Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung. Die vollziehende Gewalt ist allerdings selbst der Staat, darum Durch diese Gebundenheit der vollziehenden Gewalt entwickeln es möglich, dass dieser Willensentschluss, von bestimmten Organen des Staates ge- fasst und verkündet, für den andern zur Ausführung berufenen Teil zugleich einen Imperativ enthält. -- Vgl. auch v. Sarwey, Allg. V.R. S. 20, 21, 33. 11 Die Gebundenheit kommt natürlich nicht bei allen Trägern ("Organen") der
vollziehenden Gewalt gleichzeitig und gleichmässig zum Vorschein, sondern je nach- dem sie ihrer Zuständigkeit nach mit dem Gesetz in Berührung kommen: die einen sollen es vollziehen, die anderen, in deren Zuständigkeit die Möglichkeit dazu läge, seinen Vollzug nicht durchkreuzen, wieder andre haben gar nichts damit zu thun. -- Dem Preuss. Minister v. Lucius war durch einen Königl. Gnadenakt die gesetzliche Stempelsteuer erlassen worden. Die Rechtsgültigkeit dieses Aktes wurde in Zweifel gezogen, aber nun erhob sich ein vergebliches Suchen nach Verfassungsartikeln, die ihn verbieten sollten. Im Landtag berief man sich auf Art. 62; auch Art. 101 sollte zutreffen. Bornhak in Arch. f. öff. R. VI S. 318 ff. stützt sich auf Art. 100, Joel in Annalen 1891 S. 417 ff. auf Art. 104. Laband in Arch. f. öff. R. VII S. 169 ff. hat mit all dem leichtes Spiel; er weist erst die richtige Grundlage auf, von der aus allein die Gültigkeit des Aktes bestritten werden könnte: es handelt sich um die bindende Kraft des Gesetzes, die da gilt, obwohl sie in keinem Verfassungsartikel steht. Die Rechtssätze, sagt er, auf welchen die Steuern beruhen, sind jus cogens; die Steuergesetze begründen für die Behörden nicht bloss die Befugnis, sondern auch die Pflicht zur Erhebung der Steuern; die Finanzgesetze gleichen in dieser Beziehung den Strafgesetzen. Der gnadenweise Erlass der Steuer hat das Besondere, dass er die Ausführung einer gesetzlichen Anordnung im einzelnen Falle verhindert (S. 189). Wäre der König zu einer eignen Thätigkeit in diesem Ausführungsgeschäfte berufen, so hätte er dabei die einfache Vollziehungspflicht zu erfüllen, so aber durfte er wenigstens die Vollziehung nicht Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung. Die vollziehende Gewalt ist allerdings selbst der Staat, darum Durch diese Gebundenheit der vollziehenden Gewalt entwickeln es möglich, daſs dieser Willensentschluſs, von bestimmten Organen des Staates ge- faſst und verkündet, für den andern zur Ausführung berufenen Teil zugleich einen Imperativ enthält. — Vgl. auch v. Sarwey, Allg. V.R. S. 20, 21, 33. 11 Die Gebundenheit kommt natürlich nicht bei allen Trägern („Organen“) der
vollziehenden Gewalt gleichzeitig und gleichmäſsig zum Vorschein, sondern je nach- dem sie ihrer Zuständigkeit nach mit dem Gesetz in Berührung kommen: die einen sollen es vollziehen, die anderen, in deren Zuständigkeit die Möglichkeit dazu läge, seinen Vollzug nicht durchkreuzen, wieder andre haben gar nichts damit zu thun. — Dem Preuſs. Minister v. Lucius war durch einen Königl. Gnadenakt die gesetzliche Stempelsteuer erlassen worden. Die Rechtsgültigkeit dieses Aktes wurde in Zweifel gezogen, aber nun erhob sich ein vergebliches Suchen nach Verfassungsartikeln, die ihn verbieten sollten. Im Landtag berief man sich auf Art. 62; auch Art. 101 sollte zutreffen. Bornhak in Arch. f. öff. R. VI S. 318 ff. stützt sich auf Art. 100, Joël in Annalen 1891 S. 417 ff. auf Art. 104. Laband in Arch. f. öff. R. VII S. 169 ff. hat mit all dem leichtes Spiel; er weist erst die richtige Grundlage auf, von der aus allein die Gültigkeit des Aktes bestritten werden könnte: es handelt sich um die bindende Kraft des Gesetzes, die da gilt, obwohl sie in keinem Verfassungsartikel steht. Die Rechtssätze, sagt er, auf welchen die Steuern beruhen, sind jus cogens; die Steuergesetze begründen für die Behörden nicht bloſs die Befugnis, sondern auch die Pflicht zur Erhebung der Steuern; die Finanzgesetze gleichen in dieser Beziehung den Strafgesetzen. Der gnadenweise Erlaſs der Steuer hat das Besondere, daſs er die Ausführung einer gesetzlichen Anordnung im einzelnen Falle verhindert (S. 189). Wäre der König zu einer eignen Thätigkeit in diesem Ausführungsgeschäfte berufen, so hätte er dabei die einfache Vollziehungspflicht zu erfüllen, so aber durfte er wenigstens die Vollziehung nicht <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0108" n="88"/> <fw place="top" type="header">Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.</fw><lb/> <p>Die vollziehende Gewalt ist allerdings selbst der Staat, darum<lb/> mag man sagen, das Gesetz bindet den Staat, oder der Staat bindet<lb/> durch das Gesetz sich selbst. Der Ausdruck ist nur dann unver-<lb/> ständlich und irreführend, wenn man nichts von der Trennung der<lb/> Gewalten weiſs.</p><lb/> <p>Durch diese Gebundenheit der vollziehenden Gewalt entwickeln<lb/> sich dann von selbst alle die entsprechenden Gebundenheiten, die wir<lb/> an den einzelnen Trägern derselben wahrnehmen. Diese Gebunden-<lb/> heit haftet ihr an überall, wo sie erscheint. 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Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
Die vollziehende Gewalt ist allerdings selbst der Staat, darum
mag man sagen, das Gesetz bindet den Staat, oder der Staat bindet
durch das Gesetz sich selbst. Der Ausdruck ist nur dann unver-
ständlich und irreführend, wenn man nichts von der Trennung der
Gewalten weiſs.
