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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Die Polizeigewalt.

Die allgemeine polizeiliche Unterthanenpflicht geht aber diesen
Dingen gegenüber nur auf ein Vermeiden unmittelbar störender
Eingriffe;
denn nur in ihrem unmittelbaren äusserlichen Bestand
sind sie Verkörperungen der guten Ordnung des Gemeinwesens. Was
sie erst im entfernteren Zusammenhange nachteilig berührt, wird da-
durch noch nicht zur Polizeiwidrigkeit7; und ebensowenig ist von
selbst vom Gebiete der freien Bewegung des Einzelnen ausgeschlossen,
was etwa geeignet ist, die allgemeinen Bedingungen ihrer Wirksam-
keit für die Gesellschaft zu verschlechtern. Solche Beschränkungen,
wo sie bestehen, sind auf selbständige Rechtsinstitute zurückzuführen8.

7 O.V.G. 9. September 1885: die Ortspolizeibehörde erzwingt auf Verlangen
der Militärbehörde und in deren Interesse die Herausgabe eines Militärpasses von
dem Meister des Eigentümers, der ihn zurückhielt. Das ist "keine polizeiliche
Massregel, sondern Landeshoheitssache". Ob es wohl zulässig war?
8 Die Frage wurde neuerdings öfter behandelt aus Anlass des Vorgehens der
Reichspostverwaltung gegen die Privatstadtposten. Diese sollten polizeilich an-
gehalten werden, sich nicht Post zu nennen. O.V.G. 14. Nov. 1887 erkennt an,
dass der Betrieb der Reichspost durch diese Benennung erheblich gestört werde.
Allein die Reichspost, obwohl keineswegs ein freies gewerbliches Unternehmen
des Fiskus darstellend, vielmehr eine öffentliche Verkehrsanstalt, gehört doch
zweifellos nicht "zu den polizeilichen Verkehrsanstalten, welche wie z. B. öffent-
liche Wege, Brücken, Fähren, Ströme, Häfen u. s. w. der Verfügung und Obhut
der Polizeibehörde unterstehen und dementsprechend auch den polizeilichen Schutz
gegen schädigenden Eingriff im weitesten Umfange geniessen". Daher lässt sich
ein polizeiliches Einschreiten unter dem Gesichtspunkte der öffentlichen Ordnung
hier nicht rechtfertigen. -- Das Sächs. Ministerium dagegen hat mit Verord. vom 7. Juni
1887 ausgesprochen: "dass die den Verwaltungsbehörden zukommende Vertretung und
Förderung des allgemeinen öffentlichen Interesses auch die Aufgabe in sich schliesst,
derartigen Privatanstalten überall da entgegenzutreten, wo durch die Art und Weise
ihres Geschäftsbetriebes die Sicherheit des allgemeinen durch die Postanstalten ver-
mittelten Briefverkehrs gefährdet und somit wesentliche Interessen des Publikums
geschädigt werden". Daher wird das Verbot jener Bezeichnung und sonstige Ein-
schränkung gebilligt. Hier ist also ganz unser oben gekennzeichneter Fall ge-
geben: Beeinträchtigung der Wirksamkeit der öffentlichen Anstalt, nicht der An-
stalt selbst und ihrer Leistungsfähigkeit.
Dass die letzterwähnte Entscheidung unserer Forderung bezüglich der Grenzen
der Anstaltspolizei widerspricht, kann nicht wunder nehmen: die Polizeigewalt im
Königreich Sachsen ist im deutschen Reiche so ziemlich am weitesten entfernt von
derjenigen Umgrenztheit, welche sie im Rechtsstaate haben soll. Der Schutz gegen die
Konkurrenz, den die Postverwaltung erstrebte, ist für andere öffentliche Anstalten
allerdings gegeben; wir werden in der Lehre von der Verleihung öffentlicher Unter-
nehmungen vom Strassenregal zu handeln haben. Das beruht aber eben nicht auf
polizeilichen Gründen. Den ganz altmodischen Ausdruck "polizeiliche Verkehrs-
anstalten" hätte das O.V.G. besser vermieden.
