Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mayer, Adolf: Der Kapitalismus in der Gelehrtenwelt. In: Sammlung von Vorträgen für das deutsche Volk, VI, 7. Heidelberg, 1881.

Bild:
<< vorherige Seite


A. Mayer:
ernsthaft zu erweisen unternehmen, daß das Bild der Aehn-
lichkeiten viele bietet.

Das schwere Gebrechen in unserem modernen Wirthschafts-
leben, welches wir mit dem Worte Kapitalismus zu bezeichnen
pflegen und dessen Beseitigung das Hauptziel einer socialen
Reform darstellen sollte, findet sich in weniger prägnanten
Formen auch auf andern Gebieten unseres Gesellschaftslebens
vor. Abhängig, wie diese Krankheit erscheint, von durch einen
falschen Freiheitsbegriff erschlafften Regierungsgrundsätzen, kann
sie auch überall da in mehr akuter oder mehr chronischer Form
diagnosticirt werden, wohin sich der Einfluß jener Grundsätze
zu erstrecken vermag.

Der Kapitalismus und sein gleichzeitig mit ihm gegebener
Gegensatz, das Proletarierthum, mit welchem er zusammen nur
eine einzige Erscheinung bildet, ist die Macht, auf dem Wege
vollkommener wirthschaftlicher Freiheit und des positiven Rechts
über den Arbeitsertrag Anderer zu verfügen, oder besser, diese
Macht in einem solchen Maße zugeschärft, daß auf Seiten der
Kapitalbesitzer eine luxuriöse und entsittlichende Verschwendung
fremder Arbeit gewöhnlich -- auf Seiten der Arbeitenden eine
schonungslose Ausbeute ihrer Kräfte bei Entbehrung alles über
die nackte Bedürftigkeit Hinausgehende beinahe mit Nothwendig-
keit Platz greift. Es muß heute wohl den Theoretikern des
Socialismus, trotz der Ungerechtigkeit ihrer Beweisführung
und trotz der Unfruchtbarkeit ihrer praktischen Bestrebungen,
zugestanden werden, daß der Beweis erbracht ist, die Ursache
dieses schlimmen socialen Uebels sei -- neben einigen beför-
dernden historischen Momenten -- der radicale Liberalismus.

Diese bequeme und in den Zeiten reaktionärer Bedrückung
für die Opposition auch so plausibele Regierungsmaxime, schließt


A. Mayer:
ernſthaft zu erweiſen unternehmen, daß das Bild der Aehn-
lichkeiten viele bietet.

Das ſchwere Gebrechen in unſerem modernen Wirthſchafts-
leben, welches wir mit dem Worte Kapitalismus zu bezeichnen
pflegen und deſſen Beſeitigung das Hauptziel einer ſocialen
Reform darſtellen ſollte, findet ſich in weniger prägnanten
Formen auch auf andern Gebieten unſeres Geſellſchaftslebens
vor. Abhängig, wie dieſe Krankheit erſcheint, von durch einen
falſchen Freiheitsbegriff erſchlafften Regierungsgrundſätzen, kann
ſie auch überall da in mehr akuter oder mehr chroniſcher Form
diagnoſticirt werden, wohin ſich der Einfluß jener Grundſätze
zu erſtrecken vermag.

Der Kapitalismus und ſein gleichzeitig mit ihm gegebener
Gegenſatz, das Proletarierthum, mit welchem er zuſammen nur
eine einzige Erſcheinung bildet, iſt die Macht, auf dem Wege
vollkommener wirthſchaftlicher Freiheit und des poſitiven Rechts
über den Arbeitsertrag Anderer zu verfügen, oder beſſer, dieſe
Macht in einem ſolchen Maße zugeſchärft, daß auf Seiten der
Kapitalbeſitzer eine luxuriöſe und entſittlichende Verſchwendung
fremder Arbeit gewöhnlich — auf Seiten der Arbeitenden eine
ſchonungsloſe Ausbeute ihrer Kräfte bei Entbehrung alles über
die nackte Bedürftigkeit Hinausgehende beinahe mit Nothwendig-
keit Platz greift. Es muß heute wohl den Theoretikern des
Socialismus, trotz der Ungerechtigkeit ihrer Beweisführung
und trotz der Unfruchtbarkeit ihrer praktiſchen Beſtrebungen,
zugeſtanden werden, daß der Beweis erbracht iſt, die Urſache
dieſes ſchlimmen ſocialen Uebels ſei — neben einigen beför-
dernden hiſtoriſchen Momenten — der radicale Liberalismus.

