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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 10. Quellen des Verwaltungsrechts.

Der Sprachgebrauch ist freilich gerade bezüglich des Ausdruckes
Verordnung im allerübelsten Zustande. Die Abgrenzung auf den
rechtssatzschaffenden Akt der vollziehenden Gewalt, der ja erst im Zu-
sammenhang unseres neuen Verfassungsrechts seine Sonderstellung be-
kommt, wird durchaus noch nicht überall festgehalten9.

Man bedient sich des Wortes zuweilen sogar zur Bezeichnung
jedes Aktes der vollziehenden Gewalt mit Einschluss der gewöhnlichen
Verwaltungsakte, die nur für einen bestimmten Einzelfall etwas
anordnen10.

Noch häufiger ist der Gebrauch, unter Verordnung wenigstens
alle allgemeinen Anordnungen zu verstehen, welche die voll-
ziehende Gewalt erlassen mag, also nicht bloss rechtssätzeenthaltende.
Solche Anordnungen gründen ihre Wirkung auf besondere Gewalt-
verhältnisse, in welchen die von ihnen Betroffenen stehen; sie ent-
halten bindende Generalverfügungen für diese (oben § 8, III n. 5).
Ein Akt, der bestimmt ist, in dieser Art zu wirken, bedarf aber einer
Bezeichnung, die ihn von der Verordnung unterscheidet, denn er
bildet den Gegensatz dazu. Das Reichsrecht bietet dafür den Aus-
druck Verwaltungsvorschriften, der vielleicht beibehalten zu

9 Auch das Wort Gesetz sehen wir ja in verschiedenem Sinne gebraucht.
Man glaubt nun den dort mit einem gewissen Vorteil durchgeführten Gegensatz
von formell und materiell geradeso überall anbringen zu können und unterscheidet
deshalb wieder eine Verordnung in formellem und in materiellem Sinn (Laband,
St.R. I S. 590; Seligmann, Begriff des Ges. S. 103). Allein hier fehlen die Vor-
aussetzungen, welche dort die Unterscheidung von selbst ergeben. Es giebt einen
Weg der Gesetzgebung als die Entstehungsform des Willens der gesetzgebenden
Gewalt. Aber es giebt nicht ebenso einen besonderen "Weg der Verordnung"
(Laband, St.R. I S. 592); sondern dieser Weg ist einfach die allgemeine Ent-
stehungsform des Willens der vollziehenden Gewalt. Ob aus diesem Willen eine
Verordnung wird, hängt ab von der materiellen Grundlage, welche das Verordnungs-
recht ihm giebt, und von der Art des Inhalts, nach welchem er davon Gebrauch
macht. Das "Materielle" lässt sich also hier aus dem Begriff gar nicht heraus-
nehmen. Wenn ein ungenauer und schwankender Sprachgebrauch Willensäusse-
rungen der gleichen Entstehungsform, aber anderer materieller Natur auch noch
als Verordnung bezeichnet (unten Note 11), so ist es nur ein gewaltsamer Schema-
tismus, diese zu materiellen und jene zu formellen Verordnungen zu stempeln.
10 So L. v. Stein, Verw.Lehre I, 1 S. 9 und 10; dagegen mit Recht
v. Sarwey, Öff. R. u. V.R.Pfl. S. 48. -- Die amtliche Sprache bezeichnet gern
mit dem Namen Verordnung alle Akte der obersten Stellen, auch Einzelakte; so
namentlich im Königreich Sachsen. Etwas ganz anderes ist es, wenn wie in
Bayern der Name Verordnung schlechthin den königlichen Verordnungen vor-
behalten wird, um die Verordnungen der unteren Stellen ihrem beschränkten Gegen-
stande entsprechend als Polizeiverordnungen zu bezeichen (Seydel, Bayr. St.R
III S. 582). Dagegen ist nichts einzuwenden.
§ 10. Quellen des Verwaltungsrechts.

Der Sprachgebrauch ist freilich gerade bezüglich des Ausdruckes
Verordnung im allerübelsten Zustande. Die Abgrenzung auf den
rechtssatzschaffenden Akt der vollziehenden Gewalt, der ja erst im Zu-
sammenhang unseres neuen Verfassungsrechts seine Sonderstellung be-
kommt, wird durchaus noch nicht überall festgehalten9.

Man bedient sich des Wortes zuweilen sogar zur Bezeichnung
jedes Aktes der vollziehenden Gewalt mit Einschluſs der gewöhnlichen
Verwaltungsakte, die nur für einen bestimmten Einzelfall etwas
anordnen10.

Noch häufiger ist der Gebrauch, unter Verordnung wenigstens
alle allgemeinen Anordnungen zu verstehen, welche die voll-
ziehende Gewalt erlassen mag, also nicht bloſs rechtssätzeenthaltende.
Solche Anordnungen gründen ihre Wirkung auf besondere Gewalt-
verhältnisse, in welchen die von ihnen Betroffenen stehen; sie ent-
halten bindende Generalverfügungen für diese (oben § 8, III n. 5).
Ein Akt, der bestimmt ist, in dieser Art zu wirken, bedarf aber einer
Bezeichnung, die ihn von der Verordnung unterscheidet, denn er
bildet den Gegensatz dazu. Das Reichsrecht bietet dafür den Aus-
druck Verwaltungsvorschriften, der vielleicht beibehalten zu