Durch diese Gebundenheit der vollziehenden Gewalt entwickeln
sich dann von selbst alle die entsprechenden Gebundenheiten, die wir
an den einzelnen Trägern derselben wahrnehmen. Diese Gebunden-
heit haftet ihr an überall, wo sie erscheint. Alle Zuständigkeiten in
der Verwaltung sind Stücke der vollziehenden Gewalt. Die Ab-
grenzung derselben bestimmt auch den Kreis von einzelnen Gebunden-
heiten, welchen von dieser Stelle aus für die vollziehende Gewalt
nachzukommen ist. Immer bleibt die vollziehende Gewalt als das ein-
heitliche Ganze auch in dieser Verteilung bestehen und ihre Gebunden-
heit wirkt durch die ganze Kette, welche eine Sache durchlaufen
mag, von unten aus bis hinauf zum Staatsoberhaupt.
Keiner kann sie miſsachten, ohne selbst Unrecht zu thun, d. h. die
Rechtsordnung zu verletzen 11.
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11 Die Gebundenheit kommt natürlich nicht bei allen Trägern („Organen“) der
vollziehenden Gewalt gleichzeitig und gleichmäſsig zum Vorschein, sondern je nach-
dem sie ihrer Zuständigkeit nach mit dem Gesetz in Berührung kommen: die einen
sollen es vollziehen, die anderen, in deren Zuständigkeit die Möglichkeit dazu läge,
seinen Vollzug nicht durchkreuzen, wieder andre haben gar nichts damit zu thun. —
Dem Preuſs. Minister v. Lucius war durch einen Königl. Gnadenakt die gesetzliche
Stempelsteuer erlassen worden. Die Rechtsgültigkeit dieses Aktes wurde in Zweifel
gezogen, aber nun erhob sich ein vergebliches Suchen nach Verfassungsartikeln,
die ihn verbieten sollten. Im Landtag berief man sich auf Art. 62; auch Art. 101
sollte zutreffen. Bornhak in Arch. f. öff. R. VI S. 318 ff. stützt sich auf
Art. 100, Joël in Annalen 1891 S. 417 ff. auf Art. 104. Laband in Arch. f.
öff. R. VII S. 169 ff. hat mit all dem leichtes Spiel; er weist erst die richtige
Grundlage auf, von der aus allein die Gültigkeit des Aktes bestritten werden
könnte: es handelt sich um die bindende Kraft des Gesetzes, die da gilt, obwohl
sie in keinem Verfassungsartikel steht. Die Rechtssätze, sagt er, auf welchen die
Steuern beruhen, sind jus cogens; die Steuergesetze begründen für die Behörden
nicht bloſs die Befugnis, sondern auch die Pflicht zur Erhebung der Steuern; die
Finanzgesetze gleichen in dieser Beziehung den Strafgesetzen. Der gnadenweise
Erlaſs der Steuer hat das Besondere, daſs er die Ausführung einer gesetzlichen
Anordnung im einzelnen Falle verhindert (S. 189). Wäre der König zu einer eignen
Thätigkeit in diesem Ausführungsgeschäfte berufen, so hätte er dabei die einfache
Vollziehungspflicht zu erfüllen, so aber durfte er wenigstens die Vollziehung nicht
10 es möglich, daſs dieser Willensentschluſs, von bestimmten Organen des Staates ge-
faſst und verkündet, für den andern zur Ausführung berufenen Teil zugleich einen
Imperativ enthält. — Vgl. auch v. Sarwey, Allg. V.R. S. 20, 21, 33.
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