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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
lichen Art sie ihrerseits auch sein mögen, für die Unterthanen, die
mit dem Diener zu thun haben, wirksam werden lässt.

Ihrem Inhalt nach äussern sich diese Besonderheiten nach der be-
zeichneten doppelten Richtung im einzelnen wie folgt.

1. Von der Haftung für gesetzwidrige obrigkeitliche Akte und
Gewaltanwendungen wird der Beamte in gewissem Masse befreit
durch Irrtum und durch Befehl.

Beide Befreiungsgründe beruhen auf den Notwendigkeiten des
Dienstes, die der betroffene Einzelne gegen sich gelten lassen muss.

Im Verhältnisse zwischen den Privaten gilt die Regel, dass der
Vertreter, wenn das Recht des Geschäftsherrn zum Eingriff in die
fremden Interessen zweifelhaft ist, sich des Eingriffs enthalten soll,
oder er macht ihn auf eigne Gefahr d. h. wird haftbar.

Der Beamte, der berufen ist, obrigkeitliche Akte über den Einzelnen
zu erlassen oder Gewalt anzuwenden, muss sich entschliessen, auch
wo die Möglichkeit eines Irrtums besteht, und muss gehorchen, auch
wenn der Dienstbefehl etwas nicht zweifellos Rechtmässiges befiehlt.
Der Grundsatz in dubio abstine darf nicht für ihn gelten, sonst wäre
es nicht möglich, diese Verwaltung mit der Kraft und Entschlossenheit
zu führen, welche das öffentliche Interesse verlangt. Eben deshalb
kann er aber auch nicht die Gefahr tragen müssen, die mit diesem
Verfahren verknüpft ist. Zunächst trägt sie jedes Glied der Gesamt-
heit, das gerade davon getroffen wird; wenn ein Ausgleich gewährt
werden soll, so kann ihn nur das Gemeinwesen gewähren müssen.
Wir werden sehen, dass in dem grossen Rechtsinstitute der öffentlich-
rechtlichen Entschädigung auch hiefür Vorkehrung getroffen ist5.

Gemeinsame Voraussetzung für diese Befreiungsgründe ist, dass
der Beamte noch gehandelt hat innerhalb der allgemeinen Grenzen
seiner Zuständigkeit
und nicht durch Arglist oder be-
wussten Missbrauch seiner Gewalt
aus dem Kreise der Amts-
thätigkeit überhaupt herausgetreten ist: nur soweit bildet er ein

5 Die durch Irrtum oder Befehl gedeckte Amtshandlung unterliegt also
zweierlei Beurteilung, je nachdem sie betrachtet wird im Verhältnis zwischen dem
Staat und dem Unterthan oder im Verhältnis zwischen dem Beamten persönlich
und dem Unterthan. Im ersteren gilt sie als rechtswidrig und soll aufgehoben und
wieder gut gemacht werden, im letzteren gilt sie nicht als rechtswidrig und zieht
keine Haftung nach sich. Ein ganz ähnliches Doppelt-Rechnen zeigt sich auch in
dem Begriff der rechtmässigen Amtshandlung gegenüber der Widersetzung (unten
§ 25, I). Freund in Arch. f. öff. R. I S. 423 will die zweierlei Beurteilungen
unterscheiden durch die Ausdrücke: "Gesetzmässigkeit der Amtshandlung" und
"Rechtmässigkeit der Amtsausübung".

Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
lichen Art sie ihrerseits auch sein mögen, für die Unterthanen, die
mit dem Diener zu thun haben, wirksam werden läſst.

Ihrem Inhalt nach äuſsern sich diese Besonderheiten nach der be-
zeichneten doppelten Richtung im einzelnen wie folgt.

1. Von der Haftung für gesetzwidrige obrigkeitliche Akte und
Gewaltanwendungen wird der Beamte in gewissem Maſse befreit
durch Irrtum und durch Befehl.

Beide Befreiungsgründe beruhen auf den Notwendigkeiten des
Dienstes, die der betroffene Einzelne gegen sich gelten lassen muſs.

Im Verhältnisse zwischen den Privaten gilt die Regel, daſs der
Vertreter, wenn das Recht des Geschäftsherrn zum Eingriff in die
fremden Interessen zweifelhaft ist, sich des Eingriffs enthalten soll,
oder er macht ihn auf eigne Gefahr d. h. wird haftbar.

Der Beamte, der berufen ist, obrigkeitliche Akte über den Einzelnen
zu erlassen oder Gewalt anzuwenden, muſs sich entschlieſsen, auch
wo die Möglichkeit eines Irrtums besteht, und muſs gehorchen, auch
wenn der Dienstbefehl etwas nicht zweifellos Rechtmäſsiges befiehlt.
Der Grundsatz in dubio abstine darf nicht für ihn gelten, sonst wäre
es nicht möglich, diese Verwaltung mit der Kraft und Entschlossenheit
zu führen, welche das öffentliche Interesse verlangt. Eben deshalb
kann er aber auch nicht die Gefahr tragen müssen, die mit diesem
Verfahren verknüpft ist. Zunächst trägt sie jedes Glied der Gesamt-
heit, das gerade davon getroffen wird; wenn ein Ausgleich gewährt
werden soll, so kann ihn nur das Gemeinwesen gewähren müssen.
Wir werden sehen, daſs in dem groſsen Rechtsinstitute der öffentlich-
rechtlichen Entschädigung auch hiefür Vorkehrung getroffen ist5.