Dieſe bequeme und in den Zeiten reaktionärer Bedrückung
für die Oppoſition auch ſo plauſibele Regierungsmaxime, ſchließt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0006" n="164 [4]"/><lb/>
<fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">A. Mayer:</hi></fw> ern&#x017F;thaft zu erwei&#x017F;en unternehmen, daß das Bild der Aehn-<lb/>
lichkeiten viele bietet.</p><lb/>
        <p>Das &#x017F;chwere Gebrechen in un&#x017F;erem modernen Wirth&#x017F;chafts-<lb/>
leben, welches wir mit dem Worte Kapitalismus zu bezeichnen<lb/>
pflegen und de&#x017F;&#x017F;en Be&#x017F;eitigung das Hauptziel einer &#x017F;ocialen<lb/>
Reform dar&#x017F;tellen &#x017F;ollte, findet &#x017F;ich in weniger prägnanten<lb/>
Formen auch auf andern Gebieten un&#x017F;eres Ge&#x017F;ell&#x017F;chaftslebens<lb/>
vor. Abhängig, wie die&#x017F;e Krankheit er&#x017F;cheint, von durch einen<lb/>
fal&#x017F;chen Freiheitsbegriff er&#x017F;chlafften Regierungsgrund&#x017F;ätzen, kann<lb/>
&#x017F;ie auch überall da in mehr akuter oder mehr chroni&#x017F;cher Form<lb/>
diagno&#x017F;ticirt werden, wohin &#x017F;ich der Einfluß jener Grund&#x017F;ätze<lb/>
zu er&#x017F;trecken vermag.</p><lb/>
        <p>Der Kapitalismus und &#x017F;ein gleichzeitig mit ihm gegebener<lb/>
Gegen&#x017F;atz, das Proletarierthum, mit welchem er zu&#x017F;ammen nur<lb/>
eine einzige Er&#x017F;cheinung bildet, i&#x017F;t die Macht, auf dem Wege<lb/>
vollkommener wirth&#x017F;chaftlicher Freiheit und des po&#x017F;itiven Rechts<lb/>
über den Arbeitsertrag Anderer zu verfügen, oder be&#x017F;&#x017F;er, die&#x017F;e<lb/>
Macht in einem &#x017F;olchen Maße zuge&#x017F;chärft, daß auf Seiten der<lb/>
Kapitalbe&#x017F;itzer eine luxuriö&#x017F;e und ent&#x017F;ittlichende Ver&#x017F;chwendung<lb/>
fremder Arbeit gewöhnlich &#x2014; auf Seiten der Arbeitenden eine<lb/>
&#x017F;chonungslo&#x017F;e Ausbeute ihrer Kräfte bei Entbehrung alles über<lb/>
die nackte Bedürftigkeit Hinausgehende beinahe mit Nothwendig-<lb/>
keit Platz greift. Es muß heute wohl den Theoretikern des<lb/>
Socialismus, trotz der Ungerechtigkeit ihrer Beweisführung<lb/>
und trotz der Unfruchtbarkeit ihrer prakti&#x017F;chen Be&#x017F;trebungen,<lb/>
zuge&#x017F;tanden werden, daß der Beweis erbracht i&#x017F;t, die Ur&#x017F;ache<lb/>
die&#x017F;es &#x017F;chlimmen &#x017F;ocialen Uebels &#x017F;ei &#x2014; neben einigen beför-<lb/>
dernden hi&#x017F;tori&#x017F;chen Momenten &#x2014; der radicale Liberalismus.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;e bequeme und in den Zeiten reaktionärer Bedrückung<lb/>
für die Oppo&#x017F;ition auch &#x017F;o plau&#x017F;ibele Regierungsmaxime, &#x017F;chließt<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[164 [4]/0006] A. Mayer: ernſthaft zu erweiſen unternehmen, daß das Bild der Aehn- lichkeiten viele bietet. Das ſchwere Gebrechen in unſerem modernen Wirthſchafts- leben, welches wir mit dem Worte Kapitalismus zu bezeichnen pflegen und deſſen Beſeitigung das Hauptziel einer ſocialen Reform darſtellen ſollte, findet ſich in weniger prägnanten Formen auch auf andern Gebieten unſeres Geſellſchaftslebens vor. Abhängig, wie dieſe Krankheit erſcheint, von durch einen falſchen Freiheitsbegriff erſchlafften Regierungsgrundſätzen, kann ſie auch überall da in mehr akuter oder mehr chroniſcher Form diagnoſticirt werden, wohin ſich der Einfluß jener Grundſätze zu erſtrecken vermag. Der Kapitalismus und ſein gleichzeitig mit ihm gegebener Gegenſatz, das Proletarierthum, mit welchem er zuſammen nur eine einzige Erſcheinung bildet, iſt die Macht, auf dem Wege vollkommener wirthſchaftlicher Freiheit und des poſitiven Rechts über den Arbeitsertrag Anderer zu verfügen, oder beſſer, dieſe Macht in einem ſolchen Maße zugeſchärft, daß auf Seiten der Kapitalbeſitzer eine luxuriöſe und entſittlichende Verſchwendung fremder Arbeit gewöhnlich — auf Seiten der Arbeitenden eine ſchonungsloſe Ausbeute ihrer Kräfte bei Entbehrung alles über die nackte Bedürftigkeit Hinausgehende beinahe mit Nothwendig- keit Platz greift. Es muß heute wohl den Theoretikern des Socialismus, trotz der Ungerechtigkeit ihrer Beweisführung und trotz der Unfruchtbarkeit ihrer praktiſchen Beſtrebungen, zugeſtanden werden, daß der Beweis erbracht iſt, die Urſache dieſes ſchlimmen ſocialen Uebels ſei — neben einigen beför- dernden hiſtoriſchen Momenten — der radicale Liberalismus. Dieſe bequeme und in den Zeiten reaktionärer Bedrückung für die Oppoſition auch ſo plauſibele Regierungsmaxime, ſchließt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_kapitalismus_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_kapitalismus_1881/6
Zitationshilfe: Mayer, Adolf: Der Kapitalismus in der Gelehrtenwelt. In: Sammlung von Vorträgen für das deutsche Volk, VI, 7. Heidelberg, 1881, S. 164 [4]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_kapitalismus_1881/6>, abgerufen am 21.11.2024.