Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.§ 18. Begriff der Polizei. Obrigkeit alles rechtlich muss thun können, was zur Erfüllung ihrerAufgabe nötig ist, aus einer blossen Forderung für die Gestaltung der Dinge zur unmittelbaren rechtlichen Wirklichkeit15. Ein Überbleibsel aus dem Ideenkreise des Polizeistaates ist es, Es giebt aber in der That doch auch heutzutage noch eine 15 Über den Einfluss dieser Theorien: Bluntschli, Gesch. d. Allg. St.R. S. 223 ff.; Roscher, Gesch. der Nat.Ökonomie S. 347; Funke in Ztschft. f. St.W. 1863 S. 523 ff.; Gierke, Althusius S. 293 ff. -- Die ganze Rechtsauffassung ist am klarsten entwickelt bei Chr. v. Wolff, Jus nat. VIII § 29 und Vernünftige Gedanken von dem gesellschaftlichen Leben § 227; mit besonderer Anwendung auf die Polizei: Jung, Lehrb. d. Staats-Polizeiwiss. (1788). Dieselben Gedankenreihen finden sich noch bei Schriftstellern, die sonst den Folgerungen, die der Polizeistaat daraus zieht, gar nicht hold sind, z. B. bei Gönner, St.R. S. 426. Hier erklärt sich vielleicht auch eine Schrulle unseres Kant. Dem Apostel des Rechtsstaates und der Freiheit sind natürlich angeborene allgemeine Unterthanenpflichten tief zuwider. Ganz kann er die Polizei nicht beseitigen; es giebt ja in Wirklichkeit unbestreitbar eine allgemeine Gewalt, welche die öffentliche "Sicherheit, Gemächlich- keit und Anständigkeit" besorgt und auf eine entsprechende allgemeine Pflicht der Unterthanen sich beruft. So nimmt er ihr denn wenigstens den persönlichen Cha- rakter eines angeborenen Freiheitsmangels und gründet sie dafür auf einen ding- lichen Zusammenhang, auf das Obereigentum des Landesherrn (R.Lehre II Abschn. I Allg. Anm. A). Dafür hatte freilich die herrschende Meinung kein Verständnis; vgl. z. B. Rosshirt, Begriff der Staatspol. S. 53. 16 Vgl. oben § 9 Note 5.
§ 18. Begriff der Polizei. Obrigkeit alles rechtlich muſs thun können, was zur Erfüllung ihrerAufgabe nötig ist, aus einer bloſsen Forderung für die Gestaltung der Dinge zur unmittelbaren rechtlichen Wirklichkeit15. Ein Überbleibsel aus dem Ideenkreise des Polizeistaates ist es, Es giebt aber in der That doch auch heutzutage noch eine 15 Über den Einfluſs dieser Theorien: Bluntschli, Gesch. d. Allg. St.R. S. 223 ff.; Roscher, Gesch. der Nat.Ökonomie S. 347; Funke in Ztschft. f. St.W. 1863 S. 523 ff.; Gierke, Althusius S. 293 ff. — Die ganze Rechtsauffassung ist am klarsten entwickelt bei Chr. v. Wolff, Jus nat. VIII § 29 und Vernünftige Gedanken von dem gesellschaftlichen Leben § 227; mit besonderer Anwendung auf die Polizei: Jung, Lehrb. d. Staats-Polizeiwiss. (1788). Dieselben Gedankenreihen finden sich noch bei Schriftstellern, die sonst den Folgerungen, die der Polizeistaat daraus zieht, gar nicht hold sind, z. B. bei Gönner, St.R. S. 426. Hier erklärt sich vielleicht auch eine Schrulle unseres Kant. Dem Apostel des Rechtsstaates und der Freiheit sind natürlich angeborene allgemeine Unterthanenpflichten tief zuwider. Ganz kann er die Polizei nicht beseitigen; es giebt ja in Wirklichkeit unbestreitbar eine allgemeine Gewalt, welche die öffentliche „Sicherheit, Gemächlich- keit und Anständigkeit“ besorgt und auf eine entsprechende allgemeine Pflicht der Unterthanen sich beruft. So nimmt er ihr denn wenigstens den persönlichen Cha- rakter eines angeborenen Freiheitsmangels und gründet sie dafür auf einen ding- lichen Zusammenhang, auf das Obereigentum des Landesherrn (R.Lehre II Abschn. I Allg. Anm. A). Dafür hatte freilich die herrschende Meinung kein Verständnis; vgl. z. B. Roſshirt, Begriff der Staatspol. S. 53. 16 Vgl. oben § 9 Note 5.