Gemeinsame Voraussetzung für diese Befreiungsgründe ist, daſs
der Beamte noch gehandelt hat innerhalb der allgemeinen Grenzen
seiner Zuständigkeit
und nicht durch Arglist oder be-
wuſsten Miſsbrauch seiner Gewalt
aus dem Kreise der Amts-
thätigkeit überhaupt herausgetreten ist: nur soweit bildet er ein

5 Die durch Irrtum oder Befehl gedeckte Amtshandlung unterliegt also
zweierlei Beurteilung, je nachdem sie betrachtet wird im Verhältnis zwischen dem
Staat und dem Unterthan oder im Verhältnis zwischen dem Beamten persönlich
und dem Unterthan. Im ersteren gilt sie als rechtswidrig und soll aufgehoben und
wieder gut gemacht werden, im letzteren gilt sie nicht als rechtswidrig und zieht
keine Haftung nach sich. Ein ganz ähnliches Doppelt-Rechnen zeigt sich auch in
dem Begriff der rechtmäſsigen Amtshandlung gegenüber der Widersetzung (unten
§ 25, I). Freund in Arch. f. öff. R. I S. 423 will die zweierlei Beurteilungen
unterscheiden durch die Ausdrücke: „Gesetzmäſsigkeit der Amtshandlung“ und
„Rechtmäſsigkeit der Amtsausübung“.
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[228/0248] Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen. lichen Art sie ihrerseits auch sein mögen, für die Unterthanen, die mit dem Diener zu thun haben, wirksam werden läſst. Ihrem Inhalt nach äuſsern sich diese Besonderheiten nach der be- zeichneten doppelten Richtung im einzelnen wie folgt. 1. Von der Haftung für gesetzwidrige obrigkeitliche Akte und Gewaltanwendungen wird der Beamte in gewissem Maſse befreit durch Irrtum und durch Befehl. Beide Befreiungsgründe beruhen auf den Notwendigkeiten des Dienstes, die der betroffene Einzelne gegen sich gelten lassen muſs. Im Verhältnisse zwischen den Privaten gilt die Regel, daſs der Vertreter, wenn das Recht des Geschäftsherrn zum Eingriff in die fremden Interessen zweifelhaft ist, sich des Eingriffs enthalten soll, oder er macht ihn auf eigne Gefahr d. h. wird haftbar. Der Beamte, der berufen ist, obrigkeitliche Akte über den Einzelnen zu erlassen oder Gewalt anzuwenden, muſs sich entschlieſsen, auch wo die Möglichkeit eines Irrtums besteht, und muſs gehorchen, auch wenn der Dienstbefehl etwas nicht zweifellos Rechtmäſsiges befiehlt. Der Grundsatz in dubio abstine darf nicht für ihn gelten, sonst wäre es nicht möglich, diese Verwaltung mit der Kraft und Entschlossenheit zu führen, welche das öffentliche Interesse verlangt. Eben deshalb kann er aber auch nicht die Gefahr tragen müssen, die mit diesem Verfahren verknüpft ist. Zunächst trägt sie jedes Glied der Gesamt- heit, das gerade davon getroffen wird; wenn ein Ausgleich gewährt werden soll, so kann ihn nur das Gemeinwesen gewähren müssen. Wir werden sehen, daſs in dem groſsen Rechtsinstitute der öffentlich- rechtlichen Entschädigung auch hiefür Vorkehrung getroffen ist 5. Gemeinsame Voraussetzung für diese Befreiungsgründe ist, daſs der Beamte noch gehandelt hat innerhalb der allgemeinen Grenzen seiner Zuständigkeit und nicht durch Arglist oder be- wuſsten Miſsbrauch seiner Gewalt aus dem Kreise der Amts- thätigkeit überhaupt herausgetreten ist: nur soweit bildet er ein 5 Die durch Irrtum oder Befehl gedeckte Amtshandlung unterliegt also zweierlei Beurteilung, je nachdem sie betrachtet wird im Verhältnis zwischen dem Staat und dem Unterthan oder im Verhältnis zwischen dem Beamten persönlich und dem Unterthan. Im ersteren gilt sie als rechtswidrig und soll aufgehoben und wieder gut gemacht werden, im letzteren gilt sie nicht als rechtswidrig und zieht keine Haftung nach sich. Ein ganz ähnliches Doppelt-Rechnen zeigt sich auch in dem Begriff der rechtmäſsigen Amtshandlung gegenüber der Widersetzung (unten § 25, I). Freund in Arch. f. öff. R. I S. 423 will die zweierlei Beurteilungen unterscheiden durch die Ausdrücke: „Gesetzmäſsigkeit der Amtshandlung“ und „Rechtmäſsigkeit der Amtsausübung“.

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/248>, abgerufen am 22.12.2024.