Die Polizeigewalt.

Die allgemeine polizeiliche Unterthanenpflicht geht aber diesen
Dingen gegenüber nur auf ein Vermeiden unmittelbar störender
Eingriffe;
denn nur in ihrem unmittelbaren äuſserlichen Bestand
sind sie Verkörperungen der guten Ordnung des Gemeinwesens. Was
sie erst im entfernteren Zusammenhange nachteilig berührt, wird da-
durch noch nicht zur Polizeiwidrigkeit7; und ebensowenig ist von
selbst vom Gebiete der freien Bewegung des Einzelnen ausgeschlossen,
was etwa geeignet ist, die allgemeinen Bedingungen ihrer Wirksam-
keit für die Gesellschaft zu verschlechtern. Solche Beschränkungen,
wo sie bestehen, sind auf selbständige Rechtsinstitute zurückzuführen8.

7 O.V.G. 9. September 1885: die Ortspolizeibehörde erzwingt auf Verlangen
der Militärbehörde und in deren Interesse die Herausgabe eines Militärpasses von
dem Meister des Eigentümers, der ihn zurückhielt. Das ist „keine polizeiliche
Maſsregel, sondern Landeshoheitssache“. Ob es wohl zulässig war?
8 Die Frage wurde neuerdings öfter behandelt aus Anlaſs des Vorgehens der
Reichspostverwaltung gegen die Privatstadtposten. Diese sollten polizeilich an-
gehalten werden, sich nicht Post zu nennen. O.V.G. 14. Nov. 1887 erkennt an,
daſs der Betrieb der Reichspost durch diese Benennung erheblich gestört werde.
Allein die Reichspost, obwohl keineswegs ein freies gewerbliches Unternehmen
des Fiskus darstellend, vielmehr eine öffentliche Verkehrsanstalt, gehört doch
zweifellos nicht „zu den polizeilichen Verkehrsanstalten, welche wie z. B. öffent-
liche Wege, Brücken, Fähren, Ströme, Häfen u. s. w. der Verfügung und Obhut
der Polizeibehörde unterstehen und dementsprechend auch den polizeilichen Schutz
gegen schädigenden Eingriff im weitesten Umfange genieſsen“. Daher läſst sich
ein polizeiliches Einschreiten unter dem Gesichtspunkte der öffentlichen Ordnung
hier nicht rechtfertigen. — Das Sächs. Ministerium dagegen hat mit Verord. vom 7. Juni
1887 ausgesprochen: „daſs die den Verwaltungsbehörden zukommende Vertretung und
Förderung des allgemeinen öffentlichen Interesses auch die Aufgabe in sich schlieſst,
derartigen Privatanstalten überall da entgegenzutreten, wo durch die Art und Weise
ihres Geschäftsbetriebes die Sicherheit des allgemeinen durch die Postanstalten ver-
mittelten Briefverkehrs gefährdet und somit wesentliche Interessen des Publikums
geschädigt werden“. Daher wird das Verbot jener Bezeichnung und sonstige Ein-
schränkung gebilligt. Hier ist also ganz unser oben gekennzeichneter Fall ge-
geben: Beeinträchtigung der Wirksamkeit der öffentlichen Anstalt, nicht der An-
stalt selbst und ihrer Leistungsfähigkeit.
Daſs die letzterwähnte Entscheidung unserer Forderung bezüglich der Grenzen
der Anstaltspolizei widerspricht, kann nicht wunder nehmen: die Polizeigewalt im
Königreich Sachsen ist im deutschen Reiche so ziemlich am weitesten entfernt von
derjenigen Umgrenztheit, welche sie im Rechtsstaate haben soll. Der Schutz gegen die
Konkurrenz, den die Postverwaltung erstrebte, ist für andere öffentliche Anstalten
allerdings gegeben; wir werden in der Lehre von der Verleihung öffentlicher Unter-
nehmungen vom Straſsenregal zu handeln haben. Das beruht aber eben nicht auf
polizeilichen Gründen. Den ganz altmodischen Ausdruck „polizeiliche Verkehrs-
anstalten“ hätte das O.V.G. besser vermieden.