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§ 18. Begriff der Polizei.
Obrigkeit alles rechtlich muſs thun können, was zur Erfüllung ihrer
Aufgabe nötig ist, aus einer bloſsen Forderung für die Gestaltung der
Dinge zur unmittelbaren rechtlichen Wirklichkeit 15.
Ein Überbleibsel aus dem Ideenkreise des Polizeistaates ist es,
wenn man jetzt noch das Staatsrecht einleitet mit einer Aufzählung
von allgemeinen Unterthanenpflichten, als da sind die allgemeine Ge-
horsamspflicht, Heerdienstpflicht, Steuerpflicht. Diese Pflichten haben
überall keine rechtliche Bedeutung; es sind Gedanken, welche die
Gesetzgebung in gröſserem oder geringerem Maſse verwirklicht, in
denen aber nicht einmal für die Auslegung dessen, was das Gesetz
gewollt haben mag, die feste Grundlage einer zu verwirklichenden
Pflicht gegeben ist 16.
Es giebt aber in der That doch auch heutzutage noch eine
solche allgemeine Pflicht der Unterthanen dem Gemeinwesen und der
seine Interessen vertretenden Verwaltung gegenüber, eine Pflicht, die
wir ohne weiteres als eine selbstverständliche, angeborene ansehen:
die nämlich, daſs sie ihrerseits nicht störend eingreifen in die
gute Ordnung des Gemeinwesens, vielmehr dafür sorgen, solche
Störungen aus ihrem Lebenskreise heraus zu unterlassen und zu ver-
hüten. Die sittliche Forderung, die darin liegt, leuchtet ja ohne
weiteres ein; es handelt sich aber hier nicht bloſs um eine sittliche,
sondern um eine rechtlich bedeutsame Pflicht. Die besondere recht-
liche Natur dessen, was wir heutzutage Polizei nennen, was ihre
Rechtsinstitute auszeichnet unter allen Rechtsinstituten des Ver-
15 Über den Einfluſs dieser Theorien: Bluntschli, Gesch. d. Allg. St.R.
S. 223 ff.; Roscher, Gesch. der Nat.Ökonomie S. 347; Funke in Ztschft. f. St.W.
1863 S. 523 ff.; Gierke, Althusius S. 293 ff. — Die ganze Rechtsauffassung ist
am klarsten entwickelt bei Chr. v. Wolff, Jus nat. VIII § 29 und Vernünftige
Gedanken von dem gesellschaftlichen Leben § 227; mit besonderer Anwendung auf
die Polizei: Jung, Lehrb. d. Staats-Polizeiwiss. (1788). Dieselben Gedankenreihen
finden sich noch bei Schriftstellern, die sonst den Folgerungen, die der Polizeistaat
daraus zieht, gar nicht hold sind, z. B. bei Gönner, St.R. S. 426. Hier erklärt
sich vielleicht auch eine Schrulle unseres Kant. Dem Apostel des Rechtsstaates
und der Freiheit sind natürlich angeborene allgemeine Unterthanenpflichten tief
zuwider. Ganz kann er die Polizei nicht beseitigen; es giebt ja in Wirklichkeit
unbestreitbar eine allgemeine Gewalt, welche die öffentliche „Sicherheit, Gemächlich-
keit und Anständigkeit“ besorgt und auf eine entsprechende allgemeine Pflicht der
Unterthanen sich beruft. So nimmt er ihr denn wenigstens den persönlichen Cha-
rakter eines angeborenen Freiheitsmangels und gründet sie dafür auf einen ding-
lichen Zusammenhang, auf das Obereigentum des Landesherrn (R.Lehre II Abschn. I
Allg. Anm. A). Dafür hatte freilich die herrschende Meinung kein Verständnis;
vgl. z. B. Roſshirt, Begriff der Staatspol. S. 53.
16 Vgl. oben § 9 Note 5.
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