9 Auch das Wort Gesetz sehen wir ja in verschiedenem Sinne gebraucht.
Man glaubt nun den dort mit einem gewissen Vorteil durchgeführten Gegensatz
von formell und materiell geradeso überall anbringen zu können und unterscheidet
deshalb wieder eine Verordnung in formellem und in materiellem Sinn (Laband,
St.R. I S. 590; Seligmann, Begriff des Ges. S. 103). Allein hier fehlen die Vor-
aussetzungen, welche dort die Unterscheidung von selbst ergeben. Es giebt einen
Weg der Gesetzgebung als die Entstehungsform des Willens der gesetzgebenden
Gewalt. Aber es giebt nicht ebenso einen besonderen „Weg der Verordnung“
(Laband, St.R. I S. 592); sondern dieser Weg ist einfach die allgemeine Ent-
stehungsform des Willens der vollziehenden Gewalt. Ob aus diesem Willen eine
Verordnung wird, hängt ab von der materiellen Grundlage, welche das Verordnungs-
recht ihm giebt, und von der Art des Inhalts, nach welchem er davon Gebrauch
macht. Das „Materielle“ läſst sich also hier aus dem Begriff gar nicht heraus-
nehmen. Wenn ein ungenauer und schwankender Sprachgebrauch Willensäuſse-
rungen der gleichen Entstehungsform, aber anderer materieller Natur auch noch
als Verordnung bezeichnet (unten Note 11), so ist es nur ein gewaltsamer Schema-
tismus, diese zu materiellen und jene zu formellen Verordnungen zu stempeln.
10 So L. v. Stein, Verw.Lehre I, 1 S. 9 und 10; dagegen mit Recht
v. Sarwey, Öff. R. u. V.R.Pfl. S. 48. — Die amtliche Sprache bezeichnet gern
mit dem Namen Verordnung alle Akte der obersten Stellen, auch Einzelakte; so
namentlich im Königreich Sachsen. Etwas ganz anderes ist es, wenn wie in
Bayern der Name Verordnung schlechthin den königlichen Verordnungen vor-
behalten wird, um die Verordnungen der unteren Stellen ihrem beschränkten Gegen-
stande entsprechend als Polizeiverordnungen zu bezeichen (Seydel, Bayr. St.R
III S. 582). Dagegen ist nichts einzuwenden.
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[125/0145] § 10. Quellen des Verwaltungsrechts. Der Sprachgebrauch ist freilich gerade bezüglich des Ausdruckes Verordnung im allerübelsten Zustande. Die Abgrenzung auf den rechtssatzschaffenden Akt der vollziehenden Gewalt, der ja erst im Zu- sammenhang unseres neuen Verfassungsrechts seine Sonderstellung be- kommt, wird durchaus noch nicht überall festgehalten 9. Man bedient sich des Wortes zuweilen sogar zur Bezeichnung jedes Aktes der vollziehenden Gewalt mit Einschluſs der gewöhnlichen Verwaltungsakte, die nur für einen bestimmten Einzelfall etwas anordnen 10. Noch häufiger ist der Gebrauch, unter Verordnung wenigstens alle allgemeinen Anordnungen zu verstehen, welche die voll- ziehende Gewalt erlassen mag, also nicht bloſs rechtssätzeenthaltende. Solche Anordnungen gründen ihre Wirkung auf besondere Gewalt- verhältnisse, in welchen die von ihnen Betroffenen stehen; sie ent- halten bindende Generalverfügungen für diese (oben § 8, III n. 5). Ein Akt, der bestimmt ist, in dieser Art zu wirken, bedarf aber einer Bezeichnung, die ihn von der Verordnung unterscheidet, denn er bildet den Gegensatz dazu. Das Reichsrecht bietet dafür den Aus- druck Verwaltungsvorschriften, der vielleicht beibehalten zu 9 Auch das Wort Gesetz sehen wir ja in verschiedenem Sinne gebraucht. Man glaubt nun den dort mit einem gewissen Vorteil durchgeführten Gegensatz von formell und materiell geradeso überall anbringen zu können und unterscheidet deshalb wieder eine Verordnung in formellem und in materiellem Sinn (Laband, St.R. I S. 590; Seligmann, Begriff des Ges. S. 103). Allein hier fehlen die Vor- aussetzungen, welche dort die Unterscheidung von selbst ergeben. Es giebt einen Weg der Gesetzgebung als die Entstehungsform des Willens der gesetzgebenden Gewalt. Aber es giebt nicht ebenso einen besonderen „Weg der Verordnung“ (Laband, St.R. I S. 592); sondern dieser Weg ist einfach die allgemeine Ent- stehungsform des Willens der vollziehenden Gewalt. Ob aus diesem Willen eine Verordnung wird, hängt ab von der materiellen Grundlage, welche das Verordnungs- recht ihm giebt, und von der Art des Inhalts, nach welchem er davon Gebrauch macht. Das „Materielle“ läſst sich also hier aus dem Begriff gar nicht heraus- nehmen. Wenn ein ungenauer und schwankender Sprachgebrauch Willensäuſse- rungen der gleichen Entstehungsform, aber anderer materieller Natur auch noch als Verordnung bezeichnet (unten Note 11), so ist es nur ein gewaltsamer Schema- tismus, diese zu materiellen und jene zu formellen Verordnungen zu stempeln. 10 So L. v. Stein, Verw.Lehre I, 1 S. 9 und 10; dagegen mit Recht v. Sarwey, Öff. R. u. V.R.Pfl. S. 48. — Die amtliche Sprache bezeichnet gern mit dem Namen Verordnung alle Akte der obersten Stellen, auch Einzelakte; so namentlich im Königreich Sachsen. Etwas ganz anderes ist es, wenn wie in Bayern der Name Verordnung schlechthin den königlichen Verordnungen vor- behalten wird, um die Verordnungen der unteren Stellen ihrem beschränkten Gegen- stande entsprechend als Polizeiverordnungen zu bezeichen (Seydel, Bayr. St.R III S. 582). Dagegen ist nichts einzuwenden.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/145>, abgerufen am 22.12.2024.