> bedienen will, und<lb/>
Unter&#x017F;uchungen, die durch den richtigen Begriff<lb/>
des unendlich Gro&#x017F;&#x017F;en, oft ungemein erleichtert<lb/>
und abgeku&#x0364;rzt werden, durch Vermeidung die&#x017F;es<lb/>
Begriffs unno&#x0364;thiger Wei&#x017F;e ein &#x017F;chwerfa&#x0364;lliges An-<lb/>
&#x017F;ehen giebt. Ja &#x017F;ehr oft glaubt man bey die&#x017F;en<lb/>
oder jenen Unter&#x017F;uchungen den Begriff des Un-<lb/>
endlichen vermieden zu haben, und ver&#x017F;teckt liegt<lb/>
er bey den&#x017F;elben dennoch zum Grunde.</p><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#aq">VIII.</hi> </fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[32/0050] Erſter Theil. von der ſie die Graͤnze iſt; von einer Flaͤche, ohne uns den Koͤrper vorzuſtellen, von der dieſe Flaͤche wieder die Graͤnze iſt, und ohne wel- chen weder Flaͤche, Linie, noch Punkt exiſtiren wuͤrde. Wir reden von der unendlichen Verlaͤn- gerung einer Linie, von einer unendlichen Linie, ohngeachtet ſie von uns nur gedacht, nie aber ob- jectiv in ihrer voͤlligen Ausdehnung dargeſtellt werden kann, und alle Saͤtze die aus dieſen und aͤhnlichen Abſtractionen abgeleitet werden, machen doch den Gegenſtand der erhabenſten aller Wiſſen- ſchaften aus. VII. Man wird in der Mathematik ſo oft auf die Vorſtellung eines uͤber alle Graͤnzen hinaus- gehenden Wachsthums einer Groͤſſe geleitet, daß man ſich an bloße Spitzfindigkeiten ſtoͤßt, wenn man ſich zur Bezeichnung eines ſolchen Begriffs nicht des Worts Unendlich bedienen will, und Unterſuchungen, die durch den richtigen Begriff des unendlich Groſſen, oft ungemein erleichtert und abgekuͤrzt werden, durch Vermeidung dieſes Begriffs unnoͤthiger Weiſe ein ſchwerfaͤlliges An- ſehen giebt. Ja ſehr oft glaubt man bey dieſen oder jenen Unterſuchungen den Begriff des Un- endlichen vermieden zu haben, und verſteckt liegt er bey denſelben dennoch zum Grunde. VIII.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_analysis01_1818
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_analysis01_1818/50
Zitationshilfe: Mayer, Johann Tobias: Vollständiger Lehrbegriff der höhern Analysis. Bd. 1. Göttingen, 1818, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_analysis01_1818/50>, abgerufen am 03.12.2024.