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[264/0284] Die Polizeigewalt. Die allgemeine polizeiliche Unterthanenpflicht geht aber diesen Dingen gegenüber nur auf ein Vermeiden unmittelbar störender Eingriffe; denn nur in ihrem unmittelbaren äuſserlichen Bestand sind sie Verkörperungen der guten Ordnung des Gemeinwesens. Was sie erst im entfernteren Zusammenhange nachteilig berührt, wird da- durch noch nicht zur Polizeiwidrigkeit 7; und ebensowenig ist von selbst vom Gebiete der freien Bewegung des Einzelnen ausgeschlossen, was etwa geeignet ist, die allgemeinen Bedingungen ihrer Wirksam- keit für die Gesellschaft zu verschlechtern. Solche Beschränkungen, wo sie bestehen, sind auf selbständige Rechtsinstitute zurückzuführen 8. 7 O.V.G. 9. September 1885: die Ortspolizeibehörde erzwingt auf Verlangen der Militärbehörde und in deren Interesse die Herausgabe eines Militärpasses von dem Meister des Eigentümers, der ihn zurückhielt. Das ist „keine polizeiliche Maſsregel, sondern Landeshoheitssache“. Ob es wohl zulässig war? 8 Die Frage wurde neuerdings öfter behandelt aus Anlaſs des Vorgehens der Reichspostverwaltung gegen die Privatstadtposten. Diese sollten polizeilich an- gehalten werden, sich nicht Post zu nennen. O.V.G. 14. Nov. 1887 erkennt an, daſs der Betrieb der Reichspost durch diese Benennung erheblich gestört werde. Allein die Reichspost, obwohl keineswegs ein freies gewerbliches Unternehmen des Fiskus darstellend, vielmehr eine öffentliche Verkehrsanstalt, gehört doch zweifellos nicht „zu den polizeilichen Verkehrsanstalten, welche wie z. B. öffent- liche Wege, Brücken, Fähren, Ströme, Häfen u. s. w. der Verfügung und Obhut der Polizeibehörde unterstehen und dementsprechend auch den polizeilichen Schutz gegen schädigenden Eingriff im weitesten Umfange genieſsen“. Daher läſst sich ein polizeiliches Einschreiten unter dem Gesichtspunkte der öffentlichen Ordnung hier nicht rechtfertigen. — Das Sächs. Ministerium dagegen hat mit Verord. vom 7. Juni 1887 ausgesprochen: „daſs die den Verwaltungsbehörden zukommende Vertretung und Förderung des allgemeinen öffentlichen Interesses auch die Aufgabe in sich schlieſst, derartigen Privatanstalten überall da entgegenzutreten, wo durch die Art und Weise ihres Geschäftsbetriebes die Sicherheit des allgemeinen durch die Postanstalten ver- mittelten Briefverkehrs gefährdet und somit wesentliche Interessen des Publikums geschädigt werden“. Daher wird das Verbot jener Bezeichnung und sonstige Ein- schränkung gebilligt. Hier ist also ganz unser oben gekennzeichneter Fall ge- geben: Beeinträchtigung der Wirksamkeit der öffentlichen Anstalt, nicht der An- stalt selbst und ihrer Leistungsfähigkeit. Daſs die letzterwähnte Entscheidung unserer Forderung bezüglich der Grenzen der Anstaltspolizei widerspricht, kann nicht wunder nehmen: die Polizeigewalt im Königreich Sachsen ist im deutschen Reiche so ziemlich am weitesten entfernt von derjenigen Umgrenztheit, welche sie im Rechtsstaate haben soll. Der Schutz gegen die Konkurrenz, den die Postverwaltung erstrebte, ist für andere öffentliche Anstalten allerdings gegeben; wir werden in der Lehre von der Verleihung öffentlicher Unter- nehmungen vom Straſsenregal zu handeln haben. Das beruht aber eben nicht auf polizeilichen Gründen. Den ganz altmodischen Ausdruck „polizeiliche Verkehrs- anstalten“ hätte das O.V.G. besser vermieden.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/284>, abgerufen am 31.10.2024.